»Sie sind entschlossen, ihr Land zu verteidigen«
Von Tim KrügerSie wurden bei einer Friedensmahnwache am Tischrin-Damm in Nordsyrien verletzt. Was ist genau passiert?
Ich wurde am 21. Januar während der Mahnwache auf dem Tischrin-Damm durch einen türkischen Drohnenschlag verletzt. Davor war gerade ein Theaterstück einer Schauspielertruppe aus Kamischli aufgeführt worden, zu der auch Bave Teyar gehört hatte. Der Schauspieler war zwei Tage zuvor seinen Verletzungen durch Bombensplitter erlegen. Nach der Aufführung tanzten wir, als plötzlich das Bombardement begann. Zwei Menschen wurden getötet und mehr als 70 verletzt, darunter auch Journalisten. In den Tagen zuvor waren am Tischrin-Damm schon 20 Zivilisten durch türkische Drohnenangriffe ermordet und weit über 160 verletzt worden. Bei der Explosion wurde ich durch drei Splitter verletzt. Im Vergleich zu vielen anderen geht es mir jedoch gut.
Warum haben Sie sich als deutsche Aktivistin entschlossen, an dem Protest teilzunehmen?
Ich habe mich in Deutschland für Menschenrechte und Klimaschutz eingesetzt und gehört, dass in Rojava eine autonome Administration aufgebaut wird, auf der Basis von Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie. Das wollte ich mit eigenen Augen sehen und bin deshalb nach Nord- und Ostsyrien gekommen. Als die Türkei parallel zum Sturz von Assad ihre Angriffe gegen die Regionen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien ausweitete, organisierte die Bevölkerung dort überall Widerstand. Hierzu gehören auch die Friedenswachen am Tischrin-Damm. So wie Tausende von Menschen habe auch ich mich daran beteiligt. Ich bin mit einem der zivilen Konvois mit Frauen aus der Nachbarschaft dort hingefahren, um zu verhindern, dass der Damm zerstört und das Land überflutet und besetzt wird.
Was ist das Kriegsziel der Türkei und ihrer Milizen?
Der Damm am Euphrat hat strategische Bedeutung. Zum einen ist er die Hauptenergiequelle im Norden Syriens und für die Landwirtschaft und Wasserversorgung lebenswichtig. Zum anderen sind der Tischrin-Damm sowie auch die M-4-Brücke in der Nähe des Dorfes Qere Qozaq zwei wichtige Verbindungspunkte zwischen den Regionen westlich und östlich des Euphrats. Mit den seit dem 8. Dezember andauernden schweren Angriffen verfolgt die Türkei das Ziel, die Stadt Kobani völlig einzukreisen und von jeglicher Versorgung abzuschneiden. Erdoğan plant, weitere Gebiete völkerrechtswidrig zu besetzen und die Demokratische Selbstverwaltung zu zerschlagen. Er will sein neuosmanisches Reich auf der Grundlage des politischen Islam errichten. Hierzu benutzt er dschihadistische Söldnergruppen, die sich offen zum »Islamischen Staat« bekennen. Dieser Krieg richtet sich gegen die Werte von Demokratie, Frauenbefreiung und das von Abdullah Öcalan entwickelte Modell der »Demokratischen Nation«, das hier realisiert wird. Um zu verhindern, dass dieses Lösungsmodell auch in anderen Teilen umgesetzt wird, hat Erdoğan diesen Angriffsfeldzug gestartet.
Wird der Protest trotz all der Verluste weiter fortgesetzt?
Die Menschen sind entschlossen, ihre Freiheit und ihr Land zu verteidigen. Wie in der Vergangenheit ist auch heute die internationale Solidarität entscheidend. In diesem Moment, während ich im Krankenhaus liege, geht die Friedenswache weiter. Der nächste Konvoi ist angekommen und weitere sind geplant. Solange die Türkei ihre Angriffe fortsetzt, werden auch die Menschen ihren Widerstand fortsetzen. Die internationale Gemeinschaft und deutsche Politik stehen in der Verantwortung, die Demokratische Selbstverwaltung anzuerkennen und den Angriffskrieg der Türkei zu stoppen. Deutschland hat eine zentrale Rolle, von dort aus werden Waffen an die Türkei geliefert. Die Medien müssen berichten, denn hier findet ein völkerrechtswidriger Besatzungskrieg statt. Die Türkei muss dafür angeklagt werden.
Lea Bunse ist Klima- und Menschenrechts-aktivistin aus Deutsch-land und zur Zeit in Nordsyrien
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vom 25.01.2025