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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 8 / Abgeschrieben

Offener Brief: »Friedensfähig statt erstschlagfähig: Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!«

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Auf einer Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin

In einem Offenen Brief mit mehr als 30 prominenten Erstunterzeichnern wendet sich die Kampagne »Friedensfähig statt erstschlagfähig: Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!« aus fast 50 Friedensinitiativen an die Kandidaten zur Bundestagswahl:

Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges sollen ab 2026 wieder US-Mittelstreckenwaffen nach Deutschland kommen. Am 10. Juli 2024 gaben die US-Regierung und die deutsche Bundesregierung bekannt, US-Raketen vom Typ SM-6, »Tomahawk«-Marschflugkörper und »Dark Eagle«-Hyperschallwaffen stationieren zu wollen (...).

Es ist einer Demokratie nicht würdig, dass die weitreichende Entscheidung zur Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ohne jede öffentliche Begründung oder Debatte getroffen wurde. Der Bundestag hatte keinerlei Mitsprache! Es ist zudem nicht nachvollziehbar, warum die Stationierung nicht im Rahmen der NATO, sondern bilateral zwischen den USA und Deutschland vereinbart wurde. In der Folge ist Deutschland alleiniges Ziel eines möglichen Gegenschlags. Die Verfügungsgewalt über die Waffen liegt bislang ausschließlich bei den USA. Ebenso kritikwürdig ist, dass die Ankündigung – anders als der NATO-Doppelbeschluss von 1979 – kein Verhandlungsangebot an Russland über den beidseitigen Verzicht auf derartige Waffen enthält.

(...) Die landgestützten US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland würden in erster Linie ein gefährliches Wettrüsten befeuern und das Kriegsrisiko auch in Deutschland deutlich erhöhen. Wir rufen Sie, sehr geehrte Kandidierende zur Bundestagswahl 2025, daher auf: Sorgen Sie dafür, dass keine US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden! Lassen Sie außerdem nicht zu, dass Deutschland sich an der Entwicklung eigener europäischer Mittelstreckenwaffen beteiligt!

Die Stationierung von schnellen, präzisen und schwer abzufangenden Mittelstreckenwaffen in Deutschland führt dazu, dass die USA binnen Minuten – also nahezu ohne Vorwarnzeit – strategische Ziele wie Raketensilos, Kommandozentralen, Entscheidungszentren und auch Frühwarnsysteme in Russland zerstören können. Russland wird darauf reagieren und seinerseits Waffen mit vergleichbaren Fähigkeiten auf Deutschland richten. Die Folge wäre nicht mehr Sicherheit, sondern eine gefährliche Instabilität, in der ein einziger Irrtum oder Fehler ausreicht, um die Welt mitten in einen Atomkrieg zu führen. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein!

Setzen Sie sich mit Nachdruck für neue Verhandlungen über Rüstungskontrolle und die Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen ein (multilaterales Folgeabkommen zum INF-Vertrag) und bekennen Sie sich zum mittelfristigen Ziel einer neuen Friedensordnung in Europa!

Die europäische Geschichte zeigt, dass Rüstungskontrollverträge und Strukturen der gemeinsamen Sicherheit und Zusammenarbeit der einzige Weg sind, um Konfrontationen ohne Blutvergießen beizulegen und Aufrüstungsspiralen zu durchbrechen. Der INF-Vertrag hatte die Vernichtung und das Verbot einer ganzen Waffengattung in der Sowjetunion und den USA zur Folge. Er läutete so das Ende des Kalten Krieges und eine Epoche gemeinsamer Sicherheit in Europa ein. Deutschland hat der Diplomatie der 1980er Jahre viel zu verdanken. Daher muss gerade jetzt das Signal für neue Initiativen der Rüstungskontrolle und des Dialogs aus Berlin kommen!

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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