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Aus: Ausgabe vom 27.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Slowakei

Fico warnt vor Farbrevolution

Slowakei: Pro-EU-Fraktion mobilisiert Zehntausende gegen Regierung. Inlandsgeheimdienst sieht ausländische Einflussnahme
Von Mawuena Martens
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Gespaltene Gesellschaft: Antiregierungsdemo am Freitag in Bratislava

Die Slowakei kommt nicht zur Ruhe. Schon seit Monaten gibt es Proteste: mal vornehmlich wegen einer Justizreform, mal wegen der Ukraine-Politik. Vor allem aber richten sich die Proteste gegen einen – den sozialdemokratischen Premierminister Robert Fico. Die Gemüter besonders erregt hatte zuletzt ein Treffen des politischen Urgesteins mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seither mobilisierten EU- und NATO-nahe Bewegungen und die liberale Opposition jede Woche zu Kundgebungen.

Einem Demoaufruf der Initiative »Nicht in unserer Stadt« (Nie v našom meste) folgten am Freitag abend in rund 20 slowakischen Städten erneut Zehntausende Menschen. Das Motto: »Die Slowakei ist Europa«. Auch Ficos größter Widersacher, Michal Šimečka von der liberalen Partei Progresívne Slovensko (PS), beteiligte sich an der Demo. Er plant ein Misstrauensvotum gegen den Premier, denn die Reise Ficos nach Moskau und der von ihm angeblich geplante Austritt des Landes aus EU und NATO seien Grund genug für den Versuch, sich der aktuellen Regierung mit Hilfe des Parlaments zu entledigen. Einem Rücktritt oder vorgezogenen Neuwahlen erteilte Fico am Sonnabend im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Absage.

Dass es den Demonstranten nicht nur um ein harmloses Kundtun ihrer Meinung gehe, sondern darum, einen Umsturz im Land herbeizuführen, hatte der Premier zuvor einem Paukenschlag gleich am Dienstag kundgetan. In einer Parlamentssitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit präsentierte er einen Bericht des Inlandsgeheimdienstes SIS. Wie eine Sprecherin des Dienstes anschließend gegenüber Medienvertretern angab, gebe es Hinweise auf »langfristig organisierte Einflussoperationen mit dem Ziel einer Destabilisierung der Slowakischen Republik«.

»Nicht in unserer Stadt« veröffentlichte daraufhin Dokumente auf Facebook, in denen die einzelnen Demonstrationen, deren Ziel sowie Methoden zur verstärkten Wirksamkeit stichpunktartig niedergeschrieben sind. Es handle sich dabei um die geheimen Beweise, auf die sich der Geheimdienst berufe. Diese seien jedoch völlig harmlos, in E-Mails zwischen den Organisatoren ausgetauscht und mit Hilfe von Chat-GPT erstellt worden.

Am Donnerstag beriet der sogenannte nationale Sicherheitsrat. Anschließend warnte der Premier laut teraz.sk: »Wir haben es hier mit einer vom Ausland finanzierten Struktur zu tun, die mit der slowakischen Opposition verbunden ist und die Proteste missbrauchen will.« Und weiter: »Sie werden versuchen, eine Art Scharmützel zu provozieren. Dann wird es Versuche geben, über die Zäune in die Gebäude des Regierungsbüros, des Nationalrats und des Präsidentenpalastes zu gelangen.« Gleichzeitig betonte er, dass die Erkenntnisse des »Sicherheitsrates« nichts an der EU- und NATO-Mitgliedschaft des Landes geändert haben. Die Konsequenz des Treffens sei vielmehr: Eine Verstärkung des Schutzes von Amtsgebäuden wie Parlament und Regierungssitz, nicht jedoch eine Einschränkung des Versammlungsrechts.

Zu solch einer drastischen Szenerie kam es bisher nicht. Doch noch bevor die Demonstranten am Freitag nachmittag die Straßen für sich reklamierten, legte ein Cyberangriff die staatliche Krankenkasse VsZP lahm. Man bereite sich auf die Ausweisung von ausländischen Strippenziehern vor, so Fico daraufhin in einer Pressekonferenz. Der Angriff sei Teil einer Methodik »wie aus einem Lehrbuch«, bei der es darum gehe, »ungehorsame Regierungen, die andere Sichtweisen haben« zu liquidieren. Er stellte damit einen direkten Bezug zu den sogenannten Farbrevolutionen in Osteuropa her. Denn: Es gebe eine Expertengruppe, die sich momentan in der Slowakei aufhalte und in die Geschehnisse in Georgien sowie 2014 auf dem Maidan in der Ukraine involviert gewesen sei. Diese Strukturen versuchten, die aktuellen Demonstrationen für ihre Zwecke zu missbrauchen und die gesellschaftliche Stimmung anzuheizen.

Beweise legte der Regierungschef nicht vor. Und dennoch: Im Mai überlebte er nur knapp einen Anschlag. Während eines öffentlichen Auftritts schoss ihm der 71jährige Juraj Cintula mehrfach in den Oberkörper. Anschließend gab er als Motiv an, dass er Ficos Regierung durch eine proukrainische ersetzt sehen wollte. Er habe allein gehandelt, erklärte der Angreifer. Nur eine Woche nach der Tat warnte EU-Kommissar Olivér Várhelyi den georgischen Premierminister Irakli Kobakhidze, dass ihn das gleiche Schicksal wie den slowakischen Amtskollegen ereilen könnte, wenn seine Regierung nicht das Transparenzgesetz gegen ausländische Einflussnahme stoppe.

Die slowakische Gesellschaft ist gespalten. Laut dem Institut Globesec befürchten 64 Prozent der Slowaken, dass Waffenlieferungen an die Ukraine Russland provozieren würden und dadurch die Kriegsgefahr im eigenen Land steige. Das ist der höchste Wert in Osteuropa. Nur noch 30 Prozent der Befragten gaben 2024 an, dass das Nachbarland Teil von EU oder NATO werden sollte. Ein Rückgang um zehn Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2022. Dass die Position des slowakischen Premiers zum Ukraine-Krieg in einem großen Teil der Bevölkerung Zuspruch findet, zeigten auch die Nationalratswahlen im Herbst 2023.

Ficos Wahlkampf beruhte auch auf dem Versprechen, entgegen der Politik der bisherigen Technokratenregierung von Ľudovít Ódor und dessen Vorgänger Eduard Hegel alle Waffenlieferungen an die Ukraine zu beenden und sich für eine Verhandlungslösung einzusetzen. Die beiden Koalitionspartner – die Abspaltung von Ficos Smer, Hlas, und die rechte SNS – vertraten ähnliche Positionen. Die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt im April 2024 bestätigte die Stimmung: Hlas-Chef Peter Pellegrini gewann gegenüber dem parteilosen, die westliche Ukrainepolitik unterstützenden Liberalen Ivan Korčok. Zum Gesamtbild gehört jedoch auch, dass die führende Oppositionspartei PS bei den Wahlen zum EU-Parlament im Juni mit rund 28 Prozent der Stimmen auf dem ersten Platz landete – noch vor der Smer.

Hintergrund: Wer ist Fico?

In der Slowakei kennt ihn wohl jedes Kind, doch auch international ist Robert Fico kein neues Gesicht. Schließlich prägt er die Politik des Landes seit den 1990er Jahren. Insgesamt drei Regierungszeiten als Premier hat er seit 2006 hinter sich, im Oktober 2023 trat er seine vierte Amtszeit an. Neben der von ihm gegründeten sozialdemokratisch-konservativen Smer sind die sozialdemokratische Abspaltung Hlas sowie die rechte SNS Teil der Koalition.

Schon in seiner ersten Amtszeit schlug Fico einen unabhängigen Kurs in der Außenpolitik ein. Seine Regierung lehnte die einseitige Loslösung des Kosovo sowie einen von den USA vorgeschlagenen Raketenabwehrschild in Tschechien und Polen ab. 2007 zog er die slowakischen Truppen aus dem Irak ab, im Kaukasuskrieg von 2008 verurteilte er die »Aggression Georgiens«. In der Migrationspolitik verwendete er muslimfeindliche Narrative und verwehrte sich einem Verteilmechanismus von Flüchtlingen in der EU. Als nach dem Auftragsmord am Journalisten Ján Kuciak, der Korruption und Verbindungen der italienischen Mafia bis in seine Regierung aufgedeckt hatte, Massenproteste ausbrachen, trat er 2018 zurück.

Die Versprechen seines Wahlkampfes von 2023 setzte er bald nach seiner Wahl um und strich die Militärhilfe an die Ukraine, ließ aber privaten Rüstungsherstellern und Initiativen eine Hintertür offen. Gleichzeitig verringerte er die Strafen für Korruptionsdelikte und schaffte unter anderem die bis dato verantwortliche Sonderstaatsanwaltschaft ab. Eine Justizreform nahm seine Regierung nach anhaltender Kritik im Februar zurück. Im Juni, knapp zwei Monate nach dem Attentat auf Fico, beschloss die Regierungsmehrheit im Parlament ein unter »Lex Attentat« bekanntes Gesetz, das verstärkten Personenschutz für Politiker und Bannmeilen für Versammlungen vor Regierungsgebäuden vorsieht. Außerdem Teil des Pakets: Eine lebenslange Pension für Regierungschefs, die insgesamt mehr als zehn Jahre im Amt sind – also Robert Fico. (mam)

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