Eine warme Decke
Von Alexander KasbohmEin Album wie »Road to Happiness« kann heute wahrscheinlich nur auf einem Label wie Marina Records erscheinen. Zunächst hat es diesen klassischen Marina-Sound, elegantes Songwritertum, warmer Klang, Arrangements, die mal an Burt Bacharach erinnern, mal den Funk mit Disco-Streichern akzentuieren. Ein Klangbild, wie wir es von Label-Acts wie Ashby, The Aluminum Group oder The Pearlfishers kennen. Außerdem hatten die Labelbetreiber Frank Lähnemann und Stefan Kassel schon immer ein Faible für die Vergessenen. So überzeugten sie 2003 James Kirk (neben Edwyn Collins der zweite Songwriter der legendären Band Orange Juice vom Label Postcard) nach 20 Jahren der Stille davon, sein einziges Soloalbum »You Can Make It If You Boogie« aufzunehmen. Von Paul Quinn, einem weiteren Helden des Glasgows der frühen 1980er, veröffentlichten sie 1994 das zweite Soloalbum »Will I Ever Be Inside of You«, und den immer wieder knapp am großen Durchbruch gescheiterten Pale Fountains (die sich mit Dislocation Dance eine Zeitlang den Trompeter Andy Diagram teilten) verschafften sie mit »Longshot for Your Love« noch mal posthume Aufmerksamkeit.
Insofern sind Dislocation Dance aus Manchester, eine der zu Unrecht, aber nicht gänzlich unerklärlich vergessenen Bands der 80er, ein klassischer Fall für das Lazarus-Team von Marina. Zu Unrecht, weil sie Pioniere dieser Mischung von Jazz, Pop und Soul gewesen sind, mit der später Bands wie Everything But the Girl, Swing Out Sister oder auch die eher flachen Matt Bianco erfolgreich waren. Erklärbar ist der ausgebliebene Erfolg durch das unstete Wesen der Band, die Stile mit Begeisterung, aber ohne Rücksicht auf Hörgewohnheiten mischte, und so schwierig festzulegen, schwierig zu vermarkten und für Ottonormalhörer schlicht zu verwirrend, zu experimentell war. Auch nicht geholfen hat, dass die Muse der zwingenden Hooks ein kapriziöses Ding ist und der Band zwar ein paar Killersingles bescherte, auf LP-Länge aber oft unentschlossen zwischen Pop und Experiment hängenblieb. Nach drei Alben lösten sich Dislocation Dance Mitte der 1980er auf.
»Road to Happiness« ist vermutlich das am wenigsten sperrige Album, das die Band um Songwriter, Sänger und Gitarrist Ian Runacres je veröffentlicht hat. Geblieben sind die ungewöhnlichen Akkordwechsel. Das hervorragende Eröffnungsstück »I Just Need a Friend« klingt stellenweise, als wären Prefab Sprout unter den Disco-Express geraten. Seit der Reunion im Jahr 2000 hat Runacres mit dem Bassisten Paul Lukes einen zweiten fähigen Songwriter an seiner Seite. Nach wie vor teilt Runacres sich den Leadgesang mit einer Dame, früher war es Kath Way, jetzt ist es Sam Heywood, die sich nahtlos einfügt. Runacres’ eigene Stimme ist eher besser als vor 40 Jahren, was er in Songhighlights wie »I Just Need a Friend«, »We All Need Love« und »Sugar Coated« demonstriert. Neun der zehn Songs kann man vermutlich spontan mitsingen (geschätzt, nicht getestet) – der zehnte ist das ungewohnt krachige Instrumental »What the Funk (Theme)« – aber nicht an alle kann man sich unmittelbar erinnern. Der Charme dieser Platte liegt in ihrer freundlichen Behaglichkeit, darin, dass sie das Unbekannte vertraut und das Schwierige einfach erscheinen lässt, in ihrem subtilen Humor. Und darin, dass sie uns in diesem kalten, spätkapitalistischen Winter in eine warme Decke hüllt. Vierzig Minuten Weltflucht müssen erlaubt sein.
Dislocation Dance: »Road to Happiness« (Marina)
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