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Aus: Ausgabe vom 01.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Tödlicher Funke

Figuren mit Einserschmäh: »Wackelkontakt«, ein virtuos komponierter Roman von Wolf Haas
Von Eileen Heerdegen
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Autor kunstvoll verwobener Ebenen: Wolf Haas

Es gibt Dinge, die möchte man nicht. Zum Beispiel darüber nachdenken, was wäre, wenn nichts wäre, nichts und kein Nichts. Vor allem eine philosophische Herausforderung für Pubertierende, die, wie Wolf Haas auf den Punkt beschreibt, hinter ständig hingerotztem »keine Ahnung« hochmütig die Überlegenheit des Alles-Wissenden verbergen. Wohl deshalb reizt das Spiel mit dem restlich Unerklärlichen in dieser Phase besonders, und ist dann der Zeitpunkt, an dem die »unmöglichen Figuren«, die ohne Ende und Anfang hinauf- und hinunterlaufenden Treppen und verdrehten Perspektiven des niederländischen Künstlers M. C. Escher Kultstatus erlangen.

Das gilt zumindest für die Generation des 1960 im österreichischen Maria Alm geborenen Wolf Haas, der nach dem kalorienzählenden »Junger Mann« auch hier vielleicht Jugenderinnerungen als Zündfunken für die kunstvoll verwobenen Ebenen seines verwirrend-spannenden Romans »Wackelkontakt« nutzt. Ein tödlicher Funke, ein Schlag zur unrechten Zeit, der den Elektriker Steiner ausgerechnet in der Küche von Franz Escher trifft, der zufälligerweise die Hauptfigur in Steiners einzigem Buch ist, während Escher wiederum beim Eintreffen des Handwerkers gerade in einem seiner geliebten Mafiaromane die Verwandlung von ’Ndrangheta-Aussteiger und Kronzeuge Elio Russo in die neue Identität Marko Steiner miterlebt.

Das Buch im Buch allein aber wäre eines Wolf Haas nicht würdig, der schon mit seinen Kriminalromanen um Kommissar/Detektiv Brenner (kongenial mit Josef Hader verfilmt) einzigartige, verschrobene, sprachlich und konzeptionell sehr eigene Meisterwerke vorgelegt hat. Unzählige wunderbare Einfälle zeichnen auch Haas’ weitere Romane (»Das Wetter vor 15 Jahren«, »Die Verteidigung der Missionarsstellung«, »Junger Mann«, »Eigentum«) aus.

Und so bewegen sich die Lebensgeschichten des Wiener Trauerredners Escher und des ehemaligen Kriminellen Steiner nicht parallel, sondern in steigender Geschwindigkeit und auf unterschiedlichen Zeitebenen (Escher liest wenige Tage, Steiner viele Jahre) aufeinander zu. Ein äußerst elegant und phantasievoll komponiertes Werk, von der Kunstfertigkeit her ein prächtiges Mosaik, auch wenn uns der Autor selbst das profanere Puzzle nahelegt. Ein Geschenk zum 19. Geburtstag – die sich selbst zeichnenden Hände Eschers berühmten Namensvetters M. C. in 1.000 Teilen, Basis seiner anschließenden Puzzlesucht.

Die vielen Kunstwerke in Kleinteilen lassen wiederum genug Lücken für skurrile Personen und Geschehnisse. Eschers Kollegin Nellie Wieselburger, die seit vielen Jahren an ihrer Dissertation über das Gemälde »Die Enthauptung des Johannes« schreibt, auf der anderen Seite Sven, »der Junkie mit der Junkiestimme«, Elios Deutschlehrer im italienischen Knast. Ein mäßig erfolgreiches Projekt, Elio tut sich schwer, »Schnitzelfresser« und »Schnitzelfresse« auseinanderzuhalten, sein Wortschatz, »scheißegal, gebongt, fürn Arsch, Fusel, Pappmaul«, ist eher schlicht, bis er später als Marko bei einer Privatlehrerin brauchbare Synonyme (»gestohlen, entwendet«) und Konjunktionen (»ich stehle, du stiehlst«) lernt, die als typische Haas-Versatzstücke immer wieder in Steiners Gedankengängen auftauchen. Svens »Trick 17« bleibt als Dauerbrenner, genau wie das Buch über Franz Escher.

Da Lebenswege selten Geraden gleichen, treffen sich die von Escher und Steiner auch lange vor der Unendlichkeit in Wien. Unendlichkeit – auch wieder so etwas, über das man nicht nachdenken möchte. Und dann gibt es noch einiges, über das man nicht nachdenken sollte, aber »jetzt ist schon wieder was passiert«, um die berühmten ersten Worte der Brenner-Krimis zu zitieren. Verraten wird aber nur, dass Steiners Tochter Ala, die längst den Trick 17 renitent zum wienerischen »Einserschmäh« erklärt hat, nicht ahnt, wie gefährlich recht sie mit dem pubertär hingerotzten »keine Ahnung« hat. Und manchmal fehlt nur eine Winzigkeit, damit Gott den ersten Menschen erschaffen kann.

Wolf Haas: Wackelkontakt. Hanser-Verlag, München 2025, 240 Seiten, 25 Euro

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