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Aus: Ausgabe vom 04.02.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Energieversorgung

Es liegt kein Schiff vor Rügen

Das LNG-Terminal auf der Ostseeinsel steht weitgehend still. Nicht einmal zehn Tanker haben 2024 Mukran angelaufen
Von Wolfgang Pomrehn
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Na gut, fast kein Schiff. Das Spezialschiff »Energos Power« liegt im Hafen von Mukran (Februar 2024)

Auch 28 Monate nach den Anschlägen auf die Nord-­Stream-Pipelines am Boden der Ostsee, die die direkte Einfuhr von russischem Erdgas unterbrochen hatten, besteht in der Bundesrepublik nach wie vor kein Energienotstand – trotz höheren Bedarfs im Winter und obwohl seit Jahresbeginn auch kein russisches Erdgas mehr über die Ukraine nach Westeuropa strömt. Letzteres bedeutet, dass die Tschechische Republik und die Slowakei nun ebenfalls über die Förderung in West- und Nordeuropa sowie über Terminals von Flüssigerdgas (LNG) an den Küsten versorgt werden müssen. Dennoch sind hierzulande die Gasspeicher in den unterirdischen Kavernen ausreichend gefüllt. Laut Bundesnetzagentur lag der Speicherstand am 29. Januar bei 57 Prozent, gut zehn Prozentpunkte über dem Minimum der vergangenen sieben Jahre. Derweil sagt der Deutsche Wetterdienst für den Rest des Winters und für das Frühjahr milde Temperaturen voraus, so dass mit einem vergleichsweise eher niedrigeren Verbrauch zu Heizzwecken zu rechnen ist.

Dementsprechend sind die neuen deutschen LNG-Terminals an Nord- und Ostsee kaum ausgelastet. Insbesondere die Anlagen des Terminalbetreibers Deutsche Regas in Mukran auf der Ostseeinsel Rügen stehen weitgehend still. Seit dem 14. Dezember sei dort kein Flüssigerdgas mehr angelandet worden, berichtet die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Im vergangenen Jahr habe die Auslastung nur acht Prozent betragen. Das Terminal sei, anders als behauptet, nicht für die Versorgungssicherheit notwendig.

Mit dieser Begründung und einem vermeintlichen Energienotstand war seinerzeit der rasche Bau der Anlage begründet worden, der an allen sonst üblichen umweltrechtlichen Auflagen vorbei erfolgte. Der örtlichen Bevölkerung wurden die sonst üblichen Mitspracherechte weitgehend entzogen. Diverse Klagen von Umweltverbänden, dem benachbarten Ostseebad Binz, privaten Anwohnern sowie dem Deutschen Jugendherbergswerk, das in etwas mehr als vier Kilometern Entfernung in Prora eine Herberge betreibt, sind bisher vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert. Im September 2023 hatte das Gericht damit argumentiert, dass eine Gasversorgungskrise vorliege und der Planfeststellungsbeschluss für Mukran daher rechtens sei.

Davon kann nach Ansicht der Umwelthilfe inzwischen nicht mehr die Rede sein, wobei auch im vorhergehenden Winter schon die Speicher gut gefüllt blieben. Nicht einmal zehn Schiffe hätten 2024 Mukran angelaufen, berichtet die DUH nach Auswertung der Plattform »Gas Infrastructure Europe«, auf der alle LNG-Lieferungen angezeigt werden müssen. Für die Nachbarn des Terminals in Binz und Sassnitz ist die geringe Auslastung sicherlich auch ein Segen, denn sie bedeutet weniger Lärm und Schadstoffemissionen. Das Terminalschiff erzeugt seinen benötigten Strom nämlich nach wie vor mit den Schiffsmotoren, statt über einen Landanschluss, wie es eigentlich in der Betriebsgenehmigung vorgesehen ist.

Das Terminal auf Rügen besteht aus zwei Einheiten, eines zur Speicherung und eines zur Regasifizierung von angelandetem LNG. Die Kapazität beläuft sich auf 13,5 Milliarden Kubikmeter. Eine Pipeline am Boden des Greifswalder Boddens bringt das Gas nach Lubmin ans Festland, wo auch die inzwischen weitgehend zerstörten Nord-Stream-Pipelines enden. Die von der Insel nach Lubmin führenden Röhren waren, wie seinerzeit berichtet, erst Anfang 2024 durch ein wichtiges Laichgebiet des bedrohten Ostseeherings verlegt worden, genehmigt vom fachfremden Bergamt in Stralsund, ebenfalls ohne Umweltverträglichkeitsprüfung.

Die Deutsche Regas war erst 2022 von Branchenneulingen gegründet worden. Geschäftsführer Ingo Wagner hat nach Recherchen des Rechtsanwalts Reiner Geulen, der die Gemeinde Binz vertritt, früher eine Firma auf den Caymaninseln geführt, die als sogenanntes Steuerparadies gelten. Das Landgericht München hatte 2023 die Behauptung verboten, mit dem Unternehmen werde Geldwäsche betrieben. Zugelassen wurde allerdings die Feststellung der Gemeinde, dass der Hintergrund der Finanzierung intransparent sei. Geulen hält daher das Unternehmen nicht für vertrauenswürdig genug, um eine störfallgefährdete Anlage zu betreiben.

Die DUH wirft derweil die Frage auf, wie mit der fehlenden Landstromversorgung der Anlagen in Mukran umgegangen werden soll. Nach ihrer Ansicht liegt eine wesentliche Änderung der Genehmigung vor, die eine Öffentlichkeitsbeteiligung voraussetze. Dazu Constantin Zerger, Leiter der Abteilung Energie und Klimaschutz bei der DUH: »Statt ihre Versprechen zur Einrichtung einer Landstromversorgung zu erfüllen, möchte die Deutsche Regas die Genehmigung ändern lassen. Nachträglich die Spielregeln zu ändern, ist nicht gerade Fair play gegenüber den Anwohnerinnen und Anwohnern, die unter höheren Schadstoffemissionen leiden müssen. Bei dem Projekt ging es der Betreiberfirma ganz offensichtlich nie um die Versorgungssicherheit, sondern allein um ihren maximalen Profit. Die Landesregierung muss jetzt endlich einen Schlussstrich unter dieses Kapitel ziehen. Diese Infrastruktur ist überflüssig und schadet den Menschen und der Umwelt vor Ort.«

Kommentar: Erdgasausstieg jetzt!

Die Angaben über eine Gasmangellage, mit denen ab 2022 die rasante Anschaffung von schwimmenden Flüssigerdgasterminals begründet wurde, waren offensichtlich übertrieben. Vor diesem Hintergrund erscheinen das Aushebeln des Umweltrechts, die Einleitung giftiger Chemikalien in die Nordsee oder die zusätzliche Gefährdung des ohnehin kurz vor dem Kollaps stehenden Bestands des Ostseeherings rund um Rügen in einem neuen Licht. Doch eigentlich ist das alles nichts Neues: Vermeintliche oder tatsächliche Krisen auszunutzen, um widerspenstige gesellschaftliche Bewegungen zu überrumpeln, gehört zum bewahrten Herrschaftsinstrumentarium, dessen sich auch hierzulande Eliten gerne bedienen. Gelegentlich werden zu diesem Zweck Krisen auch durch Arbeitsverweigerung und Aussitzen erst herbeigeführt, wie unter anderem in der Klimapolitik vielfach zu beobachten ist.

Jenseits dieser eher allgemeinen Betrachtung steht generell der Umgang mit der Gasversorgung in Frage. Ein breites Lager der bürgerlichen Parteien verdammt Gasimporte aus Russland und findet dabei auch Unterstützung bei vielen, denen der Klimaschutz ein besonderes Anliegen ist. Allerdings heißt die Alternative bisher Flüssigerdgas aus den USA. Doch das ist noch klimaschädlicher als konventionelles Erdgas, weil beim Fracking und beim Transport viele Treibhausgase freigesetzt werden. Auch sonst ist die Förderung, sowohl die konventionelle als auch das Fracking, für Umwelt und Anwohner zum Teil äußerst belastend.

Daher kann ein Zurück zu russischen Importen nicht die Antwort sein, da Erdgas ein fossiler Energieträger ist, bei dessen Verbrennung oder anderweitiger industrieller Nutzung Treibhausgase freigesetzt werden, die sich langfristig in der Atmosphäre anreichern. Die Bundesrepublik müsste, um auch nur einen halbwegs gerechten Beitrag zur Vermeidung der schlimmsten Klimaveränderungen zu leisten, schon in wenigen Jahren alle Treibhausgasemissionen einstellen. Nicht nur Kohlekraftwerke, sondern auch Gaskraftwerke müssten so schnell wie möglich vom Netz gehen. Daneben müssen Gasheizungen ersetzt werden, indem endlich – wie es schon vor 40 Jahren möglich gewesen wäre, aber im Westen meist vernachlässigt wurde – die Fernwärmeversorgung erheblich ausgebaut und deren Kraftwerke auf Erdwärme und andere regenerative Energieträger umgestellt werden. Die Industrie muss schließlich ihren Erdgasverbrauch beträchtlich einschränken, indem sie zum Beispiel die Produktion von Kunststoffprodukten drastisch reduziert und den noch benötigten Wasserstoff per Elektrolyse statt wie bisher aus Erdgas herstellt. (wop)

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