»Renaissance der Berufsverbote«
Von Niki Uhlmann
Gegen halb sieben drängen rund 100 Anwesende in den Hörsaal 2094 der Humboldt-Universität. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW) hat am Donnerstag abend zur Diskussion über Berufsverbote geladen. Im Zentrum stehen drei Betroffene, die aufgrund ihres politischen Engagements ihren Job verloren oder gar nicht erst bekommen haben. Sie berichten und geben Tips für den Notfall.
»Die Aufarbeitung dauert an«, sagte Martina Regulin, Vorsitzende der GEW Berlin, die den Abend mit Blick auf den Radikalenerlass von 1972 eröffnete. Dessen Folgen für Westberlin zu untersuchen habe der Berliner Senat 2021 auf Drängen der Gewerkschaft beschlossen. Dies sei aber nur der Anfang, so Regulin gegenüber jW, da nur eine Untersuchung, jedoch keine Rehabilitierung der Betroffenen beschlossen worden sei. Tatsächlich sei absehbar, dass viele Geschädigte niemals Gerechtigkeit erfahren werden, ergänzte später Ewald Leppin, Mitglied der AG Berufsverbote der GEW. Statt dessen zögen Berufsverbote wieder in die repressive Staatspraxis ein: Seien es 2023 noch Disziplinarrechtsverschärfungen gewesen, greife man inzwischen auf die niemals ganz abgeschafften Erlasse der 70er Jahre zurück.
Von einer »Renaissance der Berufsverbote« sprach auch Jan-Henrik Friedrichs, Mitarbeiter des besagten Senatsprojekts. »Im Kern geht es um eine Prognose zukünftigen Verhaltens« auf Basis von Mitgliedschaft oder Engagement bei Organisationen. Diese müssten selbst nicht einmal verboten sein, um Anlass zu Zweifeln an der Verfassungstreue zu geben. Die Beweislast würde dabei umgekehrt – Beschuldigte müssten nämlich die Zweifel wieder ausräumen. Selbst die sogenannte Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz (VS) vor Einstellung eines Bewerbers kehre zurück. Letztlich würde der Exekutive bis hin zur Personalabteilung wieder »ungeheure Macht« über die Auslegung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gegeben, womit eine »Gefahr für die Demokratie vom Staatsapparat« ausgehe.
Zuletzt traf es Lisa Poettinger, der in Bayern Ende Januar das Referendariat mit der Begründung verweigert wurde, dass sie die Klimafrage als Klassenfrage begreife. Vor ihr traf es unter anderem Benjamin Ruß, Luca Schäfer und Inés Heider, die als Referenten auf dem Podium saßen. Sie eint, dass sie als Linke Opfer politischer Justiz geworden sind.
Hintergrund der neuen Berufsverbote, waren sie sich einig, sei damals der Kalte Krieg gewesen, heute die Militarisierung der BRD – die »Zeitenwende« sei in Betrieb und Gericht angekommen. Ruß ergänzte, dass einer kriselnden Wirtschaft am Abbau von Profithemmnissen gelegen sei. Dazu zählten auch widerspenstige Beschäftigte, die für Erzwingungsstreiks oder Betriebsratsgründungen werben. Der Ruf nach Demokratisierung der Wirtschaft sei verfassungswidrig, habe man in seinem Fall geurteilt. Das Bekenntnis zur FDGO im öffentlichen Dienst müsse daher gestrichen werden, denn »es öffnet Repressionen Tür und Tor.« Wie er die deutsche Eigentumsordnung finde, wurde auch Schäfer vor Gericht gefragt. Dem Inlandsgeheimdienst, der »unkontrollierbar« und »von Rechtsradikalen durchsetzt« sei, dürfe man nicht länger einräumen, »Munition für Disziplinarmaßnahmen« zu liefern. Betroffene sollten auf den Rückhalt aus Belegschaft und Gewerkschaft bauen. Heider hätten ferner eine Petition und die solidarische Prozessbegleitung geholfen. Wie damals sei Öffentlichkeit der beste Schutz, meinten alle drei. Überdies müssten alle Berufsverbote, auch bei Rechten, bekämpft werden. Alles andere schüre »Illusionen über den staatlichen Antifaschismus«, so Ruß.
»Lasst Luca lehren«, stand auf einer Spendenbox, die während der Veranstaltung durch den Raum gereicht und gut gefüllt wurde. Mindestens zwei Menschen wurden Mitglied der GEW. Rechtsschutz sei nicht alles, hieß es vom Podium, aber ohne Rechtsschutz stehe man schnell vor dem Nichts. Abschließend wurde ein Solidaritätsfoto für Poettinger aufgenommen. Man müsse zeigen, dass im Falle eines Berufsverbots niemand allein kämpfe. Ihr Fall wird nicht der letzte bleiben.
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