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Aus: Ausgabe vom 10.02.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Namibia

Vater der Nation

Nachruf auf den ehemaligen namibischen Freiheitskämpfer und Präsidenten Sam Nujoma
Von Christian Selz, Kapstadt
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Kubas Intervention in Angola brachte auch Namibia die Freiheit: Nujoma in Havanna am 23. Juni 2004

Namibias »Vater der Nation« ist tot. Samuel »Sam« Nujoma, langjähriger Anführer der Befreiungsbewegung SWAPO und erster Präsident nach der Unabhängigkeit 1990, starb am Samstag abend im Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Windhoek. Das teilte der derzeitige Präsident Nangolo Mbumba am Sonntag mit. Nujoma war demnach bereits vor drei Wochen in die Klinik eingeliefert worden und sei nun seiner Erkrankung erlegen. Mit ihm geht im südlichen Afrika der letzte große Befreiungsheld der Generation um Nelson Mandela, Samora Machel und Robert Mugabe.

Geboren 1929 als erstes von elf Kindern eines Kleinbauernpaares im ländlich geprägten Norden des Landes, ging Nujoma in eine finnische Missionsschule – bis zur 8. Klasse, mehr gestattete das Besatzungsregime des südafrikanischen Apartheidstaats schwarzen Kindern nicht. Mit 17 Jahren zog Nujoma zu einer Tante in die Hauptstadt Windhoek, wo er sich als Vertragsarbeiter bei der Eisenbahn verdingte. In Abendkursen lernte er Englisch und fand zugleich seine politische Heimat. Zu dieser Zeit wurde der Herero-Chief Hosea Kutako, der sich für ein Ende der Apartheid-Besatzung im damaligen South-West Africa einsetzte, zu Nujomas politischem Mentor. Gemeinsam mit anderen schwarzen Arbeitern organisierte er in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre den Widerstand gegen die von seiten der Staatsmacht betriebene Zwangsumsiedlung von einem Township in ein anderes. Am 10. Dezember 1959 schlug die Polizei die Proteste blutig nieder. Elf Demonstranten wurden erschossen, 44 verletzt.

Chef der SWAPO

Nujoma wurde im selben Jahr an die Spitze der damaligen Owambo People's Organisation gewählt. 1960 ging sie in der SWAPO auf, der ebenfalls Nujoma vorstand. Gemeinsam mit Kutako wandte er sich schon damals mit Petitionen an die UNO, um einen Abzug der Besatzungsmacht und Unabhängigkeit für sein Land zu fordern. 1960 ging Nujoma schließlich ins Exil, wo er bis zur Befreiung Namibias 1989 weitestgehend bleiben sollte. Mit einer Ausnahme: Als das südafrikanische Regime vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag behauptete, namibischen Exilanten stehe es frei, in ihre Heimat zurückzukehren, wagte Nujoma den Test. Zusammen mit Hifikepunye Pohamba, der knapp vier Jahrzehnte später sein Nachfolger im Amt des Präsidenten werden sollte, charterte er ein Flugzeug und landete in Windhoek. Bei der Ankunft wurden beide festgenommen und am 21. März 1966 ins benachbarte Sambia abgeschoben. Es ist wohl der Ironie des Schicksals geschuldet, dass Namibia ausgerechnet an einem 21. März im Jahr 1990 offiziell seine Unabhängigkeit feiern durfte. Bis dahin war es allerdings noch ein weiter Weg, an dem Nujoma entscheidend beteiligt war.

In den ersten Jahren seiner SWAPO-Präsidentschaft setzte er die Versuche fort, bei der UNO einen Abzug der Südafrikaner zu erwirken. Als die Vereinten Nationen Pretoria 1966 zwar das Mandat für Namibia entzogen, die Südafrikaner aber keinerlei Anstalten zum Abzug machten, nahm die SWAPO mit ihrem bewaffneten Arm, der South West Africa Liberation Army (SWALA, später People’s Liberation Army of Namibia, PLAN), den bewaffneten Kampf auf. Der Legende nach war es Nujoma persönlich, der die erste Waffenlieferung aus Algerien in das Militärausbildungslager Omugulugwombashe nahe der Grenze zu Angola schmuggelte. Das erste Gefecht war allerdings ein Hubschrauberangriff der südafrikanischen Truppen, dem zwei SWALA-Kämpfer zum Opfer fielen. Auch danach gestaltete sich der Kampf gegen die vom Westen unterstützte militärische Übermacht Pretorias häufig schwierig und verlustreich.

Die SWAPO-Führung unter Nujoma verfolgte daher einen zweigleisigen Ansatz zur Befreiung des Landes: Einerseits suchte sie insbesondere in sozialistischen Staaten, zunächst in der Sowjetunion, Unterstützung für den bewaffneten Kampf. Auf der anderen Seite erhielt sie vor allem von skandinavischen Ländern auch zivile Hilfe und nutzte diese Verbündeten auch, um vor der UNO weiterhin an einer diplomatischen Lösung zur Befreiung Namibias zu arbeiten. Durchaus nicht ohne Erfolg: 1973 erkannte die UNO Namibia als alleinigen Repräsentanten des namibischen Volkes an. Am Status quo vor Ort änderte aber auch das wenig.

Hilfe von DDR und Kuba

1977 nahm die SWAPO unter Führung Nujomas, der schon 1962 erstmals die DDR besucht hatte, offizielle Beziehungen zur SED auf. 1978 folgte die Eröffnung einer Botschaft in Ostberlin. Die DDR sollte in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des namibischen Befreiungskampfes spielen, vorrangig durch zivile Hilfe. Hinzu kam ein Kapitel deutsch-namibischer Freundschaft, das an einen der dunkelsten Tage in der Geschichte Namibias anschloss: Am 4. Mai 1978 hatten südafrikanische Kommandotruppen ein Flüchtlingslager der SWAPO im angolanischen Cassinga angegriffen. Etwa 600 Menschen wurden getötet. Nujoma bat daraufhin Erich Honecker, Waisen und Kinder von Guerillakämpfern aufzunehmen. Der Hilferuf wurde erhört. An zwei Schulen in Bellin und Staßfurt wurden fortan etwa 400 junge Namibier von Lehrern aus Namibia und aus der DDR auf eine Zukunft in einem freien und friedlichen Namibia vorbereitet. In Berlin-Buch wurden zudem verwundete PLAN-Angehörige versorgt.

Letzten Endes waren aber weder die Diplomatie im Rahmen der UNO noch der eigene bewaffnete Kampf maßgeblich für die Befreiung Namibias. Es war das Eingreifen eines starken kubanischen Truppenkontingents mit sowjetischer Bewaffnung, welches das Momentum schließlich zugunsten der SWAPO kippen ließ. Pretoria, im eigenen Land durch Streiks und Aufstände in den Townships immer stärker unter Druck, musste erstmals militärische Niederlagen einstecken. Der Mythos der Überlegenheit war dahin, die Heimatfront begann zu bröckeln, weil nun auch weiße Eltern um ihre Söhne weinten. Im September 1989 kehrte Nujoma schließlich ein zweites Mal nach Windhoek zurück. Anders als 1966 wurde er nun nicht verhaftet und abgeschoben, sondern leitete die Verhandlungen zum Übergang seines Landes in die Unabhängigkeit. Er gewann die Wahlen im Dezember desselben Jahres mit absoluter Mehrheit.

Stabile Demokratie

Trotz der starken Unterstützung durch sozialistische Länder und obwohl er einige linke Standpunkte einnahm, sah Nujoma sich nie als Marxist. Er sei Nationalist, nicht Ideologe, erklärte er mitunter. Seine Politik war dann auch eine der nationalen Versöhnung, abzielend auf Souveränität seines Landes bei Beibehaltung der bestehenden Wirtschaftsordnung. Ähnlich wie der African National Congress (ANC) in Südafrika, zu dem seine SWAPO stets enge Kontakte unterhielt und unterhält, akzeptierte Nujoma eine Verhandlungslösung, die die Übergabe der politischen Macht versprach, aber zugleich verlangte, dass die Besitzverhältnisse unangetastet blieben. Entsprechend ist Namibia neben Südafrika bis heute eines der Länder mit der weltweit stärksten Ungleichverteilung von Einkommen und Reichtum. Auch die Landfrage beschäftigt das dünn besiedelte, aber agrarisch geprägte Land bis heute, weil das Gros der nur etwa drei Millionen Einwohner kaum Zugang zu Weide- und Ackerland hat. In den 15 Jahren seiner Amtszeit hatte Nujoma zwar einen Ausgleich versucht. Mit dem Modell »Willing Seller, Willing Buyer« kaufte der Staat Farmen auf, um sie an Landlose zu vergeben. Doch die Initiative blieb ein Tropfen auf den heißen Stein. Gewerkschaften blieben unter Nujomas Führung marginalisiert.

2005 übergab Nujoma die Staatsführung an seinen langjährigen Vertrauten Pohamba. Für Namibia war das ein wichtiger Schritt, weil es eine Festigung der Verfassung und der Demokratie bedeutete. Noch sieben Jahre zuvor hatte die SWAPO-Mehrheit im Parlament eigens eine Verfassungsänderung durchgesetzt, um Nujoma für fünf zusätzliche Jahre an der Macht zu halten. Nach seiner Amtsniederlegung verlieh ihm das Parlament den Titel »Gründungsvater der namibischen Nation«. 2007 trat er nach mehr als 47 Jahren an der Spitze der Organisation auch von seinem Amt als SWAPO-Präsident zurück. Sam Nujoma hinterlässt ein stabiles und befreites Namibia mit einer funktionierenden Demokratie. Er hat sein Land zu seinen Lebzeiten zu einem deutlich besseren Ort gemacht. Die sozialen Verwerfungen in der vom deutschen Kolonialismus und von der Apartheidbesatzung geprägten Gesellschaft hat aber auch er nicht grundlegend beheben können.

Hintergrund: Befreiungskampf in Namibia

Das Gebiet des heutigen Namibia, charakterisiert durch die Halbwüste Kalahari und die älteste Wüste der Welt, die Namib, geriet erst relativ spät ins Visier der Kolonialmächte. Es war ein Bremer Kaufmann namens Adolf Lüderitz, der unter dem Wüstensand Kupfervorkommen vermutete und dem lokalen Nama-Anführer 1883 in einem krummen Geschäft ein großes Areal abkaufte. Auf sein Werben hin proklamierte Berlin Namibia schon ein Jahr später als seine Kolonie. Lüderitz, der ohnehin falsch lag, hatte davon nicht viel. Den zweifelhaften Versuch, seinen ergaunerten Reichtum bei einer Faltbootfahrt auf dem rauhen Atlantik zu bestaunen, bezahlte er mit dem Tod. Der deutsche Kolonialismus fasste dennoch Fuß und führte durch immer neue Landnahmen und die Marginalisierung der Einheimischen schließlich zu bewaffnetem Widerstand aus den Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama. Dieser erste Befreiungskampf Namibias wurde von deutschen Truppen mit äußerster Brutalität niedergeschlagen. Der militärischen Unterwerfung folgte zwischen 1904 und 1908 ein Völkermord, dem zwischen 60.000 und 100.000 Menschen zum Opfer fielen.

Sechs Jahre später endete die deutsche Vorherrschaft im damaligen Südwestafrika dennoch. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten britische Truppen das Land, unterstützt von Einheiten der damals noch nicht von London unabhängigen Südafrikanischen Union. Nach Kriegsende überließ Großbritannien den Südafrikanern ab 1919 die Verwaltung des Landes.

Offiziell war Namibia nun Mandatsgebiet des Völkerbundes und ab 1946 Treuhandgebiet der Vereinten Nationen. Die Führung in Pretoria bereitete Namibia aber nicht etwa auf eine Unabhängigkeit vor, sondern nahm im Grunde eine De-facto-Annexion vor. Die traditionellen Anführer der einheimischen Volksgruppen wandten sich deshalb schon frühzeitig immer wieder an die Vereinten Nationen, erreichten aber wenig. Ab den 1960er Jahren übernahm schließlich die Befreiungsbewegung SWAPO den Kampf für die Unabhängigkeit – ursprünglich ebenfalls ausschließlich mit Petitionen bei der UNO, seit 1966 auch durch die bewaffnete Konfrontation mit dem Besatzungsregime. Die Folge war ein mehr als zwei Jahrzehnte andauernder Guerillakrieg gegen das südafrikanische Militär, der hauptsächlich im Rückzugsgebiet des bewaffneten SWAPO-Arms People’s Liberation Army of Namibia (PLAN) im Süden Angolas ausgetragen wurde. Durch das Eingreifen kubanischer Truppen sowie durch sowjetische Militärhilfe wurde Pretorias Armee schließlich 1989 zum Rückzug gezwungen. Nach einem Übergangsprozess unter Aufsicht der Vereinten Nationen erhielt Namibia 1990 die Unabhängigkeit. (cs)

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