Botschafter des Friedens
Von Carmela Negrete, Havanna![3.JPG](/img/450/205414.jpg)
»Die Vergangenheit zu vergessen bedeutet, das Risiko einzugehen, die Zukunft wehrlos zu lassen«. Diese Verse des Dichters Félix Pita Rodríguez sendet das kubanische Fernsehen. Die Regierung organisiert Konferenzen für den Frieden, und Hunderte Gäste linker Organisationen greifen tief in die Tasche und kommen nach Havanna, zum Nachdenken darüber, wie diese Welt anders, besser, friedlicher aussehen könnte.
Ende Januar tagte in Havanna die »6. Internationale Konferenz für das Gleichgewicht der Welt«. Einer der bekanntesten Redner war der Soziologe Atilio Borón (81), eine der wichtigsten Figuren unter den marxistischen Intellektuellen Lateinamerikas und ehemaliger Professor an der Universität von Buenos Aires. Für das linke uruguayische Periódico Liberarce interviewte Borón auch Kubas Präsidenten Miguel Díaz-Canel. »Sie wollen uns bestrafen, weil wir uns nicht dem Diktat des Imperiums beugen wollten«, sagte Díaz-Canel. Die Verschärfung der US-Blockade gegen Kuba hätte große Auswirkungen auf das Leben der kubanischen Familien gehabt »mit einem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten sowie an Rohstoffen für unsere Produktionsprozesse«.
Kuba wird eine Aufnahme von Krediten verunmöglicht, gegen Banken, die Beziehungen zum Inselstaat unterhalten wollen, werden Sanktionen angedroht. So wird Angst und Unsicherheit bei jenen erzeugt, die mit Kuba Handel treiben wollen. Die Blockadepolitik betreffe Unternehmer und Völker auf der ganzen Welt, »selbst in den Vereinigten Staaten, wo es Unternehmen gibt, die gerne mit Kuba handeln würden«. Díaz-Canel ist sich sicher: »Wir wissen, dass dies keine Politik des Volkes der Vereinigten Staaten ist, sondern die ihrer Regierenden und ihres kriminellen kapitalistischen Systems.«
Der brasilianische Theologe Frei Betto (80) war einer der besonders erwarteten Redner auf der Konferenz. Der Befreiungstheologe sprach über die »Plage, die der Aufstieg von Figuren wie Milei oder Trump als eine Phase der Hyperkonzentration des Reichtums weltweit« beschreibt. Der Kapitalismus installiere »Clowns in den Regierungen, die das Publikum unterhalten, bei allem Respekt für die Arbeit der echten Clowns«. Solche Leute wollten den Verwaltungsapparat vernichten und lenkten die Wut der Menschen vom Kapitalismus gegen Migranten, Muslime und die »üblichen Sündenböcke«. China und Russland würden als wichtigste Gegner präsentiert und der Multilateralismus als eine gefährliche Ideologie. »Das sind internationale Festlegungen, die fälschlicherweise internationale Beziehungen genannt werden.«
Die Vereinigten Staaten, sagte der Priester, seien diejenigen, die den Terrorismus weltweit gefördert hätten, nicht Kuba. »Die USA haben die größten Attentate auf die Humanität verübt, sie haben zwei Atombomben abgeworfen mit der unmittelbaren Konsequenz, dass 200.000 Menschen gestorben sind.« Betto, der selbst gegen die Militärdiktatur in Brasilien gekämpft hat, erinnerte auch an die rund 600 gescheiterten US-Attentate gegen Fidel Castro sowie an die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht.
Ein ähnlich kritischer Ton bestimmte die Vorstellung der spanischen Übersetzung des Buchs »Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten« des deutschen Autors Werner Rügemer. Der deutsche Anwalt Eberhard Schultz sprach wiederum über die Missachtung der Menschenrechte in Europa und insbesondere in Deutschland.
Die katholische Kirche war auf der Konferenz nicht nur durch Frei Betto vertreten. Auch Papst Franziskus hatte eine Grußbotschaft aus dem Vatikan gesandt und erklärt, dass dieses Forum »eine Gelegenheit« sei, »den Frieden wiederherzustellen und eine Botschaft an alle Menschen zu senden, in denen Hoffnung lebt«. Die Konferenz sei so »plural, offen und multidisziplinär wie der Mensch heute«.
Der Internationale José-Martí-Preis, den die Konferenz regelmäßig verleiht, ging in diesem Jahr an die kolumbianische Hebamme Liceth Angulo Quiñones, die Direktorin der Vereinigung der Vereinten Hebammen des Pazifiks (Asoparupa) ist, eine Basisorganisation, zu der rund 1.600 Hebammen gehören. Laut Satzung ist es das Ziel von Asoparupa, »die Rechte der Frauen zu schützen und das kulturelle Erbe des mit der traditionellen afroamerikanischen Geburtshilfe verbundenen Wissens zu bewahren«; es sei Bestandteil der »immateriellen Werte« der Afrokolumbianer.
Parallel zur Konferenz liefen Dutzende kulturelle Aktivitäten, unter anderem wurde eine von Oliver Stone produzierte Dokumentationsserie mit dem Titel »The war on Cuba« vorgestellt, die in englischer Sprache auf der Webseite »Belly of the Beast Cuba« komplett und kostenlos angeschaut werden kann. Darin erzählt die preisgekrönte kubanische Journalistin Liz Oliva Fernández, wie aufgrund der Sanktionen der Alltag auf der Insel ganz konkret erschwert wird.
Hintergrund: Im Zeichen der Solidarität
Die »6. Internationale Konferenz für das Gleichgewicht der Welt« unter dem Titel »Mit allen und für das Wohl aller« und »Für den Dialog zwischen den Zivilisationen und für eine Kultur des Friedens«, die vom 28. bis 31. Januar 2025 in der kubanische Hauptstadt stattfand, versammelte diesmal mehr als tausend Delegierte aus knapp hundert Ländern. Das »Weltforum für pluralistisches und multidisziplinäres Ideengut«, wie es sich selbst beschreibt, stand im Zeichen der Solidarität mit Kuba und in der Tradition des kubanischen Nationalhelden José Martí. Wie schon in den Jahren zuvor wurde die Veranstaltung von den meisten westlichen Medien weitgehend ignoriert.
Die Konferenz formuliert als Leitgedanken: »Im Kontext eines zivilisatorischen Übergangs, der über das Erbe des Kolonialismus, des Hegemonismus und der Unipolarität hinausgeht, müssen der Multilateralismus und die Nachhaltigkeit der menschlichen Entwicklung das Hauptziel sein.« Kuba richtet die Konferenz unter der Schirmherrschaft der UNESCO, der Organisation Iberoamerikanischer Staaten für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der Stiftung Friedenskultur sowie anderer Organisationen aus. Es kommen Schriftsteller, Historiker, Journalisten, Künstler und Politiker zusammen, Ökonomen, Wissenschaftler und Intellektuelle, aber auch Gewerkschafts- und Religionsführer, außerdem Vertreter von NGOs, Frauen-, Jugend-, Bauern- und Umweltschutzorganisationen aus fünf Kontinenten. Finanziert wurde das Treffen erneut mit den Teilnahmegebühren, jeder Teilnehmer trug die Kosten für seinen Aufenthalt selbst. Der Dialog zwischen den Zivilisationen, der menschliche Fortschritt und eine neue Weltordnung im Zeichen der Solidarität standen im Mittelpunkt der Tagung. (cn)
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Im Mangel unverdrossen
vom 13.02.2025