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Aus: Ausgabe vom 13.02.2025, Seite 16 / Sport
Boxen

Explosiver Punch

Der Berliner Verein »Hauptstadt-Boxen« expandiert mit klarem Konzept. Ein Besuch des Leistungszentrums im Wedding
Von Oliver Rast
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Gruppenbild ambitionierter Talente: Unter anderem mit Rihano Kwiek (2. v. l.) und Erik Gharssajan (2. v. r.)

Seinem strengen Blick entgeht nichts. Der Blick passt zu Ewgeni Schäfer, dem Trainer des jüngst eröffneten Leistungszentrums des Berliner Vereins »Hauptstadt-Boxen«. Einem Gym mit Flachring samt Sandsäcken, Geräteecke und Freifläche für Partnerübungen. Dazu ein bisschen Deko, vier Fahnen mit Berliner Landeswappen hängen von der Decke. Eine Prise Lokalpatriotismus muss sein.

Schäfer – weißgrauer Haarkranz, getrimmter Vollbart und schmale Lippen – streift wie bei einem Slalomparcours durch die Reihen seiner Schützlinge. »Hey, Jungs, arbeiten, nicht schlafen.« Schattenboxen steht auf dem Programmzettel. Führhand, Schlaghand, Führhand, samt Tempowechsel. Auf einem Bein, wohlgemerkt. Anfangs sei das Training eher locker gewesen, nun nicht mehr, sagt der 51jährige im Gespräch mit jW und zieht beim Sprechen die rechte Augenbraue über Stirnfalten. Die Auswahlkriterien würden halt anspruchsvoller.

Der in der damaligen kasachischen Sowjetrepublik geborene Schäfer kennt die Härte des Boxsports, schließlich hatte er als Heranwachsender auf einer Boxeliteschule in Sibirien das Handwerk des gepflegten Faustkampfs erlernt, seinen Schliff bekommen. »Das prägt mich bis heute.«

Jungspunde im Schweiß

Die, die da so auf Kommando taktvoll auf Temperatur kommen, gehören zur Wettkampfgruppe der drei hauptstädtischen Vereinsstandorte. Fixer Belastungstest immer dienstags 18 Uhr für die rund zwei Dutzend ambitionierten Athleten zwischen 13 und 27 Jahren. So auch Anfang Februar. Der Ort, einer mit Geschichte. Parterre in einem Werks- und Wohnkomplex der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) aus den späten 1920er Jahren in der Müllerstraße; dem sogenannten »Hof Mül«, wie ihn die BVGer bis heute nennen. Mittenmang im alten Arbeiterquartier Wedding im heutigen Innenstadtbezirk Mitte.

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Eingangsbereich der hauptstädtischen Faustkämpfer im alten Werks- und Wohnkomplex der BVG

Während drinnen Schweißperlen über Haaransatz, Stirn, Wangen und Kinnspitzen der Jungspunde kullern und die ersten Pausbäckchen purpurrot anlaufen, zischen draußen nasskalte Böen über Gehwegplatten, dabei besprenkeln Graupelkörnchen die breite Fensterfront der Trainingsstätte. Schäfer hält unterdessen seine Musterschüler auf Trab. »Bandagen an, Handschuhe rüber, ran an die Sandsäcke.«

Gründer und Ideengeber von »Hauptstadt-Boxen« ist Eldin Lekusic. Kurz nach Beginn der Coronakrise 2020 hatte der Deutsch-Bosnier sein Projekt aus der Taufe gehoben. Eine gemeinnützige Boxsportschule mit integriertem Boxverein. Zu einem Zeitpunkt also, als Sportstätten phasenweise aufgrund der Lockdowns dichtmachen mussten. Risikoreich, oder? Lekusic zuckt kurz mit den Schulter, schaut auf – und sagt gegenüber jW schmunzelnd: »Boxen ist Risiko. Und wir gehen ins Risiko.« Habe er den Schritt bereut? Keinesfalls. Lekusic: »Wir bauen ›Hauptstadt-Boxen‹ systematisch auf, Step by Step.« So wie die einzelnen Gyms. Zuerst in Steglitz, dann in Charlottenburg, nun auch in Mitte. Besonders dankbar ist er dem BVG-Vorstand. »Es ist schön, dass wir auf dem Areal des traditionsreichen Betriebshofs mit unserem Leistungszentrum unterkommen konnten.«

Der Verein ist als Neuling schon ein Selbstläufer. Kaum ausgesprochen, schreiten zwei dynamische Mittzwanziger durch den Eingangsbereich mit dem Vereinsaufsteller in den Trainingsraum. Lekusic hat das Duo erwartet, drückt ihnen Mitgliedsanträge in die Hand. »Wir haben beim Vorbeifahren das Gym gesehen, kommen eigentlich vom Ju-Jutsu, wollen jetzt mal Boxen lernen«, sagt einer auf Nachfrage des jW-Autors.

Eine kleine Szene, die Lekusic bestätigt. Was ihm ferner wichtig ist: »Für viele Jungs auf der Straße sind wir eine Anlaufstelle.« Wie das? Dort, wo Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter nicht weiterkämen, springe der Verein samt Trainern ein. Hilfestellungen, nicht nur im Sport, sondern weit darüber hinaus. Auch das zeigt sich prompt. »Abdul, morgen gehst du zum Arzt, direkt nach der Schule, verstanden«, mahnt Lekusic. Dringend notwendig, denn Abduls rechter Mittelhandknochen wirkt arg lädiert. Und schmerzt.

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Ein Trainertrio, das noch viel vorhat: Darko Vrataric, Eldin Lekusic, Ewgeni Schäfer (v. l. n. r.)

Alter Haudegen im Team

Schäfer zieht nochmals das Tempo an. Schlagkombinationen. »Körper, Körper, Kopf, Kopf, los, 30 Sekunden noch.« Der Übungsleiter bleut seiner Schar ein: Bereits nach dem ersten Gong dem Ringrichter signalisieren, wer im Seilgeviert der Chef ist. Und: »Keine Spielchen, Jungs, jede Aktion des Gegners kontern.« Starker Tobak, harte Gangart, klares Ziel.

Lekusic will dem Autor eine weitere Neuverpflichtung in seinem Stab vorstellen. Darko Vrataric. Ein alter Haudegen, 71 Jahre, der locker am lauwarmen Heizkörper an der Wand zwischen zwei Fenstern lehnt. Der Kroate war bereits im früheren Westberlin als Amateurboxer aktiv. Einer, der morgens bis nachmittags im Siemens-Werk in Spandau ackern ging, um sich abends beim Spandauer Boxclub auf Bundesliga- und Städtekämpfe vorzubereiten. Seit 1986 ist er Trainer, hat zahlreiche Stationen durchlaufen, beispielsweise seinen Landsmann Željko Mavrović für den WBC-WM-Titelclinch im Schwergewicht gegen Lennox Lewis fitgemacht, im September 1998 in Uncasville, Connecticut, war das.

Bis dahin ist es für Rihano Kwiek, 18 Jahre, noch ein weiter Weg. Eine Etappe hat er aber schon absolviert, Dritter bei der Deutschen Meisterschaft 2024 der U19 im bayrischen Königsbrunn im Limit bis 67 Kilogramm. Das reicht ihm längst nicht. Der Weltergewichtler will hoch hinaus, erzählt er jW, ganz weit nach oben. »Dafür tue ich alles.« Spürbar, selbst im Training. Kwiek, ein explosiver, geradezu aggressiver Puncher. Ein weiteres Talent ist Erik Gharssajan. Der smarte 16jährige ist schnell auf den Beinen, swingt förmlich mit Hüfte und Oberkörper und besticht mittels Führhand. Noch fehlt ein bisschen Wumms in der Nahdistanz. Wie Vereinskumpel Kwiek hat Gharssajan viel vor – perspektivisch final eins: Gold bei Olympia.

Coach Schäfer läutet die letzte Runde ein. Dehnen. Auch hier, sein Blick bleibt wach, seine Ansagen sind konkret. »Weiter runter, Brust Richtung Knie, ich komm’ gleich helfen.« Wenig später ist Schicht. Für heute. Zum Abschluss bittet der Autor zum Gruppenfoto. »Darin sind wir Weltmeister«, sagt Schäfer schnippisch. Und die ausgepowerte Wettkampfgruppe von »Hauptstadt-Boxen« lacht kollektiv auf.

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