Hilfloser Antifaschismus
Von Susann Witt-Stahl
Die Luft wird dünn für Antifaschisten in Deutschland. Das gilt zumindest für alle, die den Imperativ »Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln« noch in seiner ganzen historischen Tragweite begreifen wollen. Dazu gehört heute mehr denn je seit 1945, sich nicht mit den sozialchauvinistischen Kräften gemein zu machen. Denn sie erweisen sich gegenüber den für den NATO-gestützten deutschen Imperialismus nützlichen Faschisten bestenfalls als blind. Der rechte Historiker Heinrich August Winkler hatte sie zu Recht als »posthume Adenauer’sche Linke« gewürdigt.
Sie erhoben schon keinen Einspruch, als die Schlägertrupps des »Rechten Sektors« auf dem »Euromaidan« in den Medien zu »Radikal-Demokraten« mutierten. Und sie tun das auch nicht, seit das kriegstüchtige Deutschland die mittlerweile in die ukrainische Armee integrierten Faschisten nach NATO-Standard aufrüstet. Wer solche Ungeheuerlichkeiten, womöglich sogar im historischen Kontext des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion, kritisiert, wird der »fünften Kolonne des Kremls« zugeordnet, und dies – unter dem Motto »Gut, wenn es ein Linker tut« – auch zunehmend von Nazigegnern, die Faschismus weitgehend auf AfD reduzieren.
Verfälschen und vertuschen
So geschieht es der Herausgeberin und den Autoren des im Verlag 8. Mai erschienenen Dokumentationsbands der von jW und M&R veranstalteten Konferenz »Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke«, die im Oktober 2023 in Berlin stattgefunden hatte: Ihnen wird im Organ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Antifa, Rechtfertigung des »russischen Expansionskriegs« unterstellt. Dafür schreibt Thomas Hacker, der Autor, Jürgen Lloyd, Vorstandsmitglied der Marx-Engels-Stiftung, der einen faschismustheoretischen Beitrag zum »Bandera-Komplex« geliefert hat, die Aussage zu, in der Ukraine handle »es sich um eine ›faschistische Herrschaftsform‹«. Und Hacker weiter: »Daraus folgert er [Jürgen Lloyd] dann, dass der Überfall ein antifaschistischer und ›ein gerechter Krieg ist, ein Krieg, bei dem die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung das Interesse haben, dass er siegreich verläuft‹.«
In Wahrheit behauptet Lloyd weder das eine noch das andere. Im Gegenteil: Er vertritt die These, dass die Russische Föderation zwar einen Verteidigungskrieg gegen den kollektiven Westen führt, aber keinen antifaschistischen, weil ihr Klassencharakter das nicht zulasse (Lloyds Aussage über den »gerechten Krieg« bezieht sich gar nicht auf die Ukraine, sondern auf den Spanischen Krieg gegen Franco und den Abwehrkampf der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland). Und den »Übergang zur faschistischen Herrschaftsform« in der Ukraine betrachtet Lloyd lediglich als »Option« und drohende Gefahr – nicht als bereits vollzogenen Prozess.
Für diese Falschbehauptungen verlangte Lloyd von den Redaktionsleitern des Antifa-Magazins, Nils Becker und Andreas Siegmund-Schultze, eine Gegendarstellung. Diese wurde verweigert. Da Lloyd mit der zweiten Falschbehauptung faktisch der Billigung eines Angriffskriegs – nach deutschem Recht eine Straftat, wie der Antifa-Redaktion bekannt sein dürfte – verdächtigt wird, blieb ihm nichts anderes übrig, als beim Gericht einen Antrag auf Unterlassung einzureichen. Dass dieser mit der Begründung abgelehnt wurde, Hackers falsche Darstellungen seien von der »Meinungsfreiheit« gedeckt, sollte in der »Zeitenwende«-Gesellschaft nicht überraschen.
Noch gravierender sind Fälschungen in einem Magazin, dessen Name Programm sein sollte, wenn es um die Geschichte faschistischer Traditionen geht. Autor Hacker, der von der VVN-BdA als »Ukraine-Kenner« vorgestellt wurde, bezeichnete die im »Bandera-Komplex« dargelegte historische Tatsache, dass die Kiewer Streitkräfte den Ruf »Slawa Ukraini!« (Ruhm der Ukraine) von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) übernommen haben, als »Legende« – mit der Begründung, dieser stamme aus dem 19. Jahrhundert. Das ist so aberwitzig, wie die Grußformel »Sieg Heil!« dem frühen Sandalenstummfilmkino zuzuordnen, wo sie tatsächlich auftauchte, und nicht Mussolini und Hitler. Zutreffend ist, dass der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko den Ausruf »Slawa Ukraini!« 1840 schon einmal verwendet hatte. Aber historisch relevant wurde er erst durch die OUN und deren Vorläufer. Der Bandera-Flügel der Ukrainischen Nationalisten (OUN-B) hatte ihn auf seinem Kongress im April 1941 offiziell mit der Antwort »Gerojam Slawa!« eingeführt – so wird das Ritual von der ukrainischen Armee seit 2018 praktiziert (im alltäglichen und zivilen Gebrauch wird der zweite Teil meist weggelassen). Der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe hat belegt, dass die deutsche Wehrmacht beim Einmarsch in die Westukraine von der OUN-B und ihren Anhängern während der Pogromtage im Juni/Juli 1941 mit den Rufen »Heil Hitler!« und »Slawa Ukraini!« empfangen wurde. Im vergangenen Jahr stellte der ehemalige Leiter des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung, Wolodimir Wjatrowitsch, unmissverständlich klar: »Slawa Ukraini!« muss bis heute als »Bandera-Gruß« verstanden werden. Einen Anhaltspunkt, warum Hacker abstreitet, was selbst die Bundeszentrale für politische Bildung zugegeben hat, liefert die im »Bandera-Komplex« enthaltene Kritik an der Geschichtsvergessenheit von Olaf Scholz: Der Kanzler hat den Gruß der Faschisten, deren Anführer Adolf Hitler die Treue geschworen hatten, wiederholt ausgestoßen. Den »Ukraine-Kenner« treibt offenbar das Verlangen, diese Schande zu vertuschen.
Schutzbehauptungen und Gehorsamsübungen gegenüber der Bundesregierung bilden das Leitmotiv in Hackers Rezension. In seinen Anwürfen, im »Bandera-Komplex« würden »Schwurbler« walten, dort habe alles seinen »Platz und seine Funktion« wie »bei jedem Verschwörungsnarrativ«, manifestiert sich eine realitätsverweigernde konformistische Haltung, laut der nicht sein kann, was besonders in Deutschland nie (wieder) sein darf: dass der Kapitalismus grob werden muss.
Kreml-Propaganda-Alarm
Auch in der von Hacker als Aufklärung gepriesenen VVN-BdA-Podcastreihe zum Ukraine-Krieg vom Mai 2022 ist Verblendung Programm. Allein die Auswahl der Experten für die Gesprächsrunde über den ukrainischen Nationalismus ist ein Bekenntnis. Ausgerechnet mit Unterstützung von drei Jungle World-Autoren wollte Moderatorin Maxilene Schneider, Historikerin und Referentin für Geschichts- und Erinnerungspolitik der VVN-BdA, den »Finger in die Wunde« legen: Der ukrainische Aktivist Stanislav Serhiienko, der kurz vorher bezeugt hatte, die rot-schwarzen Fahnen der OUN-B und ihres paramilitärischen Arms Ukrainische Aufständische Armee (UPA) seien »mittlerweile so gut wie verschwunden«, bezifferte den Anteil von »Rechtsradikalen« unter den ukrainischen Kämpfern mit »wahrscheinlich ein Prozent«. Das geschah, während ukrainische Politiker und Militärs in Bandera-Besoffenheit wetteiferten, die neonazistische »Asow«-Bewegung diverse neue Einheiten aufstellte (zum Beispiel »Kraken« existierte zu diesem Zeitpunkt schon und hatte gerade das Denkmal des Rote-Armee-Marschalls Georgi Schukow in Charkiw zerstört) und andere faschistische Kampfverbände wie »Rechter Sektor«, »OUN«, »Karpaten-Sitsch«, »Swoboda«, »Ajdar«, »Bratswo« etc. in der Armee und Nationalgarde ausgebaut wurden. Dort dürfen die unzähligen Neonazis auch in anderen Einheiten ihre SS-Runen oder Dirlewanger-Truppenkennzeichen zur Schau stellen. Und für die ukrainischen Streitkräfte in toto gilt: Von der Kopfbedeckung bis zum »Marsch der Ukrainischen Nationalisten« – sie stehen fest in der Tradition der OUN und UPA, deren Rechtsstatus als »Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine« 2015 in Gesetze gegossen wurde – obwohl diese am Holocaust beteiligt waren.
Als Politikwissenschaftlerin Lara Schultz herausrutschte, dass es »viele extrem rechte Bataillone et cetera gibt«, wofür sie sich sogleich entschuldigte, kam sofort der Ordnungsruf der VVN-BdA-Moderatorin: Schneider löste mit dem Zitat aus dem Podcast-Publikumschat »Ihr produziert hier das Putin’sche Narrativ« sofort Kreml-Propaganda-Alarm aus und vermutete, »dass wir noch mal was geradeziehen müssen«. Das geschah dann auch: Die Faschisten unter dem Kommando eines banderistischen Oberbefehlshabers, Walerij Saluschnij, und ein ukrainisches Verteidigungsministerium, das die jährlichen »Bandera-Lesungen« unterstützt, hielten sie nicht davon ab, ihre vorherigen Ausführungen zu konterkarieren: »Dass es Nazikameradschaften und sonstige Gruppierungen gibt, heißt auch nicht, dass es irgendeine Verbindung zu Staat, Regierung und zu sonst wem gibt«, so Schultz. Schließlich verstieg sie sich noch zu einer grotesken Behauptung: »Die Ukraine ist ein demokratisches Land, und da kannst du demonstrieren«, lobte Schultz einen Staat, der sämtliche kommunistischen und sozialistischen Organisationen, Symbole, Publikationen, oppositionellen Parteien und Medien verbieten, Friedensaktivisten und Antifaschisten vom SBU mit Hilfe von Nazischlägern brutal verfolgen und einsperren ließ.
Auch vor mehr als fragwürdigen Vergleichen wurde in der VVN-BdA-Runde nicht Halt gemacht: Die »Massivität der Gewalt« der russischen Armee, etwa in Kiewer Vororten – »das sind ganz spezifische Praktiken, die mir von der Wehrmacht bekannt sind«, konstatierte Johannes Spohr. Der Historiker spielt regelmäßig die Gefahr des ukrainischen Faschismus herunter. 2023 deklarierte er die Ehrung des Ex-SS-Manns Jaroslaw Hunka durch das kanadische Parlament als »unangenehmes Versehen« – die Tatsache ignorierend, dass OUN-B-Organisationen unter anderem sogar Mittel zur Finanzierung ihrer Erinnerungspolitik für Hitlerkollaborateure von der Regierung in Ottawa erhalten. Entsprechend hatte Spohr in der VVN-BdA-Sendung an den Säuberungen der Ukraine vom sowjetischen Erbe lediglich auszusetzen, dass sie »unbeholfen« durchgeführt werden, und fand es »zynisch, beispielsweise ›Asow‹ als Grund anzuführen, die Ukraine nicht zu unterstützen«. Die VVN-BdA-Referentin nahm daran keinen Anstoß. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, an die Grundgewissheit sogenannter wertebasierter deutscher Russland-Politik zu erinnern: Putin unterhält ein »Regime«, Selenskij eine »Regierung«.
Unter dieser schrägen Prämisse lief auch der VVN-BdA-Podcast über den »großrussischen Nationalismus«: Michael Brumlik, ehemaliger Leiter des Fritz-Bauer-Instituts und einer der vier geladenen Experten, befand, dass man Russland »durchaus nicht unbedingt direkt mit dem nationalsozialistischen Deutschland, wohl aber mit Italien, mit dem Spanien von Franco, mit dem Portugal von Salazar und dem Rumänien der Zwischenkriegszeit nicht nur vergleichen, sondern gleichsetzen« könne. Solche Regimes gehörten »von Anfang an eingegrenzt«, apostrophierte Brumlik den strategischen Gebrauchswert seines Faschismusvergleichs für den imperialen Westen. Mit dabei auch die Russland-Korrespondentin der Jungle World, Ute Weinmann, die eine »Gegneranalyse« über Russland als Vorbild der Neuen Rechten für die Neocon-Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne angefertigt hat – deren Kochefin Marieluise Beck bewundert die »Asow«-Krieger als Freiheitshelden (»sie kämpfen auch für uns«). Folglich verhandelte Weinmann den Machteinfluss von Nazis und anderen Faschisten in der Ukraine als »Narrativ« russischer »Ideologieproduktion«.
Restaurationskurs
Letztlich wurde in den Podcasts nur der »Finger in die Wunde« der selektiven Wahrnehmung des VVN-BdA-Establishments gelegt. Dieses marschiert längst im Takt der »normalisierten« und auf den Kurs der deutschen Restauration eingeschwenkten Linkspartei. Eine tapfer und beharrlich an friedenspolitischen Grundsätzen festhaltende Basis nötigt noch zur Zurückhaltung, aber der VVN-BdA-Vorstand vollführt immer häufiger Eiertänze mit transatlantischem Ausfallschritt. So in seiner Erklärung »zum Überfall auf die Ukraine« vom 24. Februar 2022: Cornelia Kerth und Florian Gutsche verurteilten scharf die »nackte Gewaltpolitik« des »Putin-Regimes«, nicht aber die zum Teil rabiat durchgesetzte NATO-Osterweiterung, die sie euphemistisch »Bestrebungen mittelosteuropäischer Staaten nach wirtschaftlicher und militärischer Integration« nannten, die von Deutschland »gefördert« und von Moskau »als Bruch von Versprechungen und Akte der Aggression interpretiert« werde (der Maidan-Coup und Kiews »Antiterroroperation« gegen die eigene Bevölkerung wurden nicht erwähnt).
Und während das VVN-BdA-Establishment keine Gelegenheit versäumt, die »Instrumentalisierung« des antifaschistischen Großen Vaterländischen Krieges auf russischer Seite zu geißeln – bei der heteronomen Vereinnahmung durch Zaristen und andere Nationalisten berechtigt –, begünstigt es mit Berufung auf die Geschichte deren Klitterung auf der Gegenseite: In der Ukraine würden »die Enkel der Opfer des deutschen Faschismus« heute »aufeinander schießen«, walzte die VVN-BdA Berlin in ihrer Erklärung zum 8. Mai und 9. Mai 2024 einen Unterschied nieder, der einer ums Ganze ist: Auf der ukrainischen Seite der Front kämpfen Legionen stolzer Enkel der Täter, die den Bandera-Kult ihrer Ahnen zelebrieren und sich mit den Insignien von Hitlers Hilfstrupps schmücken.
Desorientierung kommt von Demagogie. Einige VVN-BdA-Funktionäre hängen bereits an den Lippen der Informationskrieger des militärisch-industriellen Komplexes der NATO. Bundesgeschäftsführer Thomas Willms bewarb im Antifa-Magazin das Institute for the Study of War (ISW), das den Irak-Krieg und andere Angriffskriege des Welthegemons befeuert hat, als »seriöse Quelle« über den Ukraine-Krieg – es sei »eine Fehleinschätzung, im ISW eine Abteilung des US-Militärs zu sehen«, weiß Willms. Nicht minder heiß empfahl er die »spannenden Analysen« und »Zahlenwerke« von Marcus Keupp. Der Militärökonom hatte den Sieg über Russland für Oktober 2023 vorausberechnet. Seit dieser auf unbestimmte Zeit verschoben ist, predigt er den Krieg der unbegrenzten Möglichkeiten in der »welthistorischen Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus, der wieder [sic!] versucht, nach Europa vorzudringen«.
Antifa von oben
Auf dem Niveau fixierter Ideologie unter den Vorzeichen des militaristischen Umbaus von Staat und Gesellschaft fußt auch die Broschüre »Versuche rechter und verschwörungsideologischer Einflussnahme auf die Friedensbewegung«, die die VVN-BdA gemeinsam mit ATTAC, der DFG-VK und deren Bertha-von-Suttner-Stiftung unter dem Titel herausgegeben hat. Der Autor stammt aus dem Milieu der »Antideutschen«, agiert unter dem Namen »Lucius Teidelbaum«* in der Jungle World, für Die Linke, SPD- und Grünen-nahe NGOs – etwa die Heinrich-Böll-, ebenso die Amadeu-Antonio-Stiftung, die im Informationsaustausch mit dem »Verfassungsschutz« genannten Inlandgeheimdienst steht und auch Projekte der VVN-BdA fördert.
Folglich fokussiert »Teidelbaums« »Forschungsinteresse« mehr auf »Antiamerikanismus« und »DDR-Antisemitismus« als auf den Revanchismus falscher Friedensfreunde wie Elsässer und Co., die der nächsten »nationalen Erhebung« entgegenfiebern. Nicht nur das: »Teidelbaum« pocht faktisch auf deutsche Kontinuitäten und elaboriert die mit der Ampelaußenpolitik synchronisierten Befunde der VVN-BdA-Podcastreihe zur Apologie des im westgebundenen Globke-Staat wieder erblühten deutschen Imperialismus: Unter dem Motto »Stalinismus-Vorwürfe ziehen immer«, wähnt er eine »neue Sozialfaschismus-These« hinter der Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine als rechte Politik. Ebenso verteidigt »Teidelbaum« die NATO unter anderem gegen die Feststellung, dass despotische Regime zu den Mitgliedern zählen: »Den ›Vereinten Nationen‹ (UN) könnte man ebenso vorwerfen, dass ihnen autoritäre Staaten angehören.« Wer den Unterschied zwischen dem aggressivsten Militärpakt der Welt und dem globalen Staatenzusammenschluss zwecks Friedenssicherung nicht kennt, bearbeitet auch Kritik an der Meinungsindustrie mit dem Ideologieholzhammer des »Antifaschismus« der dummen Kerls. Und so warnt »Teidelbaum« vor einer »Feindlichkeit« gegenüber »etablierten bzw. bürgerlichen Medien« wegen deren transatlantischer Ausrichtung und Regierungsnähe als »Einfallstor« rechter Gefahr. Warum – darüber geben Sekundärquellen wie »Tagesschau«, Spiegel, Tagesspiegel, Taz etc. Aufschluss, auf die »Teidelbaum« seine Expertise stützt.
In der Broschüre der VVN-BdA und ihrer Mitstreiter drückt sich wesentlich ein »hilfloser Antifaschismus« als »integrierender Teil der Restaurationsideologie« aus, den Wolfgang Fritz Haug 1967 rechtskonservativen Faschismusforschern attestiert hatte – und der seit den 1990er Jahren Hochkonjunktur auch in der Linken hat. Das verwendete Vokabular strotzt vor Schlagworten des Aufstands der Unanständigen einer mit Karriereangeboten von vorwiegend steuerfinanzierten »Demokratieförderungs«-Stiftungen geschmierten Antifa von oben: Allen voran »Verschwörungserzählung«, die historisch spezifische Form des Schmähbegriffs »Agententheorie«. Damit wurde früher nicht nur die falsche Reduzierung der Ursachen von Krieg und Krisen auf die Konspirationen von Großkapitalisten kritisiert, sondern von deren Advokaten, wie dem Historiker Henry Ashby Turner, fast alle marxistischen Faschismustheorien diskreditiert. Heute trachten »Antideutsche« und andere Adenauer-Linke mit dem kryptoantikommunistischen Kampfbegriff »Verschwörungsideologie« nach Demontage der Grunderkenntnis des Marxismus von der Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft. Der Publizist Gerd Koenen delegitimiert sogar den Marxismus-Leninismus und dessen Imperialismustheorie als »universelle Verschwörungstheorie«.
Nach diesem Denkmuster werden in der Broschüre von der VVB-BdA und Co. die Horrormärchen der Q-Anon-Sekte nahezu in einem Atemzug mit der Auffassung, die NATO sei vorwiegend schuld am Krieg in der Ukraine und der Einfluss extrem rechter Kräfte dort groß, abgehandelt. Das heißt, rechte Mythen und andere Irrationalismen werden mit von marxistischen Linken vertretenen antiimperialistischen Positionen auf den Nenner »Verschwörungsideologie« gebracht – um schließlich einen neuen »antifaschistischen Grundkonsens« zu fordern: die »nachhaltige Distanzierung von Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen«. Da der Autor bei deren Definition Wahn und Wirklichkeit in eins setzt, hätte eine Einhaltung dieses »Grundkonsenses« die verheerende Konsequenz, dass objektiv auch unbequeme Wahrheiten über den NATO-(Stellvertreter-)Krieg suspendiert und nahezu jeglicher Protest gegen den infernalen Pakt der deutschen Regierung mit Faschisten unterdrückt würde.
Dass VVN-BdA-Historikerin Maxilene Schneider bereits 2022 die längst bewiesene Behauptung, dass Organisationen wie »Asow«, »Rechter Sektor« etc. extra aufgebaut wurden, als »Agententheorie« abtat, zeigt: Auch Funktionäre der VVN-BdA geben sich dafür her, genau den hilflosen Antifaschismus zu liefern, den der deutsche Imperialismus für seine Ideologien zur Formierung einer kriegstüchtigen Volksgemeinschaft braucht – inklusive der einer »Brandmauer«, hinter der Politiker von CDU bis zur Linken schon lange gemeinsame Sache mit der AfD machen, wenn es um die Durchsetzung stets verleugneter gemeinsamer Interessen geht, zum Beispiel die Verstümmelung des Antisemitismusbegriffs zwecks Rechtfertigung israelischer Verbrechen.
Umpolung auf Antisozialismus
»Sicherlich spielt der Kapitalismus eine Rolle, sicherlich auch antisemitische Ideologien und Verschwörungstheorien. Aber natürlich auch das Männerbündische faschistischer Gruppen, Militarismus und militaristische Ideologien« – allein diese Antwort des VVN-BdA-Kovorsitzenden Florian Gutsche auf die Frage, was die Wurzeln des Nazismus sind, spiegelt eine tragische Verwirrung: Der Kapitalismus als totalitär alle Verhältnisse und Menschen beherrschende Produktionsweise wird auf eine Ebene mit Ideologien gestellt, die er selbst produziert, darunter auch faschistische. Und das Gerede von Faschismus, der von Faschismus kommt, ist nicht bloß Nonsens: »Das ist natürlich eine faschistische Behauptung, eine Kapitulation vor dem Faschismus«, wie Brecht 1935 in seinem Traktat »Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit« dem bürgerlich-idealistischen Antifaschismus vorhielt. Seit 1999, als ein Grünen-Politiker den welthistorischen Imperativ »Nie wieder!« als Etikett für die erste offizielle Beteiligung Deutschlands an einem NATO-Angriffskrieg missbrauchen durfte, ist dieser falsche Antifaschismus Praxis geworden und fest in der Staatsräson der Berliner Republik verankert.
Mathias Wörsching, Faschismustheoretiker der VVN-BdA, kritisierte schon vor Jahren »traditionsmarxistische Restbestände«. Er empfahl der VVN-BdA die »neuen« idealistischen Theoretiker, die Faschismus als »Radikalisierung nationalistischer oder auch religiöser Ideologien« auffassen, allen voran Zeev Sternhell. Der israelische Politologe meint, »in vielerlei Hinsicht kann die Geschichte des Faschismus als ein kontinuierlicher Versuch beschrieben werden, den Marxismus zu überarbeiten und eine nationale Form von Sozialismus zu kreieren«. »Neu«? Ähnliche Faschismusinterpretationen finden sich in Friedrich August von Hayeks Bibel des Neoliberalismus, »Der Weg zur Knechtschaft«, von 1944.
Solcher »Antifaschismus« eignet sich vorzüglich als ideologisches Sturmgeschütz gegen die Verdammten dieser Erde. Dass er beim rot-rot-grünen VVN-BdA-Establishment bereits zu Politik geronnen ist, dokumentieren Entgleisungen im Antifa-Magazin nach dem 7. Oktober: Die Vernichtungsdrohungen der von Faschisten durchsetzten israelischen Regierung ausblendend, feierte Markus Tervooren, Landesgeschäftsführer der VVN-BdA Berlin, die Anfeuerungsparolen von Netanjahus Pressure Groups für die Gaza-Massaker – »Peace for the people in Israel – Free Palestine from Hamas – Stop terrorism and fascism – Freedom for all people« – als »sympathische Aktion«. Angeprangert hingegen wurden »linke und antifaschistische Stimmen«, die »den jüdischen Staat, seine Regierung, seine Armee, seine aufgebrachten, leidenden, zutiefst verletzten Menschen reflexartig zur ›Vernunft‹ rufen« und »Kontextualisierung« verlangen.
Wie das Leugnen, Verharmlosen und Verfälschen von »Ukraine-Kennern« der VVN-BdA gegenüber dem »Bandera-Komplex« erweist sich auch der Furor gegen die Kolonisierten lediglich als Symptom eines Antifa-Komplexes geprägt von Opportunismus und Selbstgleichschaltung mit der deutschen Ideologie des Sonderwegs von »Freiheit und Democracy«. Dieser gegenüber ist der hilflose Antifaschismus blind, weil »man in ihr steckt«, wie Wolfgang Fritz Haug damals Adenauers Historikern im Kalten Krieg bescheinigte. Im Rausch der »Zeitenwende« beugt sich der Überbau der VVN-BdA der – um mit Haug zu sprechen –, im Zuge steigender Rechtstendenzen unweigerlich forcierten »Umpolung« dieses bloß formalen Antifaschismus »auf Antisozialismus«. Da ist es kein Wunder, wenn die Agenten des hilflosen Antifaschismus auf ein Buch, in dem dieser durch Untersuchung der Funktion des Bandera-Komplexes mit dem Analysewerkzeug marxistischer Faschismustheorie gegen den Strich gebürstet wird, mit hilfloser Wut reagieren.
* Der Klarname ist der Redaktion bekannt.
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Leserbrief von Ulrich Sander aus Dortmund (21. Februar 2025 um 11:36 Uhr)Die Junge Welt hat eine Konferenz zum Ukraine-Krieg veranstaltet. Sodann wurde aus den Referaten der Konferenz ein Buch zusammengestellt. Dies führte dazu, dass in der Zeitschrift der VVN-BdA „antifa“ eine Rezension zum Buch erschien. Diese gefiel nicht allen, schon gar nicht einem der zitierten Referenten. Der kam auf den Einfall, dagegen juristisch vorzugehen. Er fand kein Gericht, dass sich mit so etwas befasst, klar. Man erinnere sich an Goethe, der Rezensionen ganz und gar ablehnte. Zum Glück ging er nicht vor Gericht, denn das hätte zu seiner Zeit schlimme Folgen für die Kritiker, etwa Kerkerhaft gehabt. Er schrieb dazu: Lasst mich die Rezensionen schreiben, denn ich kenne meine Werke am besten. Ganz anders die Junge Welt. Sie verteidigt das juristische Vorgehen gegen die "antifa" und lässt dazu unter der Rubrik "Das Thema" zwei Seiten gegen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / BdA vom Stapel. Die demokratisch gewählten Gremien der VVN-BdA werden darin ständig als "VVN-Establishment" bezeichnet. Die Autorin liefert mal wieder ein Beispiel ihrer Begriffsstutzigkeit, sie ist unfähig zu begreifen, dass Antifaschismus Bündnispolitik bedeutet, dass die VVN-BdA eine Bündnisorganisation ist. Meine Meinung zu den zwei Seiten: Thema verfehlt, Versetzung gefährdet.
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