Rüstung über fünf Prozent
Von Jörg Kronauer
Drei Prozent? 3,5 Prozent? Fünf Prozent? Kurz vor der Bundestagswahl spitzt sich europaweit die Debatte um die Aufstockung der Militärhaushalte zu. Als nächste Länder nach Polen (2025: 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP), Estland (demnächst fünf Prozent) und Litauen (ab 2026 fünf bis sechs Prozent) haben in dieser Woche Dänemark und Lettland angekündigt, die Ausgaben für ihre Streitkräfte drastisch zu erhöhen. Dänemark will dieses und nächstes Jahr 50 Milliarden Kronen (6,7 Milliarden Euro) zusätzlich in die Rüstung stecken. Das ist fast soviel wie der Wehretat von 2024 (60 Milliarden Kronen) und würde die Militärausgaben auf 3,2 Prozent steigern. Langfristig habe sie einen Anteil von bis zu fünf Prozent im Visier, teilte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit. Lettlands Ministerpräsidentin Evika Siliņa kündigte diese Woche an, der Wehretat ihres Landes werde nächstes Jahr rund vier Prozent des BIP erreichen. Auf längere Sicht strebe sie ebenfalls fünf Prozent an.
Auch in anderen EU-Staaten zeichnet sich eine beträchtliche Aufstockung der Rüstungsausgaben ab. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief am Donnerstag abend die Spitzen sämtlicher in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zu einem Krisentreffen zusammen, um sie unter anderem auf eine deutliche Erhöhung des Militäretats einzustimmen. Es gelte, die französische Bevölkerung auf eine »Kriegsanstrengung« wie noch nie seit 1945 vorzubereiten. Hintergrund war in Paris wie auch andernorts die Befürchtung, die USA könnten im Ernstfall die Staaten EU-Europas ähnlich fallenlassen wie aktuell die Ukraine. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sprach deshalb am Freitag von einer »zweiten Zeitenwende«. Macron begreift dies freilich auch als Chance, die EU endlich als eine eigenständige Militär- bzw. Großmacht neben den USA zu positionieren.
In Spanien wächst der Druck, das Tempo bei der Aufrüstung zu verschärfen. Ministerpräsident Pedro Sánchez bestätigte Anfang der Woche, er strebe eine Aufstockung von aktuell 1,32 auf zwei Prozent des BIP im Jahr 2029 an. In absoluten Zahlen wäre das – Wirtschaftswachstum eingerechnet – ein Anstieg von 17,5 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 36,5 Milliarden Euro 2029. Die konservative Opposition drängt auf drei Prozent des BIP.
In Deutschland dürfte die Debatte nach der Bundestagswahl ebenfalls an Schwung gewinnen. Der Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) erklärte zu Wochenbeginn, »ein Fähigkeitsaufbau« der Bundeswehr sei erst ab einem Wehretat von drei Prozent des BIP möglich. Berlin solle sich dringend »an Polen orientieren«. Bereits zuvor hatte er geäußert, fünf Prozent seien »nicht aus der Luft gegriffen«. Fünf Prozent des BIP wären 2024 mehr als 215 Milliarden Euro gewesen, gut 44 Prozent des Bundeshaushalts von 488,6 Milliarden Euro – ein Beispiel dafür, dass es die echten Dimensionen der Rüstungsausgaben tendenziell verharmlost, wenn man sie in Prozent des BIP anstatt des Staatshaushalts misst.
Dabei sind die Rüstungsausgaben aus Sicht deutscher Militärs mit den Trumpschen fünf Prozent des BIP noch längst nicht am Ende des Kanonenrohrs angekommen. Der ranghöchste deutsche Soldat bei der NATO, General Wolfgang Wien, wurde am Freitag in der in Marburg erscheinenden Oberhessischen Presse mit der Äußerung zitiert, irgendwann einmal dürfe der Wehretat auch wieder »auf drei bis vier Prozent sinken«; vorher müsse er allerdings – »zumindest zeitweise« – rasant steigen: auf »eher sieben Prozent«.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Kay Nietfeld/dpa12.06.2024
Endlich Militärmacht werden
- Kay Nietfeld/dpa14.02.2024
Gemeinsam rüsten
- IMAGO/Bernd Elmenthaler14.11.2023
Baerbock pfeift im Walde