Der Sturm der Geschichte
Von Gisela Sonnenburg
Sie geht auf uns zu, drängt nach vorn. Mit viel Herz in der Bewegung und mit zielbewusstem Blick. Der linke Arm schwingt vor, fast berührt er das erhobene rechte Knie. Der andere Arm schmiegt sich eng an die Hüfte, der rechte kleine Finger presst sich gegen die restlichen. So sehr, dass er auf dem Ringfinger aufliegt. Das signalisiert Kraft und Disziplin. Das Vorwärtsdrängen kommt aber vom Kopf, nicht aus dem Körper: Diese Frau hat vor allem Geist. Rosa Luxemburg, überlebensgroß in Bronze gegossen, ist solchermaßen eine Phantasie des Künstlers Rolf Biebl. Dennoch erkannte sogar ein bayerischer Zöllner auf Anhieb die legendäre Politikerin, als die Statue aus dem tschechischen Marienbad, wo ihre Gießerei steht, nach Deutschland einreiste.
Das war 1999. Die rote Rosa made by Biebl hatte da schon eine interessante Geschichte hinter sich. Sie hat aber auch eine vor sich. Denn einer von zwei Miniaturentwürfen des Denkmals wird jetzt als Rosa-Luxemburg-Preis vergeben. Er ist angenehm in der Hand zu halten, zeigt Rosas Vorwärtsbewegung und wirkt, ebenfalls in Bronze gegossen, so kämpferisch und edel wie die Statue. Im Vergleich ist er kantiger und hat am Sockel weniger Faltenwurf: eine kubistisch angehauchte Variante.
Rosa als Skulptur ist wie ein Echo des Zeitgeistes der wilden Berliner 90er Jahre. Damals flüsterte die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger dem »Antieiszeitkomitee«, das sich aus der PDS entwickelt hatte, ein, der Ausnahmeerscheinung Rosa Luxemburg doch ein Denkmal zu widmen. Hunzinger schwang ihre Spendendose, die strenggenommen ein Einweckglas war, und sammelte 1995 das erste Geld fürs Denkmal – beim Parteitag der PDS. Es sei eine »Bringschuld«, befand die 1915 geborene Hunzinger, dass Rosa endlich ein eigenes Denkmal erhalte. Nicht alle stimmten ihr zu.
Der damalige PDS-Kommunalpolitiker und spätere Kultursenator Thomas Flierl beispielsweise sammelte Gegenargumente. Und blieb darauf sitzen. Für Hunzinger, Expertin dieser Sache, war derweil klar: Nur Rolf Biebl könnte ein optimales Luxemburg-Denkmal ersinnen. Er nahm die Herausforderung an. Seine selbstgesetzten Ziele: Porträthaftigkeit, Überlebensgröße und »was Energetisches«, also ein Symbol für Rosas Energie.
Dass er den Gang der graziösen Humpelnden einfing – Rosa Luxemburg litt seit ihrer Kindheit an einer Behinderung – war zunächst nicht geplant. Aber indem Biebl den Schwung ihrer Gestalt illustriert, versetzt er sie wie in einer optischen Täuschung in ständige Bewegung. Dem Sturm der Geschichte ganz nah.
Dass Luxemburg, die 1919 von Sozialdemokraten verraten und von einer faschistischen Bürgerwehr ermordet wurde, noch heute wie eine Heilige des politischen Intellekts verehrt wird, ist all den Menschen zu verdanken, die ihre Schriften lesen. Der hohe Status als Philosophin, den ihr Georg Lukács zusprach, wurde bislang noch nicht anerkannt. Biebls Werk sollte auch dazu Anregung sein. Obwohl oder gerade weil sie Feindbildjägern als Extremistin gilt, so der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Zunächst aber wurde die Statue 1999 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Eingang der Berliner PDS-Zentrale aufgestellt. Es gab Geschrei und Diskussionen. Schließlich landete das vielbestaunte Werk vorm ND-Haus, in dem auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung residierte. Als die Stiftung vor fünf Jahren einen Neubau bezog, kam die Statue mit.
Seit 2009 steht ein zweiter Guss des Denkmals in der Linienstraße auf der Terrasse des Verlags 8. Mai, in dem die junge Welt erscheint. Jetzt schließt sich ein Kreis. Rosa Luxemburg hätte den Friedensnobelpreis verdient statt den frühen Tod. Nun steht sie, dank Rolf Biebl, mit ihrem Sein für alle Ehre. Ein schönes vorläufiges Ende der Geschichte.
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