Das Glück in der Schraubzwinge
Von Gisela Sonnenburg
Glück ist ein relativer Begriff. Für den Künstler Rolf Biebl steckt es manchmal in der Schraubzwinge, breitet sich über eine grundierte Leinwand aus oder wartet in Gips auf Vollendung. Der schöpferische Ausdruck, mit dem Biebl, wie er sagt, »das Nervenkostüm der Menschen« erreichen will, macht den Maler und Bildhauer zum glücklichen Akteur. Wenn man sein Atelier in Berlin-Weißensee betritt, spürt man den Respekt, mit dem er die menschliche Figur behandelt. Die Darstellung der Körper, ob männlich oder weiblich, ist hier das Wichtigste. Nacktheit ist da keine Schande. Biebls Weltbild ist klar: Der Mensch steht im Mittelpunkt.
Mit diesem Credo zählte Rolf Biebl, der am Nikolaustag 1951 im Vogtland geboren wurde, schon zu DDR-Zeiten zu den bekannten deutschen Künstlern. Heute gehört er zu den Großen, die im kollektiven Gedächtnis der Kunstgeschichte bleiben werden. Sein »Vinetamann«, der eigentlich »Der Schreitende« heißt, läuft seit 1987 unterirdisch auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofs Vinetastraße in Berlin-Pankow: ein unerhörtes Novum bei seiner Einweihung und heute immer noch eine delikate Provokation in Bronze.
Wie ein weibliches Gegenstück stemmt sich Biebls »Rosa Luxemburg« gegen den Sturm der Geschichte: erkennbar, authentisch, ergreifend, erotisch. Denn Biebl versucht gar nicht erst, den Eros in seinem Werk auszuschalten. Wenn er vom Arbeiten mit Stein schwärmt, hat das eine sinnliche Komponente: »Marmor ist gepresster Muschelkalk, der riecht manchmal nach Meer«, sagt Biebl. Lebendigkeit in der Wahrnehmung – ein Kennzeichen seiner Kunst.
Biebls jüngster Marmorheld – er ist noch unvollendet – hält die rechte Hand am Kopf. Mund und ein Auge liegen frei. Ist es ein lachendes oder ein weinendes Gesicht? Noch ist das nicht zu entscheiden. Er könnte die Ambivalenz des Daseins verkörpern: Glück und Unglück liegen manchmal so nah beieinander.
Vergangenheit und Zukunft auch. »Rufer« heißt eine Figur, die 1990 entstand. »Wahrscheinlich ist das meine extremste Arbeit«, sagt Biebl. Den großen Kopf hält der Mann in den Nacken gepresst, den gequälten Blick himmelwärts, der Mund steht offen. Ruft er oder stöhnt er? Biebls Figuren, vor allem die männlichen, sind Getriebene, Leidende, auch Kämpfende. Verletzer und Verletzte. Aber: Sie sind seltsam wandelbar. Der ursprünglich in Bronze gegossene »Rufer« wurde kürzlich neu gemacht: als Aluminiumguss. Der kongeniale Kurator Andreas Wessel hatte dazu die Idee. Jetzt verleiht ein Glanz mit harten Schatten der sonst melancholischen Statue ein Leuchten. Als sei sie ein Zeichen aus dem Universum, entrückt mit Silberschein.
Modern und postmodern zugleich, das ist Biebls Werk. Viele Details auch seiner Malerei weisen über sich hinaus, verknüpfen sich im Querlauf mit der Welt. Figürliches Arbeiten ist für Biebl keine Ausrede, sondern eine Vision, nach wie vor. In Berlin-Weißensee hat er einst den sozialistischen Realismus studiert. Heute unterrichtet er an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin-Schöneweide, schult den Blick künftiger Modedesignerinnen. Leitfrage: Wie hart ist die Realität, und wie knallhart muss die Schönheit sein, um etwas dagegenzusetzen?
»Die Leute verlangen von der Kunst immer Trost«, beklagte schon Heiner Müller, den Rolf Biebl ganz gut kannte, das Geschäft. Doch für Beschönigung ist in Biebls dramatischem Kosmos kein Platz. Seine Frauenfiguren sind mitunter notgeil, die Männer sind oft bedrängte Bedränger. Ein Gemälde, das in seinem Atelier die Blicke auf sich zieht, zeigt eine zarte blonde Eva mit schönen Brüsten, die mit sanft geneigtem Haupt vor uns kniet. Aber ihr bärtiger Adam umarmt sie von hinten mit riesenhaften Pranken, den Fuß aggressiv vorgestellt. Eine männliche Bestie?
Dabei strahlt Biebl selbst, mit seinem kecken Jungsgesicht unterm schlohweißen Haar und seiner drahtig-elastischen Gestalt, eher Güte und auch wache Neugierde aus: Er ist Beobachter, kein Selbstdarsteller. Zum Glück fürs Publikum.
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