Ganz ohne Turner
Von Felix Bartels
Als die elf jungen Männer sich am 27. Februar 1900 im Schwabinger Café Gisela trafen, hatten sie nicht mal ein paar Ersatzspieler dabei. Es stand aber auch kein Spiel an, sondern eine Abspaltung. Vorausgegangen war eine Sitzung der Fußballabteilung des MTV München im Gasthaus Bäckerhöfl. Um halb zehn abends hatten die Herren um Franz John geräuschvoll das Lokal verlassen und waren in die Fürstenstraße 2 gestiefelt. Dort, im Café Gisela, gründeten sie noch am selben Abend den FC Bayern München. Exakte 125 Jahre ist das jetzt her.
Das T in »MTV« steht für »Turnen«, so wie das T beim Stadtrivalen TSV 1860 München. Kulturkämpfe nämlich gab es auch damals schon, wenngleich es noch nicht um Pronomen ging. Die deutsche Tradition war eine turnerische, der Protonazi Friedrich Ludwig Jahn mag hierfür als mahnendes Exempel herhalten. Zum Ende des 19. Jahrhunderts schwappte von England her die Fußballkunst ins Land, und vielen galt sie zunächst und lange noch als undeutsch. Bei allem, was man in Deutschland tut, muss sich was gedacht werden. Einfach nur auf einem Reck tanzen oder das Runde ins Eckige befördern is nich.
Die ersten Jahrzehnte verbringt der FC Bayern im Schatten. Franz John wird sein erster Präsident, das erste Spiel gegen den 1. Münchner FC 1896 geht mit 5:2 gut aus, die erste Meisterschaft holt man 1932. Als die Nazis ein Jahr später an die Macht kommen, gerät der Verein unter Druck. Präsident Kurt Landauer muss aufgrund seiner jüdischen Herkunft das Amt niederlegen. Nachträglich entsteht die Legende des FC Bayern als eines in der Nazizeit unterdrückten »Judenklubs«. Wie die meisten Legenden stimmt das ein bisschen und stimmt auch nicht. Tatsächlich hatte man sich bereits im April 1933 verpflichtet, alle Juden aus dem Verein auszuschließen, Vizepräsident August Harlacher war schon 1930 in die NSDAP eingetreten, der ab 1938 amtierende Präsident Josef Kellner wurde 1933 Mitglied. Gewiss sollte man unterlassen, aus sicherer geschichtlicher Distanz Verhalten in gefährlichen Lagen zu beurteilen, doch dieses diskrete Schönwaschen der eigenen Geschichte gehört zu den Verkehrsformen des Klubs. Bundesweit für seinen Erfolg gehasst, geriert seine Führung sich als moralisch integer. Selbst die Südkurve kann als Beispiel dienen. Der idealtypische Bayern-Fan ist progressiv, kritisch und transatlantisch gestimmt. Todesmutig nimmt er Anstoß an den Kontakten des Klubs zu Katar, mit einem Hauptsponsor Audi allerdings, immerhin Teil des in den Rüstungskomplex verwobenen VW-Konzerns, hat man – anders als die Kurve des BVB mit Rheinmetall – keine Probleme.
In der Bundesrepublik kennt der Klub nur den Weg nach oben. Seit 1965 spielt er in der drei Jahre zuvor gegründeten Bundesliga, drei Saisons nach dem Aufstieg folgt die erste Bundesligameisterschaft. Primus der ersten Jahre ist der 1. FC Köln, noch 1980 führt er die Ewige Tabelle an, abgelöst ab da von den Bayern, die sie heute mit fast 1.000 Punkten Vorsprung vor dem zweitplazierten BVB anführen.
Und auch wenns weh tut: Der Erfolg der Bayern ist vor allem mit dem Namen Uli Hoeneß verbunden. Früh in Rente gegangen, machte der ehemalige Spieler ab 1979 als Manager aus einer verschuldeten Regionalmacht einen Weltklub. Nicht unbedingt als Visionär – Manchester United zum Beispiel hat die Möglichkeiten globaler Vermarktung sehr viel früher erkannt –, aber als pingeliger Rechner und cleverer Geschäftsmann. Auch sportlicherseits war er mehr Taktiker denn Stratege. Dass er auf dem Transfermarkt bloß taktisch agierte, hat damit zu tun, dass er sich für Fragen der Taktik kaum interessierte. Jahrzehntelang bestand die Methode Hoeneß darin, die finanzielle Kraft des FCB zu nutzen, die Konkurrenz kaputtzukaufen. Aus Vorsprung wurde Vorsprung. 2009 etwa verpflichtete man neben Arjen Robben auch Mario Gomez. Mannschaftstaktisch ergab das keinen Sinn, man konnte schlecht beide Systeme spielen lassen, 4-4-2 und 4-3-3. Doch solange Gomez millionenschwer die Ersatzbank wärmte, fehlte er den Stuttgartern, was denen mehr weh tat als den Bayern. Auf die Art – ohne Inspiration und Sinn also, Gebrauchswert in blankem Wert vernichtend – hielt Hoeneß den Verein oben und die anderen unten. Das reichte vor 2012 nicht für ausgedehnte Meisterschaftsserien, doch keiner der anderen Vereine konnte sich über längere Zeit als dauerhafte Konkurrenz etablieren.
Heute ist der Verein mit rund 400.000 Mitgliedern der zweitgrößte der Welt, hat einen jährlichen Umsatz von 780 Millionen und manchmal sogar Anflüge einer in sich schlüssigen taktischen Idee. All das beruht aber darauf, dass er sich einer solchen lange verweigert hat. Das war effektiv, das war clever, aber irgendwie auch das Gegenteil von mia san mia.
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