Frühling in Schwedt
Von Knut Mellenthin
Nach der Bundestagswahl kommen aus dem brandenburgischen Schwedt an der Oder, dem Standort der größten Raffinerie in Nordostdeutschland, ungewohnt kämpferische Töne. Die Rückkehr zur Verarbeitung von Erdöl aus Russland dürfe kein Tabuthema mehr sein, fordert der Betriebsrat der PCK GmbH. Die drei Buchstaben standen ursprünglich für den VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt, wie das für die gesamte Region strategisch wichtige Unternehmen zu DDR-Zeiten hieß. Nach der »Wende«, die die wirtschaftlichen Grundlagen des »Anschlussgebiets« in Turbogeschwindigkeit weitgehend zerstörte, wurde das Kombinat von fast 28.000 Beschäftigten auf jetzt nur noch 1.200 zusammengeschrumpft.
Seit Jahresanfang 2023 darf in Schwedt auf Anweisung der Bundesregierung kein russisches Erdöl mehr verarbeitet werden. Das ist, anders als die herrschende Propaganda behauptet, keine gemeinsame Entscheidung der EU, sondern ein deutsch-polnischer Alleingang. In Folge dieser extrem hastigen, also völlig unvorbereiteten Maßnahme stürzte die Verarbeitungskapazität der Raffinerie zeitweise auf weniger als 60 Prozent der früheren Produktion ab. Im vergangenen Jahr soll sie bei 79 Prozent gelegen haben. Infolgedessen verlor die PCK, die früher nicht nur Berlin und Nordostdeutschland, sondern auch die westpolnische Grenzregion mit Ölprodukten versorgt hatte, wahrscheinlich erhebliche Marktanteile an Konkurrenten. Darüber gibt es bis heute keine Rechenschaftslegung.
Gleichzeitig beklagt die Geschäftsführung der PCK als Folge der erzwungenen Umstellung auf alternative Lieferanten »deutlich gestiegene Rohöleinstandskosten«, so dass das Unternehmen »nicht wettbewerbsfähig operieren kann«, wie es in einem Brief an das Bundeswirtschaftsministerium hieß, über den die Tageszeitung Nordkurier am 25. Januar berichtete. In Schwedt werden gegenwärtig 25 verschiedene Rohölsorten verarbeitet, erläuterte Geschäftsführer Ralf Schairer dem RBB im Januar. Eine Nebenfolge sei ein stark erhöhter Ausstoß von Schadstoffen, für den die zuständigen Behörden Sondergenehmigungen erteilten.
Nach den starken Verlusten der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl ist äußerst unwahrscheinlich, dass Robert Habeck, der dem Kampf gegen Russland alle anderen Aspekte unterzuordnen bereit ist, Chef des Wirtschaftsministeriums bleiben wird. Und sofort werden die Töne in Schwedt kühner. Die Bewohner der Stadt »können nach wie vor nicht nachvollziehen, dass freiwillig ein Rohölembargo ausgesprochen wurde«, sagte Bürgermeisterin Annekatrin Hoppe von der SPD dem RBB, wie dieser am 28. Februar berichtete. Für den abrupten Totalverzicht auf russisches Erdöl habe die Stadt keine Begründung erhalten. Hoppe hatte auch schon zu Beginn des Embargos widerständig argumentiert, schien dann aber resigniert zu haben.
Im selben Bericht zitierte der RBB den Betriebsratsvorsitzenden der PCK GmbH, Danny Ruthenburg: Fördermittel seien vom Bundeswirtschaftsministerium zugesagt worden, aber: »Angekommen ist bisher nicht ein Euro. Man kann da wohl sagen, dass man uns Märchen aufgetischt hat, denn mittlerweile glaubt hier niemand mehr daran, dass diese Gelder überhaupt jemals fließen werden.«
Mitglieder des Betriebsrats und des Aufsichtsrats der PCK, auch das berichtete der RBB, haben in einem Brief an die Landesregierungen von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt eine Aufhebung des Embargos gegen Öl und Gas aus Russland gefordert. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will sich laut RBB »in den kommenden Tagen« mit PCK-Vertretern treffen.
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