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Aus: Ausgabe vom 05.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Rüstungswahnsinn

Waffenstarrendes Europa

EU-weit sollen laut Ursula von der Leyen 800 Milliarden Euro in Rüstung und militärisch nutzbare Infrastrukturmaßnahmen fließen – auch auf Pump
Von Jörg Kronauer
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Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius besichtigen die Panzerschmiede Rheinmetall in Unterlüß (12.12.2024)

»Rearm Europe«, »Europa wieder aufrüsten«: Das ist der Propagandaname, unter dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag ihr neues, viele Milliarden Euro schweres Programm zur flächendeckenden Militarisierung der Europäischen Union vorgestellt hat. Als wenn es da etwas »wieder« aufzurüsten gäbe, als wenn die EU nicht schon vor Waffen starren würde: Rund 326 Milliarden Euro gaben die Mitgliedstaaten laut Angaben der Kommission allein 2024 für ihre Streitkräfte aus, mehr als 2,2mal so viel wie vor gerade einmal zehn Jahren. Es soll aber noch viel mehr werden. 150 Milliarden Euro werde Brüssel bereitstellen, um die Mitgliedstaaten bei ihren Investitionen in Kriegsgerät zu unterstützen, teilte von der Leyen nun mit. Zudem leite die Kommission neue Maßnahmen ein, die weitere Gelder locker machen würden. So werde sie etwa dafür sorgen, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) Mittel für die Rüstung zur Verfügung stellen werde. Vor allem aber sollten Ausgaben für das Militär von den Schuldenregeln der Union ausgenommen werden. Den Gesamtbetrag, der so mobilisiert werden könne, bezifferte von der Leyen auf 800 Milliarden Euro.

Schuldenprogramme

Rearm Europe ist die EU-Komponente der beispiellosen Aufrüstungsmaßnahmen, über die der EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel beraten wird. Es kommen nationale Beiträge hinzu. Was Deutschland angeht, wird derzeit über ein neues Schuldenprogramm diskutiert – genauer: Über zwei, die das aktuelle, Ende Februar 2022 verkündete 100-Milliarden-Euro-Programm der »Zeitenwende« noch in den Schatten stellen. Sie sind nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters von den Ökonomen Clemens Fuest (Ifo-Institut), Michael Hüther (Institut der deutschen Wirtschaft, IW), Moritz Schularick (IfW Kiel, Institut für Weltwirtschaft) und Jens Südekum (Universität Düsseldorf) entworfen worden. Es geht um ein 400 Milliarden Euro schweres Schuldenprogramm für die Rüstung und ein 400 bis 500 Milliarden Euro schweres Schuldenprogramm für die Infrastruktur. Wobei letzteres sich nicht von ersterem trennen lässt: Deutschland fungiert in den NATO-Kriegsplänen vor allem als Transitdrehscheibe in Richtung Ostflanke bzw. – im Kriegsfall – Ostfront; der desolate Zustand der deutschen Straßen, Schienen und Brücken lässt den problemlosen Transport von Panzern und anderem schweren Kriegsgerät nicht zu. Nun müssen daher auch die Rheinbrücke bei Leverkusen oder die Küstenautobahn A 20 kriegstauglich werden.

Manchen im deutschen Politestablishment ist der Griff zu neuen Schuldenprogrammen, auch wenn sie – wie schon dasjenige vom Februar 2022 – öffentlichkeitstauglich wieder als »Sondervermögen« schöngeredet werden, nicht recht. Sie favorisieren eine stabile Dauerlösung: Eine massive Aufstockung des Militärhaushalts, die nicht nur in orgienhaften Schüben, sondern kontinuierlich, Jahr für Jahr, schwer vorstellbare Summen in die Bundeswehr pumpt. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte im Januar eine Summe von mindestens 85 Milliarden Euro jährlich ab 2028 genannt; das wären, berechnet nach dem deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2024 (4,3 Billionen Euro), beinahe zwei Prozent des BIP. Zugleich wären es, berechnet nach dem Bundeshaushalt 2024 (477 Milliarden Euro), fast 18 Prozent aller Ausgaben der Bundesregierung. Beim Hantieren mit BIP-Prozenten muss man sich im klaren sein: Ein Prozent des BIP, 43 Milliarden Euro im Jahr 2024, waren damals neun Prozent der Regierungsausgaben. 3,5 Prozent, wie Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sie vorgeschlagen hat, wären gut 150 Milliarden Euro bzw. knapp ein Drittel des Bundeshaushalts. Da völlig unklar ist, wo die Mittel herkommen sollen, plädieren nicht wenige inzwischen für die Schuldenprogramme.

Polen als Vorreiter

Der raketenhafte Aufrüstungsschub wird EU-weit durchgesetzt. Vorreiter waren Polen und die baltischen Staaten; Polen erreicht schon dieses Jahr 4,7 Prozent seines BIP, Estland will in Kürze fünf Prozent, Lettland ab 2026 zumindest vier Prozent, Litauen ab 2026 fünf bis sechs Prozent seines BIP fürs Militär ausgeben. Inzwischen ziehen weitere große EU-Staaten und Großbritannien nach. Frankreich hat mittlerweile einen Militärhaushalt von gut 50 Milliarden Euro bzw. rund zwei Prozent seines BIP erreicht, will ihn aber weiter aufstocken. Präsident Emmanuel Macron hatte kürzlich die Spitzen der Parlamentsfraktionen und -parteien zu einem Gespräch hinter verschlossenen Türen geladen. Durchgedrungen ist anschließend, dass er dort als Zielgröße einen Bereich von 130 Milliarden Euro genannt hat – gut fünf Prozent des aktuellen BIP. Eines der damit verbundenen Probleme: Frankreich ist schon jetzt mit knapp 110 Prozent seines BIP (Stand: 2023) hoch verschuldet; seine Schulden steigen nach gängigen Prognosen auch ohne teure Rüstungsexzesse weiter an. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez will die Wehrausgaben bis 2029 auf zwei Prozent des BIP aufstocken; in absoluten Zahlen wäre das mehr als eine Verdopplung. Großbritannien strebt zunächst 2,5 Prozent seines BIP an; Premierminister Keir Starmer hat jetzt angekündigt, den Wert früher als geplant erreichen zu wollen, nämlich schon 2027. Zudem plant die Regierung, den National Wealth Fund anzuzapfen, der aktuell 27,8 Milliarden Pfund umfasst. Ursprünglich war er für den Ausbau der auch in Großbritannien bröckelnden Infrastruktur gedacht.

Hintergrund: »Sondervermögen«

Nicht nur Kriegsgegnern, nein, auch dem Bundesrechnungshof ist das »Sondervermögen«, das Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 ankündigte, ein Dorn im Auge. Zunächst einmal handle es sich nicht um Vermögen, sondern um ordinäre Schulden, beschwerte sich die Behörde schon bald; Propaganda hin, Propaganda her – der Begriff führe doch arg in die Irre. Zudem kosteten Schulden, in Form von Zinsen, eine Menge Geld. Da müsse man ein Auge drauf haben.

Im April vergangenen Jahres wurde der Bundesrechnungshof konkreter. 2028 sei in mancher Hinsicht ein »Schlüsseljahr«, erklärte er in einer Stellungnahme. Da würden erstmals rund 9,2 Milliarden Euro für die Corona-Notlagenkredite zurückgezahlt werden müssen; die Raten seien von da an jährlich fällig. Zudem beginne 2028 die Rückzahlung der Kredite, die für den EU-Wiederaufbaufonds aufgenommen worden seien. Ach ja, da sei noch etwas – das »Sondervermögen«, das, weil es in Wirklichkeit nur eine Sonderverschuldung sei, eben auch abgestottert werden müsse. Man dürfe das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schließlich litten »die Bundesfinanzen« schon jetzt unter allerlei »ungelösten strukturellen Problemen«; im Jahr 2028 werde sich »die angespannte Lage« wohl »noch einmal zuspitzen«, sagte die Behörde voraus.

Die Debatte über die nächste Sonderverschuldung in Höhe von bis zu 900 Milliarden Euro wird die Laune im Bundesrechnungshof nicht verbessern. Vor einem knappen Jahr wies die Behörde darauf hin, dass bereits 2024 »neue Kredite rechnerisch fast ausschließlich für Zinszahlungen benötigt« würden: Der Nettokreditaufnahme des Bundes von 39 illiarden Euro stünden geplante Zinszahlungen von 37,4 Milliarden Euro gegenüber. Dabei mussten 2024 die Rückzahlungen, die das »Schlüsseljahr« 2028 bringen wird, noch nicht getätigt werden. Die Vereinigten Staaten sind schwer totzurüsten: Sie haben die Weltleitwährung, den US-Dollar. Bei der EU ist letzteres nicht der Fall; und wie es sich mit ersterem verhält, testet sie jetzt aus. (jk)

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