»Zuckerl« aus Wien
Von Andreas Pittler
Vor etwas mehr als fünf Jahren stolperte die damalige Koalition aus konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ über ihren Vizekanzler, der auf der Ferieninsel Ibiza seinen Allmachtsphantasien freien Lauf gelassen hatte. Zu seinem Pech vor laufender Kamera. Während die FPÖ bei den daraus resultierenden vorzeitigen Neuwahlen (wieder einmal) abstürzte, hielt die ÖVP Platz eins und wählte sich mit den Grünen flugs einen neuen Partner. Die Kombination schien trotz (oder wegen?) der Coronapandemie gut zu funktionieren und vermochte sogar den Abgang ihres vermeintlich charismatischen Frontmanns zu verkraften. Doch je länger die »schwarz-grüne« Partnerschaft währte, desto mehr Sand kam ins Regierungsgetriebe. Und die FPÖ erstarkte überraschend schnell, ihre bereits dritte Auferstehung nach 2002 und 2005.
Angesichts dieser neuerlichen Zuspitzung redete niemand mehr über die Sozialdemokraten, die SPÖ, deren Vorsitzende, wiewohl eigentlich Virologin, selbst in der Covid-Krise farb- und orientierungslos geblieben war. Die pure Angst, bei den Wahlen des Jahres 2025 gar auf Rang drei zurückzufallen, was der SPÖ in ihrer gesamten Geschichte noch nie passiert war, veranlasste die Parteigranden, eine neue Person an der Spitze zu suchen.
Lange sah es so aus, als käme diese erneut aus dem innersten Machtzirkel der Wiener Löwelstraße (dem Hauptquartier der Partei), als plötzlich ein ambitionierter Bürgermeister aus einer niederösterreichischen Kleinstadt seinen Hut in den Ring warf. Anfänglich milde belächelt, gelang es Andreas Babler, mit einer ebenso optimistischen wie euphorisierenden Kampagne die gesamte Parteibasis für sich zu begeistern. Er bekannte sich dazu, Marxist zu sein, beschwor die gute alte Zeit eines Bruno Kreisky, äußerte sich überaus kritisch zur neoliberalen Ausrichtung der EU und kündigte einen klar konturierten Linkskurs an, mit dem die SPÖ »For the many, not the few« kämpfen werde. Sein Werben um den Parteivorsitz erinnerte in vielem an das Agieren von Jeremy Corbyn in Großbritannien einige Jahre zuvor, und erstmals seit einem halben Jahrhundert ging wieder ein spürbarer Ruck durch die Partei. Nicht wenige altgediente Aktivisten trauten Babler zu, den 2017 verlorenen Platz eins wieder zurückzugewinnen.
Doch kaum zum elften Parteichef in der Geschichte der SPÖ gewählt, verfiel Babler in Schockstarre. Es schien, als habe er bereits all seine Energie für den Kampf um den Vorsitz aufgebraucht und sei nun unfähig zu weiterem Handeln. Willen- und vor allem widerstandslos warf er sich in die Arme des Parteiapparats, ließ sich von diesem sein Team oktroyieren und vergaß in bemerkenswerter Geschwindigkeit all jene Genossinnen und Genossen, deren unermüdliches Werken ihm überhaupt erst den Weg in die Parteizentrale geebnet hatte.
Sieg der FPÖ
Am Wahltag kam es, wie es kommen musste. Und noch schlimmer! Die FPÖ überflügelte mit knapp 29 Prozent sogar die ÖVP und errang erstmals in ihrer knapp 70jährigen Geschichte Platz eins in der Wählergunst. Die ÖVP verlor über elf Prozentpunkte der Stimmen des Jahres 2019, rettete aber Platz zwei vor der SPÖ, deren unambitionierter, fader und oftmals peinlicher Wahlkampf gerade noch jeden fünften Wähler für sie begeistern konnte. Das führte dazu, dass ÖVP und SPÖ, die jahrzehntelang für das Konzept der »Großen Koalition« gestanden hatten, gemeinsam gerade noch 92 von 183 Mandaten eroberten. Dementsprechend tief saß der Schock im österreichischen Establishment.
So tief, dass der Bundespräsident Alexander Van der Bellen erstmals von der seit 1945 gepflegten Tradition abwich, dem Wahlsieger den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen, und statt dessen den bisherigen Kanzler Karl Nehammer damit betraute. Zwar klang seine Begründung, er gehe davon aus, dass niemand mit der FPÖ Herbert Kickls koalieren wolle, tendenziell nachvollziehbar, dennoch reagierten auch viele Nicht-FPÖler irritiert, ja sogar erbost, über diesen Bruch der Usancen, der es Kickl ermöglichte, sich ein weiteres Mal als Opfer des Systems zu präsentieren. Tatsächlich gingen die Umfragewerte der Freiheitlichen durch die Decke und lagen streckenweise bei 37 Prozent.
Nehammer und Babler schien bewusst, dass eine Mehrheit von einer einzigen Stimme keine solide Basis für eine Regierung darstellte, weshalb man sportstreichs die Liberalen in die Regierungsverhandlungen einbezog. Damit freilich verschlechterte Babler seine ohnehin ramponierte Reputation ein weiteres Mal, denn die österreichischen Neos verbindet nicht nur wirtschafts- und sicherheitspolitisch eine ganze Menge mit der ÖVP, sie gingen cum grano salis aus selbiger sogar personell hervor. Real verhandelten also nicht 26 und 20 Prozent mit zehn Prozent, sondern 36 Prozent mit 20 Prozent.
Und es kam noch dicker für die SPÖ. Unmittelbar nach den Wahlen wurde nämlich ruchbar, dass die »schwarz-grüne« Regierung ein mehr als veritables Budgetloch hinterlässt. Von 30 Milliarden Euro und mehr ist die Rede, eine grundlegende Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen ergo unumgänglich. Und ÖVP sowie Neos wussten der SPÖ auch umgehend auszurichten, wo – und vor allem bei wem – gespart werden müsse: bei den unselbständig Erwerbstätigen und bei den Pensionisten. Für jemanden, der ursprünglich angetreten war, Österreich endlich wieder ein wenig gerechter zu machen, eine mehr als bittere Pille.
Doch Babler schien mittlerweile nicht nur seine Helfer, sondern auch seine (angebliche) inhaltliche Positionierung vergessen zu haben. In holprigen, von inhaltsleeren Phrasen nur so gespickten Stehsätzen erging sich der SPÖ-Chef in Treuebekundungen zur vermeintlich krisengeschüttelten Republik. Es gelte, so verkündete er, das Staatsinteresse vor das Parteieninteresse zu stellen, dies ein Satz, den man noch nie von der ÖVP oder den Neos gehört hat, die ihrer Klientel offenkundig deutlich mehr Sympathie entgegenbringen als Babler der seinen.
Die Monate November und Dezember vergingen mit zahllosen Verhandlungen, die allesamt vom Primat des Sparens geprägt waren. Dieses, so erfuhr man, könne, da man neue Steuern ausschließen müsse, nur ausgabenseitig erfolgen, und ergo sickerte eine Hiobsbotschaft nach der anderen aus den Gesprächszirkeln durch. Babler tat sich zunehmend schwer, das Heft des Handels weiter in seinen Händen zu halten, denn das innerparteiliche Rumoren wurde um die Weihnachtszeit unüberhörbar.
Überraschenderweise waren aber auch die Neos unzufrieden über den Gang der Ereignisse. Sie vermissten, wie sie die Öffentlichkeit wissen ließen, echte Reformen und wähnten sich als reines Feigenblatt für eine einfallslose »Weiter so«-Politik, für welche sie jedoch nicht zur Verfügung stünden. Und während Babler nicht müde wurde, öffentlich zu bekunden, die endgültige Einigung stehe unmittelbar bevor, standen die Neos buchstäblich auf und erklärten die Verhandlungen von ihrer Seite für beendet.
Doch lieber mit Kickl
Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand (offiziell) wusste: Es ging bei diesen Konsultationen nicht nur um die zukünftige Zusammensetzung der Regierung, es ging auch um den Kopf des Kanzlers. In der ÖVP gab es nämlich nicht wenige, die von Anfang an auf eine Koalition mit der FPÖ setzten, was Van der Bellens Einschätzung klar konterkarierte. In der Tat hatte die ÖVP in den vergangenen 25 Jahren nicht weniger als neun Jahre mit den Blauen eine Regierung gebildet, mithin fast ebenso lang wie mit der SPÖ, mit der sie zehn Jahre die Regierungsbank teilte – dazu kommen fünf Jahre ÖVP-Grüne und ein knappes Jahr Expertenregierung nach dem Ende von »Schwarz-blau II« im Jahre 2019.
Doch auch Babler musste durchaus damit rechnen, im Falle eines endgültigen Abbruchs der Verhandlungen von der eigenen Partei den Stuhl vor die Tür gestellt zu bekommen. In dieser Situation verhandelten Nehammer und Babler alleine weiter, mussten jedoch alsbald einsehen, dass sie beide zum Scheitern verurteilt waren. Nehammer zog – im Gegensatz zu Babler – die Konsequenz und trat als Kanzler (und ÖVP-Chef) zurück. Was zu der kuriosen Situation führte, dass sein unmittelbarer Vorgänger als Kanzler, Außenminister Alexander Schallenberg, auch sein Nachfolger wurde. Der – an sich parteifreie – Karrierediplomat sollte die Regierungsarbeit leisten, während die ÖVP sich auf die Suche nach einem Partner für Kickl machte.
Sie fand diese Person in Christian Stocker, bis zu diesem Zeitpunkt unscheinbarer ÖVP-Sekretär, der sich maximal mit ein paar Aussagen, wonach man »sicher nicht« mit der FPÖ verhandeln werde, ins Licht der Öffentlichkeit gewagt hatte. Diese flotten Sprüche waren nun freilich ebenso flott vergessen, und am 6. Januar begannen die beiden bürgerlichen Mittelparteien mit ihren Verhandlungen, wobei Bundespräsident Van der Bellen gute Miene zum bösen Spiel machte, indem er Kickl, mehr als 100 Tage nach der Wahl, schließlich doch den Auftrag zur Regierungsbildung erteilte.
Die ÖVP zeigte sich recht uneinsichtig. Sie knallte dem – nunmehr wesentlich stärkeren Gegner – dieselben Forderungen auf den Tisch, die man schon Babler hatte diktieren wollen. In Teilen der Bevölkerung entstand allmählich der Eindruck, die ÖVP wähne sich im Besitz einer Mehrheit, die ganz knapp an die absolute heranreiche, weshalb jede andere Partei dieses Landes devot jedes Diktat der Konservativen entgegenzunehmen habe. Kickl freilich hatte aus den Fehlern seiner Vorgänger Jörg Haider und Heinz-Christian Strache gelernt und war nicht willens, sich gänzlich über den Tisch ziehen zu lassen, zumal er davon ausgehen konnte, dass seine Partei bei allfällig erforderlichen Neuwahlen abermals zulegen würde, während ÖVP, SPÖ und Neos ordentlich Federn lassen müssten. Dementsprechend selbstbewusst legte er die Verhandlungen an und machte unmissverständlich klar, dass die Handschrift der FPÖ in der neuen Regierung erkennbar sein müsse. Die ÖVP freilich beeindruckte diese Bekundung wenig. Wie schon zuvor bei Babler beharrte sie darauf, alle Schlüsselressorts für sich zu beanspruchen, während man den Freiheitlichen lediglich allfällige Restposten anbot.
Anfang Februar spitzte sich der Konflikt zu. Die FPÖ bekundete, entweder das Innen- oder aber das Finanzministerium besetzen zu wollen, die ÖVP bot jedoch nur einen eigenen »Asylminister« (ohne jegliche weitere Agenden aus dem Innenressort) an. Zudem sah der Pfad zur Budgetsanierung kräftige finanzielle Einschnitte gerade bei freiheitlichen Wählern vor, so dass Kickl schließlich die Verhandlungen für gescheitert erklärte. Wobei er zweifelsfrei davon ausging, dass die zwingende Konsequenz aus seinem Handeln Neuwahlen sein würden, bei denen seine Partei als die der »Steher«, die den Lockungen mit Posten und Privilegien mannhaft widerstanden hätten, einen weiteren fulminanten Triumph an den Urnen würde feiern können.
Dies freilich war auch den anderen Akteuren bewusst, weshalb sie unbedingt einen neuerlichen Wahlgang vermeiden wollten. Bundespräsident Van der Bellen verkündete ein »Zurück an den Start«, und, ganz so, als hätte es die ganze Vorgeschichte gar nicht gegeben, saßen ÖVP und SPÖ wieder an einem Tisch und verhandelten aufs neue. Wobei sie dann ironischerweise die Idee gebaren, zur Schaffung einer breiteren Mehrheit als derjenigen eines einzigen Mandats, die Neos hinzuzuziehen. Ein Déjà-vu der besonderen Art.
SPÖ knickt ein
Mit einem Mal schienen Reformen, soziale Härten, Sanierungen und dergleichen keine Streitthemen mehr zu sein. Alle drei Parteien zeichnete nur noch eines aus: der konsequente Weg zum Trog. Den Neos, bei den Wahlen mit 9,1 Prozent der Stimmen ausgestattet, wurden gleich drei Posten am Kabinettstisch angeboten, was diesen sichtlich half, ihre ehedem geäußerten Bedenken eilig zu verdrängen. ÖVP und SPÖ einigten sich auf je sechs Minister plus je drei Staatssekretäre, womit Österreichs neue Exekutive 21 Mitglieder aufweisen würde, mithin die personell umfangreichste seit dem Kabinett Schüssel (mit damals ebenfalls 21 Mitgliedern) vor nunmehr beinahe einem Vierteljahrhundert. Allein dafür wird die neue Regierung in den Medien schon kräftig gescholten. Offenbar mangele es, urteilte etwa die Tageszeitung Österreich den Parteien an »jedwedem Gespür«: »ÖVP, SPÖ und Neos haben allen Ernstes die Chuzpe, ausgerechnet in Sparzeiten das größte und teuerste Regierungskabinett aller Zeiten zu bilden. Die 21 Regierungsmitglieder (Kanzler, Vizekanzler, zwölf Minister und sieben Staatssekretäre) passen nicht einmal auf die Regierungsbank im Parlament. Das ist so absurd, dass es fast schon wieder lustig wäre. Die Außenwirkung dieser XXL-Regierung ist jedenfalls fatal. Wer soll dieser Koalition noch irgendwelche Sparmaßnahmen glauben?«
In der Tat ist das Entsetzen vor allem auf Seiten der Linken groß. Da soll etwa die für die individuelle Qualifikation bedeutsame Bildungskarenz abgeschafft werden, da sollen den Pensionisten durch eine Erhöhung der Sozialabgaben bis zu 300 Euro pro Monat aus der Tasche gezogen werden, und da soll der Klimabonus fallen, der energietechnisch erforderliche Umrüstungen finanziell abfederte. Gleichzeitig ist nirgendwo eine Antwort auf den in Österreich immer eklatanter werdenden Pflegenotstand zu finden, da gibt es keine Antwort auf die Misere im Gesundheitsbereich, da werden die Gemeinden und Kommunen mit ihren Finanzlöchern sträflich im Stich gelassen. Nicht nur Burgenlands wortgewaltiger Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ortet in diesem Programm eine »Frotzelei«. Und während sich die ÖVP zurücklehnen kann, hat sie doch ihre Schäfchen ein weiteres Mal elegant ins Trockene gebracht, hängt bei den Sozialdemokraten neuerlich der Haussegen schief.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Wiener SPÖ den Bundesparteichef öffentlich vorgeführt hat. Fast im Stundentakt wurden Bablers Personalwünsche öffentlich in Frage, ja selbst sein eigenes Ressort mehrmals zur Disposition gestellt. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig signalisierte während der gesamten Verhandlungsphase unermüdlich, dass er der eigentliche Chef der SPÖ ist.
Wobei sich die Frage stellt, wie lange er das bleiben wird. Denn Ludwig hat im April selbst Landtagswahlen zu bestehen, und seine Bilanz ist, gelinde gesagt, ausbaufähig. Das Spitalswesen Wiens krankt an allen Ecken und Enden, der öffentliche Verkehr gleicht zunehmend jenem von Schwellenländern, und Mieten sind in einer Stadt, die binnen zweier Jahrzehnte eine satte halbe Million Zuwanderer zu verzeichnen hatte, ohne dass die Stadt auf dieses Faktum mit öffentlichem Wohnbau reagiert hätte, absolut unerschwinglich. Zudem halten sich hartnäckig Gerüchte, Ludwig hätte den Wiener Urnengang deswegen überstürzt vorverlegt, weil die Stadt real pleite sei, was, sollte sich dieses Gerücht bestätigen, die Erfolgschancen der Wiener SPÖ zusätzlich schmälern würde. Vor allem die beiden Großbaustellen um die U-Bahn-Linien 2 und 5, so heißt es, hätten sich als Fass ohne Boden erwiesen, das Wiener Budget sei ergo in einem ähnlich prekären Zustand wie die Bundesfinanzen.
In diesem Licht wittert die FPÖ Morgenluft, hofft sie doch darauf, die Antwort auf die mühsam zustande gekommene Bundesregierung bei den Wiener Wahlen geben zu können. Eine krachende Niederlage der Wiener SPÖ hätte fraglos entsprechende Folgen auf die Bundespolitik. Die recht lose Zweckgemeinschaft könnte mithin rascher zerfallen, als sie zusammengezimmert wurde.
Österreich sieht sich im Jahr 2025 einer wahren Vielzahl an Problemen gegenüber. Das beginnt schon bei den Gemeinden, die seit Jahren finanziell ausgehungert wurden, so dass nicht wenige Kommunen eigentlich konkursreif sind. Wichtige Infrastrukturprojekte wie die Erneuerung von Straßen und Wegen, der Erhalt des lokalen Busnetzes oder die Finanzierung örtlicher Vereine, Kultur- oder Sozialinitiativen können jetzt schon kaum mehr geleistet werden. Sollte das Kabinett Stocker-Babler seinen »Sparkurs« wirklich so rigide wie angekündigt umsetzen, würde der staatliche Unterbau endgültig implodieren.
Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 haben viele, vor allem kleine und mittlere, Betriebe in eine veritable Krise schlittern lassen, von der sich ein Gutteil der Unternehmen nicht mehr erholt hat. Fast täglich wird der Wirtschaftsteil der Medien von neuen Konkursnachrichten dominiert, wovon alle Branchen gleichermaßen betroffen sind. Die Palette reicht von Geflügelverarbeitern über den stationären Handel bis zur Hotellerie und zur Gastronomie, wobei kürzlich zwei besonders renommierte Wiener Institutionen, der knapp 300 Jahre alte Esterházykeller (ein Heurigenlokal) und die sogar 458 Jahre alte, bei Wienern wie Touristen gleichermaßen beliebte Gastwirtschaft Gösser Bierklinik für immer ihre Pforten schließen mussten.
Probleme ausgeklammert
Das unternehmerische Massensterben bleibt nicht ohne Folgen auf dem Stellenmarkt. Die Arbeitslosigkeit steigt ebenso wie, bedingt durch die europäische Politik in Sachen Ukraine-Konflikt, die Inflation, was immer mehr Werktätige in eine prekäre Lage bringt. Dementsprechend häufen sich Räumungsklagen und Zwangsversteigerungen. Antworten darauf ist die neue Regierung in ihren Absichtserklärungen bislang schuldig geblieben.
Das gilt ebenso für den überaus wichtigen Bereich der Gesundheitsversorgung und der Pflege. Arztpraxen, Ambulanzen und lokale Spitäler werden seit Jahren systematisch ausgedünnt, wiewohl die Bevölkerung immer älter und damit auch krankheitsanfälliger wird. Bei den Landtagswahlen in der Steiermark im vorigen Herbst erzielte die FPÖ in jenen Wahlkreisen besonders hohe Zustimmung, wo »Schwarz-rot« Spitäler schließen ließ bzw. selbige zu schließen beabsichtigte. Eine Kurskorrektur dieses falschen Weges wurde von der neuen Regierung bis dato jedenfalls noch nicht verkündet.
Auch zum sensiblen Thema der Migration lässt das neue Kabinett vorderhand nichts verlauten. Attentate und versuchte Anschläge nahmen zuletzt auch in Österreich zu, eine staatliche Reaktion, die diese Frage gesamtheitlich zu lösen geeignet wäre, unterbleibt auch weiterhin.
Als eine weitere Sollbruchstelle könnte sich die Sicherheitspolitik erweisen, treten doch die Neos vehement für einen österreichischen Beitritt zur NATO ein, während die immerwährende Neutralität für die SPÖ-Basis ein nachgerade heiliges Dogma ist. Sollte die SPÖ auch in dieser zentralen Thematik einknicken, ohne substantielle Erfolge in den anderen oben skizzierten Bereichen zu erzielen, dann wird eine innerparteiliche Revolte nicht allzu lange auf sich warten lassen.
Angesichts der politischen Farben der beteiligten Parteien – schwarz, rot und pink – spricht man hierorts salopp von einer »Zuckerl«-Koalition. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass dieses Naschwerk den Wählerinnen und Wählern ganz und gar nicht schmecken wird. Und haben Stocker und Babler nichts wirklich Süßes zu bieten, dann werden die Bürgerinnen und Bürger nur allzu schnell sauer werden.
Andreas Pittler schrieb an dieser Stelle zuletzt am 14. September 2024 über die Nationalratswahlen in Österreich: Rechts um
links & bündig gegen rechte Bünde
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