Weniger Eintritte als Austritte
Von Susanne Knütter
Vor einem Jahr kam man an der Meldung nicht vorbei: Deutlicher Mitgliederzuwachs bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Jahr 2023. Die Zahlen zur Mitgliederentwicklung 2024 dagegen muss man suchen. Zu finden sind sie etwa in der dritten Ausgabe von Ver.di News vom 15. Februar. Demnach konnte Verdi nur 123.882 neue Mitglieder begrüßen. Die Zahl der Abgänge blieb mit 157.050 ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres (153.000). Es bleiben 1.864.633 Mitglieder. 1,73 Prozent weniger als 2023.
In einzelnen Bezirken gab es dennoch Zuwächse. So in Frankfurt am Main, Berlin, Nordhessen und Sachsen Ost-West-Süd. In Berlin entfallen demnach 55 Prozent der Eintritte »allein auf die Berliner Kita-Bewegung« und die Berliner Verkehrsbetriebe. Auch die Verdi-Jugend konnte mehr Eintritte als Austritte verbuchen, allerdings auch hier im Vergleich zum Vorjahr auf niedrigerem Niveau. Der Anteil an Senioren unter den Mitgliedern blieb gleich, der Frauenanteil sank. Darüber, wo die Zuwächse besonders gering oder die Abgänge besonders groß sind, erfährt man in dem Bericht nichts. Es fehlt auch eine Ursachenanalyse.
Ein Blick auf die Details lohnt. In allen Fachbereichen hat Verdi Mitglieder verloren. Besonders viele allerdings im Handel. Nach jW-Informationen machte hier etwa die Differenz im Dezember 2024 zum Vorjahresmonat minus 5,04 Prozent aus. Im Bereich »Postdienste, Speditionen und Logistik« minus 3,62 Prozent. Der nach Mitgliederzahlen zweitgrößte Fachbereich »Gesundheit, soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft« hatte im Dezember 2024 1,07 Prozent weniger Kolleginnen und Kollegen. Allerdings rechnete die Gewerkschaft laut der Mitgliederstatistik zum Jahresende hier allein mit fast 16.000 zukünftigen Austritten. Das liegt daran, dass man zwar jederzeit Gewerkschaftsmitglied werden kann, aber nur zum Quartalsende austreten kann. Im Bereich Handel wurde im Dezember mit weiteren knapp 9.000 Austritten gerechnet.
Verdi hatte im 2023 nicht zuletzt von den Tarifbewegungen im Einzelhandel und bei der Post profitiert. Angesichts der krassen Preissteigerungen und vorheriger Reallohnverluste mussten aber die Ergebnisse am Ende enttäuschen. Hinzukommt, dass die Beschäftigten im Handel anderthalb Jahre lang dafür gestreikt und die Kolleginnen und Kollegen der Post bereits für den unbefristeten Arbeitskampf gestimmt hatten.
Der ehemalige Bundesfachgruppenleiter für den Einzelhandel, Orhan Akman, kritisierte am Montag den Verdi-Bundesvorstand für seinen Umgang mit den Mitgliederverlusten und wies auf weitere Probleme hin. Etwa eine Million Mitglieder haben »unsere Gewerkschaft seit ihrer Gründung im Jahr 2001 verlassen. Wir müssen uns eingestehen, dass sich Verdi in einer Krise befindet, wir müssen sie benennen und analysieren, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen«, erklärte Akman via Facebook. »Zahlreiche, häufig extern aufgesetzte Kampagnen und Organisationsprozesse (›Chance 2011‹, ›Perspektive 2015‹, ›ver.di wächst‹, ›Zukunft der Mitgliederentwicklung‹) haben uns nicht aus der Krise geholfen, denn strukturelle, organisatorische und politische Ansätze haben bei diesen Versuchen kaum eine Rolle gespielt. Für eine Neuausrichtung unserer Gewerkschaft, die nah an den Mitgliedern und nah an Betrieb und Dienststelle sein muss, müssen wir die Finanzströme und die gesamte politische Kraft unserer Gewerkschaft in die Arbeit vor Ort und in die Betriebe/Dienststellen lenken. Unsere Mitglieder müssen in allen Bereichen in das Zentrum der Entscheidungen und der gewerkschaftlichen Aktivitäten rücken. Die Gewerkschaft als Organisation darf nicht als Selbstzweck gesehen und gelebt werden.«
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