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Aus: Ausgabe vom 07.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Infrastruktur

Stopp für Großbau

Frankreich: Gericht in Toulouse entzieht Autobahnprojekt umweltrechtliche Zulassung
Von Luc Śkaille
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Demonstrativer Rabatz gegen den Ausbau von automobilen Betonpisten (Saix, 21.10.2023)

Das Verwaltungsgericht (VG) von Toulouse entzog dem Autobahnprojekt A 69 am 27. Februar die umweltrechtliche Zulassung. Damit stoppte die Justiz die seit Jahren kritisierte Baustelle in Südfrankreich. Eine gute Perspektive für Klimagerechtigkeit, zumindest vorerst. Aber: Der Staat legte umgehend Berufung gegen das Urteil ein.

Vor dem Verwaltungsgericht in Toulouse brandete Jubel auf. Bürgerinitiativen wie »La voie est libre« hatten gegen ein »veraltetes und umweltzerstörerisches Projekt« geklagt und bekamen vergangene Woche recht. Das Gericht verbot gleichermaßen die bereits weit fortgeschrittene Baustelle A 69 und den Ausbau der A 680 aus Gründen des Umweltschutzes.

Das Infrastrukturprojekt um die Südwestmetropole Toulouse wurde schon im Laufe der 1990er Jahre wegen der Geschäftsinteressen der Pharmagruppe »Laboratoires Pierre Fabre« auf den Weg gebracht. Nach einer »Öffentlichkeitsbeteiligung« in 2010 und folgender Einflussnahmen des konservativen Premiers François Fillon und des sozialdemokratischen Präsidenten François Hollande gelang es den Kapitallobbyisten das Projekt schrittweise aus der Taufe zu heben. Nach einer »Anerkennung von öffentlichem Interesse« in 2018 gewann die NGE-Gruppe 2021 die von Premierministerin Élisabeth Borne gesteuerte Ausschreibung und gründet die Gesellschaft Atosca.

Im März 2023 wurde die Großbaustelle zwischen Castres und Toulouse von den Präfekten der Haute-Garonne und des Tarn final erlaubt und begonnen. Der Umweltschutzrat »Conseil national de la protection de la nature« und die Umweltbehörde »Autorité environnementale« kritisierten die Pläne frühzeitig. Doch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss endete mit der Auflösung der vorvergangenen Regierung im Juni 2024. Proteste der vergangenen Jahre eskalierten zusehends seit Baubeginn. Dabei besetzten Umweltschützer Bäume und Höfe auf der Baustellentrasse. Und mittels Sabotageaktionen wurde eine militante Bewegung in jüngerer Zeit sichtbarer. Der Staat ging bei mehreren Demonstrationen mit Blendschockgranaten, Tränengas und Festnahmen gegen die Klimabewegung vor und räumte Protestcamps.

Verhinderte Autobahnprojekte sind selten. Zuletzt gab die Regierung von Élisabeth Borne 2020 die ebenfalls umkämpfte A 45 zwischen Lyon und St. Étienne auf. Einzigartig ist der Gerichtsentscheid von Toulouse dennoch, »da er der Betonwelt die Umwelt vorzieht« erklärte eine Aktivistin jüngst gegenüber jW, die beim erfolglosen Protest gegen die GCO (Umgehung von Strasbourg) in Ostfrankreich vor wenigen Jahren Wälder besetzte. Gerichte erscheinen ihr »wie in vielen scheiternden Demokratien auch in Frankreich als Wächter der ökologischen und sozialen Vernunft«.

Das VG schreibt, »die wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitstechnischen Gewinne (seien) zu gering« gegenüber »Zielen des Erhalts des natürlichen Habitats und der Fauna und Flora«. Die unzureichende ökonomische Eignung des Projektes erklärte das Gericht mit einem »mangelhaften Zeitgewinn« und »viel zu hohen Kosten« für die Bevölkerung.

Umgehend eingelegte Einsprüche des Staates könnten die Feierlaune der südfranzösischen Klimabewegung dämpfen. Doch so oder so stellt der Beschluss ein finanzielles Desaster für die Bauherren dar. Es ist ein bedeutender Schock in der Lieferkette zu erwarten. Frankreich wird versuchen das Gericht umzustimmen. Ein gewaltiges Argument könnte dabei das bereits verbaute Kapital von etwa 300 der angepeilten 500 Millionen Euro plus Spesen und Sabotagekosten darstellen. Dennoch rechnen Juristen damit, dass eine Umweltgenehmigung zurückzuerlangen, ein sehr kompliziertes und zeitaufwendiges Verfahren sein dürfte.

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