Evolution vor Gericht
Von Christoph Lammers
In den frühen 1920er Jahren erlebten die Vereinigten Staaten eine Welle des religiösen Fundamentalismus, die sich gegen moderne wissenschaftliche Theorien richtete. Im Mittelpunkt dieses Streits stand die Evolutionstheorie, insbesondere die von Charles Robert Darwin(1809–1882) entwickelte Theorie der natürlichen Selektion. Diese wurde von christlich-fundamentalistischen Gruppen als Bedrohung für den Glauben an die Schöpfung durch Gott angesehen. Galt der Homo sapiens bis in die Moderne als die Krone der Schöpfung, wurde er durch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft auf das reduziert, was er tatsächlich war: ein vom Baum gestiegener nackter Affe.
Ein Wendepunkt in dieser Bildungs- und Religionsdebatte stellte der am 21. März 1925 eingeführte »Butler Act« dar. Initiiert wurde er von John Washington Butler, Farmer und Mitglied des Repräsentantenhauses von Tennessee. Er vertrat die in der Gesellschaft weit verbreitete Position, dass die Bibel das Fundament sei, »auf dem unsere amerikanische Regierung aufgebaut ist«, lehnte die Evolutionstheorie ab und sah in deren Vertretern eine Bedrohung für die Gesellschaft.
Mit dem Gesetz wollte Butler das Unterrichten der Evolutionstheorie in öffentlichen Schulen verbieten und sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler nicht mit Ideen konfrontiert wurden, die im Widerspruch zu einer wörtlichen Auslegung der Bibel standen. Das Gesetz verbot daher ausdrücklich den Unterricht über »die menschliche Entwicklung oder die Evolution« in öffentlichen Schulen und sah Strafen für Lehrer vor, die gegen dieses Verbot verstießen. Dem Gesetz wird eine immense Bedeutung beigemessen, da es die Spannungen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und religiösen Überzeugungen widerspiegelte.
Der Scopes-Prozess
Die Verabschiedung des »Butler Acts« führte zu einem der berühmtesten Gerichtsverfahren in der US-amerikanischen Geschichte: dem »Scopes Trial«, auch »Monkey Trial« (Affenprozess) genannt. Im Juli 1925 wurde John T. Scopes, ein Lehrer aus Dayton, Tennessee, vor Gericht gestellt, weil er gegen den »Butler Act« verstoßen hatte. Scopes hatte im Biologieunterricht die Evolutionstheorie unterrichtet und wurde daraufhin angeklagt. Der Prozess wurde zu einem Symbol für den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion stilisiert. Scopes wurde schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von 100 US-Dollar belegt. Das Urteil wurde jedoch später aufgrund eines Verfahrensfehlers aufgehoben. Dass dem Prozess so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, lag auch daran, dass er als erster überhaupt live im Rundfunk übertragen wurde. Täglich brachten Flugzeuge Filmrollen für die Wochenschauen in die großen Städte der USA.
Der nur wenige Tage dauernde Prozess hatte eine breite Diskussion über Wissenschaftsunterricht in Schulen angestoßen und viele Menschen dazu gebracht, über die Rolle von Religion im Bildungswesen nachzudenken. In den folgenden Jahrzehnten blieb das Thema umstritten. In den 1960er Jahren erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in mehreren Entscheidungen – darunter »Epperson v. Arkansas« (1968) –, dass Gesetze wie der »Butler Act« verfassungswidrig seien, da sie gegen das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat verstießen.
Im Laufe der Jahre suchten die Vertreter des Kreationismus – also der Vorstellung, wonach die Entstehung des Universums sowie die Entstehung allen Lebens als Schöpfungswerk eines Gottes erklärt wird – nach einer Möglichkeit, Schöpfungsglaube im Curriculum der öffentlichen Schulen unterzubringen. Eine brauchbare Methode sahen sie in dem Versuch, eine Schöpfungslehre zu formulieren, die den Anspruch erhob, mit den Methoden der Naturwissenschaft die Annahmen der Bibel zu bestätigen. Das war die Geburtsstunde des »Scientific Creationism« (wissenschaftlicher Kreationismus).
Einige Bundesstaaten nahmen dies zum Anlass, Gesetze zu erlassen, wonach öffentliche Schulen angehalten wurden, neben der Evolutionstheorie Schöpfungswissenschaft zu lehren. Gegen diese Gesetze klagte die American Civil Liberties Union (ACLU). Hieraus resultierte ein bedeutender Rechtsfall aus dem Jahr 1981: »McLean v. Arkansas Board of Education«.
Im Bundesstaat Arkansas wurde bei einem US-Bezirksgericht Klage eingereicht. Es wurde argumentiert, dass der »Balanced Treatment for Creation-Science and Evolution-Science Act« verfassungswidrig sei, da das Gesetz den Unterricht in Schöpfungswissenschaft an öffentlichen Schulen vorschreibe. Man bezog sich auf die »Establishment Clause« des ersten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der die Religionsfreiheit festschreibt.
Anders als im ersten Scopes-Prozess wurde nicht unter juristischer Perspektive verhandelt, sondern es wurden fachwissenschaftliche Argumente in den Vordergrund gestellt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden gehört, die beurteilen sollten, ob die Schöpfungslehre den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben konnte. Das Urteil war eindeutig: Schöpfungswissenschaft, so Richter William Overton, sei Religion und keine Wissenschaft.
1987 wurde die Entscheidung höchstrichterlich bestätigt, da in einem weiteren Fall, bei dem es um ein ähnliches Gesetz des Staates Louisiana ging, der Oberste Gerichtshof die Lehre der Schöpfungswissenschaft für verfassungswidrig erklärte. Diese Feststellung war landesweit anwendbar.
Brüchiger Riegel
Es dauerte bis 2005, also vor genau 20 Jahren, bis ein neuer Prozess Aufsehen erregte. In Dover, Pennsylvania, beschloss der dortige Schulbezirk, einen Lehrplan einzuführen, der Schülerinnen und Schülern das Konzept des »Intelligent Designs« neben der Evolutionstheorie näherbringen sollte. Die Mehrheit des Schulvorstands war überzeugt, dass »Intelligent Design« eine wissenschaftliche Alternative zur gängigen Evolutionstheorie darstellen würde. Tatsächlich handelt es sich bei der Theorie des »Intelligent Designs«, der zufolge sich das Leben nur durch einen intelligenten Urheber erklären lässt, um eine moderne Form des Kreationismus.
Eltern klagten gegen den Lehrplan, da sie überzeugt waren, dass die Einführung von »Intelligent Design« im Unterricht gegen den First Amendment (ersten Zusatzartikel) der US-Verfassung verstoße, der die Trennung von Kirche und Staat garantiert. Die Kläger forderten eine gerichtliche Überprüfung der Lehrpläne und deren Vereinbarkeit mit den Prinzipien der wissenschaftlichen Bildung.
Wenige Wochen nach Beginn des Prozesses »Kitzmiller v. Dover Area School District« fällte Richter John E. Jones III sein Urteil: Der Schulbezirk hatte gegen den First Amendment verstoßen. Er stellte fest, dass das »Intelligent Design« keine wissenschaftliche Theorie sei und dass die Einführung dieses Konzepts im Unterricht als religiös motiviert angesehen werden müsse. Das Gericht entschied zudem, dass die Entscheidung des Schulvorstands auf einem religiösen Glauben basierte und nicht auf einer objektiven Bewertung wissenschaftlicher Fakten. Damit wurde dem Unterrichten religiöser Lehren an öffentlichen Schulen ein weiterer Riegel vorgeschoben – vorerst.
Mit der zweiten Präsidentschaft Donald J. Trumps und dem fortschreitenden Umbau des US-amerikanischen Justizsystems ist davon auszugehen, dass es weitere Versuche geben wird, die Trennung von Staat und Kirche auszuhebeln. Republikanisch geführte Staaten werden Gesetze erlassen, die der Verfassung widersprechen. Es werden Klagen folgen, die bis vor das Oberste Gericht der USA getragen werden. Mit der Mehrheit der rechtskonservativen Richter könnte so die Trennung von Staat und Religion in Frage gestellt und der Schöpfungslehre im Unterricht höchstrichterlich Tor und Tür geöffnet werden.
Aufklärung verboten
Abschnitt 1. Die Generalversammlung des Staates Tennessee beschließt, dass es für jeden Lehrer an Universitäten, normalen Schulen und allen anderen öffentlichen Schulen des Staates, die ganz oder teilweise von den öffentlichen Schulgeldern des Staates unterstützt werden, verboten ist, eine Theorie zu lehren, die die Geschichte der göttlichen Erschaffung des Menschen, wie sie in der Bibel gelehrt wird, leugnet und statt dessen lehrt, dass der Mensch von einer niedrigeren Ordnung wie den Tieren abstammt.
Abschnitt 2. Es wird ferner verfügt, dass jeder Lehrer, der sich der Verletzung dieses Gesetzes schuldig macht, sich eines Vergehens schuldig macht und bei Verurteilung mit einer Geldstrafe von nicht weniger als einhundert (100,00) und nicht mehr als fünfhundert (500,00) Dollar für jedes Vergehen belegt wird.
Auszug aus dem Butler Act, verabschiedet vom Kongress von Tennessee am 13. März 1925 Übersetzung: Ronald Weber
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