Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 10.03.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Marxistische Debatte

Der notwendige Aufwand

Neue Akzente: Paul Cockshotts anregendes Buch über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der menschlichen Arbeit
Von Klaus Müller
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Im Baujahr 1923 modern: Mit Sägespänen befeuerte Dampfmaschine in einem stillgelegten Sägewerk (Gartow, 3.6.2024)

Der schottische Ökonom und Informatiker Paul Cockshott, deutschen Lesern bekannt durch sein gemeinsam mit Allin Cotrell verfasstes Buch »Alternativen aus dem Rechner«, spannt in seinem neuen Werk einen Bogen von der Urgesellschaft über Sklavenhalterordnung, Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus bis zur Zukunft. Er steht dabei der marxistisch-leninistischen These einer determinierten Stufenfolge menschlicher Entwicklung skeptisch gegenüber und gibt die Annahme auf, dass sich die Gesellschaftsformationen gesetzmäßig ablösen. Er schließt sich Überlegungen des Mathematikers Andrei A. Markow an, der unterschiedliche Übergänge zwischen den Wirtschaftsformen für möglich hält, darunter auch »Rückfälle«. In diesem Ansatz sieht er einen Fortschritt gegenüber dem marxistisch-leninistischen, wenn auch immer noch eine »erhebliche Vereinfachung«. Das Buch enthält eine Fülle anregender Überlegungen. Hier sollen nur zwei herausgegriffen werden.

Cockshott sieht die Entwicklung der Menschheit von den Produktivkräften her bestimmt, wobei er den Wandel der Energieträger und der Antriebskräfte für entscheidend hält. »Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine mit industriellen Kapitalisten«, hatte Marx geschrieben. Und: »Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln, unterscheidet die ökonomischen Epochen.« Die kapitalistische Produktionsweise ist für Cockshott eine, die maschinell betrieben wird. Der wesentliche Unterschied zwischen den Sklaven- und Feudalökonomien und dem Kapitalismus sei technischer Art. Erstere hätten die künstliche Energie viel begrenzter genutzt.

Lenin reduzierte die Produktionsweise nicht auf ihre technischen Elemente. Er definierte den Kommunismus als Sowjetmacht plus Elektrifizierung. Auch Cockshott erkennt die Bedeutung der Produktionsverhältnisse und erklärt aus ihrem Wechselspiel mit den Produktivkräften den Antrieb, technische Verbesserungen im Kapitalismus zu erzielen. Je stärker die Position der Arbeiterklasse ist, desto mehr sucht das Kapital nach Maschinen, um die Arbeiter zu ersetzen. Sozialistische Ökonomien, gekennzeichnet wie die kapitalistische Produktionsweise durch Maschinenindustrie und Landwirtschaft, unterscheiden sich von dieser durch die Eigentumsformen und die Art und Weise, wie das Mehrprodukt bestimmt wird. Künftig sollten Technologien genutzt werden, die das Klima schützen, die Gesundheit erhalten und die Ernährung sichern. Solarkraftwerke im Orbit und Tokamaks (Fusionsreaktoren), die aus dem Deuterium im Meerwasser unbegrenzte Energie lieferten, sind die energetische Basis der kommunistischen Wirtschaft.

Cockshott sagt, dass mit Hilfe der Computer eine neue Äquivalenzökonomie möglich sei: »Käufe können mit Smartcards abgewickelt werden, die nicht durch Geld, sondern durch geleistete Arbeitszeit aufgeladen werden. Für eine Stunde Arbeitszeit könnten Güter gekauft werden, für deren Herstellung genau eine Stunde gearbeitet wurde.« Die Idee ähnelt dem von Marx kritisierten Stundenzettelgeld. Ihre Befürworter Gray, Proudhon und Owen hatten übersehen, dass nicht jede individuelle Arbeitszeit auch gesellschaftlich notwendig ist. Das Geld verkörpert nicht die individuelle, sondern die gesellschaftlich notwendige Arbeit.

Cockshott fragt, weshalb man in der UdSSR und der DDR mit Geld und nicht mit Arbeitseinheiten rechnete, das ausgegebene Papiergeld mit Rubel und Mark statt in Stunden beschriftet war. Die Antwort: Trotz Verstaatlichung und einer zentralen Planung war die Arbeit in den sozialistischen Ländern noch keine unmittelbar gesellschaftliche Arbeit. Die geringen rechentechnischen Kapazitäten erlaubten es nicht, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit – die Wertgröße der Waren – zu bestimmen. Geld ist erst dann entbehrlich, wenn die Produkte nicht mehr als Waren produziert, der Austausch über die Märkte nicht mehr die Art der Verteilung ist, der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand zur Herstellung der Produkte von vornherein ermittelt und die Produktion zentral koordiniert geplant werden. Rechentechnisch ist das inzwischen möglich geworden. Aber das privatkapitalistische Eigentum verhindert den Gesamtplan. Was Marx und Engels für den Kapitalismus ausschlossen, hielten sie erst für einen »Verein freier Menschen« für durchführbar.

Das Buch ist eine fakten- und kenntnisreiche Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklung von der Urgemeinschaft bis in die Zukunft, aufgelockert durch viele Abbildungen und Tabellen, geschrieben in einer verständlichen Sprache. Es setzt neue Akzente, bereichert die Diskussion sozialhistorischer Fragen und regt an, sie fortzusetzen.

Paul Cockshott: Was die Welt am Laufen hält. Die Geschichte menschlicher Arbeit vom Beginn bis heute. Aus dem Englischen übersetzt von Helmut Dunkhase. Mangroven, Kassel 2024, 478 Seiten, 36 Euro

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