Strahlende Renaissance
Von Wolfgang Pomrehn
Heute jährt sich die große Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima, die einen ökonomischen Schaden von weit über 200 Milliarden Euro angerichtet hat. Doch 14 Jahre später zeigen Konservative und Faschisten weltweit noch immer eine irrationale Liebe zur Atomkraft, wie unter anderem ein Blick in die Wahlprogramme von CDU und AfD zeigt. Während hierzulande das letzte AKW längst abgeschaltet ist und der Rückbau begonnen hat, fordert der künftige Blackrock-Kanzler Friedrich Merz ein Abrissmoratorium für die drei zuletzt abgeschalteten Anlagen Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 und erweckt damit den Eindruck, die Reaktoren noch einmal ans Netz bringen zu können.
Doch die Betreiber sind wenig begeistert, wie etwa der Eon-Vorstandsvorsitzende Leonhard Birnbaum, der das Handelsblatt Ende Februar wissen ließ: »Wir wollen ganz klar zurückbauen. Und wir haben überhaupt keine Lust auf Verzögerungen aus dem politischen Raum.« Birnbaum kann dabei auf Paragraph 7 des Atomgesetzes verweisen, der AKW-Betreiber wie Eon oder EnBW verpflichtet, die genannten drei Kraftwerke »unverzüglich stillzulegen und abzubauen«.
Wollte man die Anlagen tatsächlich noch einmal in Betrieb nehmen, müssten die bereits ausgebauten Teile ersetzt werden. Außerdem müssten aufwendige neue Betriebsgenehmigungen her. Auch fehlt es an Fachleuten. Da das Land bereits seit Anfang des Jahrtausends im Ausstiegsmodus ist, wurde kaum noch ausgebildet. Angela Merkels 2010 beschlossener Ausstieg aus dem Ausstieg hatte nicht einmal ein Jahr Bestand, als sie im Frühjahr 2011 aufgrund erheblichen öffentlichen Drucks nach dem Unglück in Fukushima eine 180-Grad-Kehre hinlegte. Und schließlich ist Atombrennstoff auch nicht in jedem Supermarkt zu bekommen, sondern hat Bestellzeiten von über einem Jahr.
Italiens extrem rechte Regierung ist derweil schon einen Schritt weiter als Friedrich Merz. Das Kabinett von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat Ende Februar einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Voraussetzungen für den Bau neuer Atomkraftwerke schaffen soll. Erste Gespräche mit möglichen Kraftwerkslieferanten seien bereits geführt worden. Allerdings ist von neuartigen Kleinreaktoren die Rede, von denen es noch nicht einmal Prototypen gibt.
Die Bevölkerung scheint indes wenig enthusiastisch. Laut Meinungsumfragen, zitiert von der Zeit, sprechen sich 81 Prozent gegen die Atompläne aus. Das hat in Italien Tradition. 2011 hatte Silvio Berlusconi, einer von Melonis Vorgängern, schon einmal versucht, neue Atomkraftwerke auf den Weg zu bringen. Im Sommer 2011 wollte er sich dafür in einem Referendum die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger holen. Dann kam ihm jedoch Fukushima in die Quere, und das Ergebnis war ein 94prozentiges Nein zur Atomkraft. Bereits 1987 hatten die Italiener sich in einer Volksabstimmung gegen die Atomkraftnutzung ausgesprochen. Das letzte AKW zwischen Adria und Tyrrhenischen Meer war 1990 abgeschaltet worden, eine AKW-Baustelle wurde seinerzeit vorzeitig stillgelegt.
Die Atomkraftwerke sollen »saubere, sichere und billige Energie« liefern, ließ Meloni wissen, doch alle Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte lassen etwas ganz anderes erwarten. Wie sicher Atomkraftwerke sind, sollten die Katastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 hinlänglich gezeigt haben. Und auch mit Versorgungssicherheit ist es nicht allzu weit her, wie man in Frankreich weiß. Dort kann es passieren, dass Atomkraftwerke in heißen Sommern vom Netz gehen, da das Wasser der Flüsse zu warm wird, um als Kühlwasser eingesetzt zu werden.
Oft genug kommt es außerdem vor, dass Atomkraftwerke wegen Störfällen plötzlich abgeschaltet werden müssen, wie es etwa im AKW Krümmel bei Hamburg des öfteren vorkam – einmal sogar, im Juni 2007, gleichzeitig mit dem ebenfalls an der Elbe gelegenen AKW Brunsbüttel, so dass in Teilen Hamburgs der Strom ausfiel und die U-Bahnen stillstanden. Und da AKW meist große Mengen von Strom liefern, fällt ihr plötzlicher Ausfall wesentlich stärker ins Gewicht, als wenn eine Windkraftanlage einen Maschinenschaden hat oder ein Solarpark vom Netz genommen werden muss. Das bekam Ende November 2023 Finnland zu spüren, als das neue AKW Olkiluoto 3 nach nicht einmal zwei Jahren Betrieb wegen eines Turbinenschadens unerwartet ausfiel. 1.600 Gigawatt Erzeugungskapazität fehlten plötzlich – knapp 40 Prozent der finnischen AKW-Flotte, die etwas mehr als ein Drittel des finnischen Strombedarfs abdeckt.
Was den vermeintlich billigen Atomstrom angeht, sollte sich Meloni mal bei den wenigen europäischen Ländern umhören, die noch neue Atomkraftwerke bauen. Lediglich zwei sind in der EU in den letzten 28 Jahren ans Netz gegangen: Olkiluoto 3 an Finnlands Westküste Anfang 2022 und Flamanville an der französischen Kanalküste im Dezember 2024. Beide Anlagen hätten nach einer Bauzeit von fünf Jahren fertig sein sollen, benötigten aber jeweils etwa 17 Jahre. Die Baukosten: 13,3 Milliarden Euro in Frankreich und elf Milliarden in Finnland. Geplant waren ursprünglich Kosten von drei beziehungsweise 3,3 Milliarden Euro. Ähnliches spielt sich derzeit in Hinkley Point im Südwesten Großbritanniens ab. Dort wird seit 2016 an zwei neuen Reaktoren gebaut, die ursprünglich 2025 fertiggestellt sein und 21,4 Milliarden Euro kosten sollten. Derzeitiger Stand: Es wird wohl bis 2031 dauern, und die Betreiber müssen eher 55 Milliarden Euro auf den Tisch legen.
Hintergrund: Atomkraft in Zahlen
Die USA sind noch immer mit erheblichem Abstand das Land mit den meisten Atomkraftwerken. 94 Reaktoren sind dort noch im Betrieb und deckten 18,5 Prozent des Strombedarfs 2023. Im globalen Maßstab ist der Anteil der Atomenergie an der Stromversorgung deutlich niedriger und nimmt weiter ab. Den Höhepunkt erreichte er 1996 mit 17,75 Prozent. 2023 kam hingegen nach den Statistiken der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) nur noch 9,11 Prozent der weltweit benötigten elektrischen Energie aus einem Atomkraftwerk. Zum Vergleich: Sonne und Wind trugen 2023 bereits 13,35 Prozent zum globalen Strombedarf bei, so die Onlinepublikation Our World in Data. Nach einer Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) wächst ihr Anteil bis 2030 auf 30 Prozent.
Seit etwa zehn Jahren werden wieder vermehrt AKW in Betrieb genommen, aber immer noch wenig im Vergleich zum Höhepunkt des weltweiten Booms. Zwischen 1984 und 1987 gingen 98 Reaktoren ans Netz. Heutzutage werden AKW vor allem in China errichtet, wo es derzeit 28 entsprechende Baustellen gibt. 2023 waren dort nach IAEA-Angaben bereits 57 Reaktoren in Betrieb, die allerdings nur zu knapp fünf Prozent der Stromversorgung beitrugen.
Von den weltweit 417 laufenden Reaktoren sind 191 inzwischen 40 Jahre oder älter. Weitere 69 werden diese Schwelle in den nächsten fünf Jahren überschreiten. Die ältesten drei laufen bereits seit 56 Jahren. 40 Jahre sind für gewöhnlich die Zeit, für die solche Anlagen ausgelegt sind. Außerhalb des Reaktordruckbehälters, der die Brennstäbe enthält, lassen sich Anlagenteile auswechseln. Der Druckbehälter muss hingegen bis zum Ende der Betriebszeit halten. Doch der Stahl, aus dem er besteht, wird mit der Zeit spröde. Haarrisse können sich bilden – so geschehen unter anderem beim belgischen AKW Tihange 2, das trotz Tausender entsprechender Risse noch mehr als zehn Jahre weiterbetrieben, aber Anfang 2023 endlich abgeschaltet wurde. (wop)
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Leserbrief von Dr. Wolfgang Doster aus Erding (11. März 2025 um 13:59 Uhr)Aus dem Artikel geht klar hervor, daß die Atomenergie in Deutschland keine realistische Zukunft mehr hat. Alle Energiekonzerne lehnen ab. Warum also diese Diskussion? Geht es möglicherweise gar nicht um deutsche Kernkraftwerke, sondern um die Option einer Atombombe für Deutschland? Was auf den ersten Blick weit hergeholt wirkt, ergibt beim Blick auf die Fakten ein ganz anderes Bild. Die friedliche und die militärische Nutzung der Atomspaltung waren schon immer zwei Seiten einer Medaille. Franz Josef Strauß wollte mit dem Bau des Forschungsreaktors in Garching in den 50er Jahren einen Zugang zu einer deutschen Atombombe. Dem hat nur der Atomwaffensperrvertrag einen Riegel vorgeschoben. Aber die Option sollte erhalten bleiben, daher entschied man sich für die friedliche Nutzung der Kernenergie trotz Unwirtschaftlichkeit und Unversicherbarkeit. Weltweit ist die Atomenergie nur der Vorwand für ein nukleares Waffenprogramm. Sämtliche Atommächte setzen daher auf Kernenergie. Der Einsatz und selbst die Lagerung von Atombomben sind völkerrechtswidrig, das verstößt gegen den Kernwaffenverbotsvertrag der UNO. Trotzdem lagern in Büchel ca. 20 US-Wasserstoffbomben unter dem Vorwand der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr. Die Flugzeuge F35 für deren Einsatz wurden gerade in den USA bestellt. In Deutschland sind Atombomben derzeit nicht besonders populär, daher sollen Mittel für die Herstellung unter dem Label ‚Kernenergie‘ mobilisiert werden. Für die Herstellung braucht man neben Fachpersonal eine Anreicherungsanlage von Kernbrennstoffen und eine Fabrik für Brennelemente. Beides gibt es in Gronau und Lingen. Die CDU/CSU, die SPD, die FDP und die AfD haben es bisher abgelehnt, diese Einrichtungen parallel zu den Reaktoren stillzulegen. Der Forschungsreaktor in Garching wird seit 20 Jahren genehmigungswidrig mit hoch-angereichertem, waffenfähigen Uran betrieben. Diese Brennstäbe könnten die Basis für die erste Bombe werden. Dr. Wolfgang Doster, Erding
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (10. März 2025 um 21:12 Uhr)Zitat: »Doch 14 Jahre später zeigen Konservative und Faschisten weltweit noch immer eine irrationale Liebe zur Atomkraft, [...]« Nun, laut dem zugehörigen Artikel baut auch China derzeit an 28 neuen Atomkraftwerken ... Eine sachliche Analyse diesbezüglich steht aus. Oder sind Chinas Kraftwerke billiger, sicherer und weniger störanfällig für zu warmes Kühlwasser? Fragen wir doch einfach die Opfer von Tschernobyl, Fukushima usw. usf.
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