Wirbel um Milliarden aus Iran
Von Knut Mellenthin
Am Donnerstag der vorigen Woche schlug der Spiegel Alarm: »Iran will eingefrorenes Milliardenvermögen abziehen«, vermeldete das Magazin. Und das ausgerechnet aus Deutschland! Das Geld sei bei einem Tochterunternehmen der Deutschen Börse deponiert und wegen US-amerikanischer Sanktionen »eingefroren«. Weiter hieß es: »Nach Spiegel-Informationen soll das Regime in Teheran erste Versuche unternommen haben, zumindest an Teile des Vermögens in Höhe von ursprünglich knapp 4,9 Milliarden US-Dollar zu gelangen.«
Die Gruppe Deutsche Börse ist eine deutsche Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main. Das im Spiegel erwähnte Tochterunternehmen ist Clearstream, eine internationale Gesellschaft für die Verwahrung von Wertpapieren und die Abwicklung von Geschäften mit diesen, die ihren Sitz in Luxemburg hat.
Der vom Spiegel gemeldete oder vielleicht auch nur konstruierte aktuelle Vorgang hat eine weit zurückreichende Vorgeschichte. Das umstrittene Guthaben gehört der iranischen Zentralbank (CBI oder Bank Markazi). Aufgrund der US-amerikanischen Sanktionen brach Clearstream 2007 seine Beziehungen zur CBI und anderen iranischen Banken ab und forderte sie auf, ihre Einlagen abzuziehen. Das verzögerte sich jedoch wegen des Mangels an Alternativen. Das Justizministerium der USA warf Clearstream daraufhin Verstöße gegen die Sanktionsbestimmungen vor und wollte zunächst eine Strafe von 340 Millionen US-Dollar verhängen. Im Januar 2014 einigte man sich auf die Zahlung von 152 Millionen US-Dollar.
Unabhängig davon verurteilte ein US-Gericht im Jahr 2007 die Islamische Republik, den verletzten Opfern eines Anschlags in Beirut und den Angehörigen der dabei Getöteten insgesamt 2,65 Milliarden US-Dollar Entschädigung zu zahlen. Die Sammelklage bezog sich auf die Explosion eines mit Sprengstoff beladenen Lkw in einer Kaserne in der libanesischen Hauptstadt, bei der 241 US-Soldaten getötet wurden. Die US-Regierung machte Iran dafür mitverantwortlich. In einem späteren Urteil wurden den rund 1.000 Klägern 1,7 Milliarden US-Dollar aus dem Depot der Bank Markazi bei Clearstream zugesprochen.
Was hat sich aktuell Neues ereignet und den Artikel im Spiegel veranlasst? Der Autor, Fidelius Schmid, schreibt, dass ein Manager der iranischen Firmengruppe Sepehr Energy, dessen Namen er mit Majid A. angibt, »mit der Aufgabe betraut worden« sei, »die bei Clearstream verbliebenen Milliarden der Mullahs loszueisen. So hätten M. und weitere Emissäre Reisen nach Europa geplant und entsprechende Visa beantragt«. Als Quelle dieser Erzählung gibt Schmid ohne Erläuterung »Sicherheitskreise« an, die auch an mehreren anderen Stellen des Artikels zuverlässige Informationen ersetzen müssen.
Die in London ansässige Website Iran International, die auf Negativgeschichten über die Islamische Republik spezialisiert ist, zitierte den Spiegel-Artikel mit der Bemerkung, dass es sich bei dem erwähnten Manager wohl um Majid Azami handele. Dessen konkrete Aufgabe bleibt offen. Mit Sicherheit geht es nicht um »erste Versuche« Irans, an das Geld zu gelangen, wie Schmid schreibt. Vielleicht von fremder Hand eingefügt steht in dem Artikel korrekt, dass die Bank Markazi schon 2018 eine Klage gegen Clearstream auf Herausgabe der ursprünglichen Einlage von fast fünf Millionen US-Dollar plus Zinsen auf den Weg gebracht hat. Der Rechtsstreit ist immer noch in Gang, für Verhandlungen gibt es angesichts der US-Sanktionen keinen Spielraum, und was die vom Spiegel suggerierte Rolle Azamis angeht, herrscht völlige Unklarheit. Man wüsste gern, welche »Sicherheitskreise« dem Nachrichtenmagazin dieses Detail anvertraut haben, das unabhängig vom Spiegel-Artikel nirgendwo im Internet zu finden ist, und welche Absicht dahintersteht.
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