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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Kiew pokert hoch

Ukraine beschießt Moskau mit Hunderten Drohnen, während Vertreter in Saudi-Arabien mit den USA über mögliche Friedensgespräche verhandeln
Von Reinhard Lauterbach
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Inspektion der Schäden nach den Drohnenangriffen der Nacht am Dienstag in der Region Moskau

Die Ukraine hat in der Nacht zum Dienstag den bisher umfassendsten Drohnenangriff des Krieges auf Ziele in Moskau und Umgebung gestartet. Abgefeuert wurden offenbar mehrere hundert dieser unbemannten Sprengsätze, von denen nach russischen Angaben 337 abgeschossen werden konnten. Mindestens drei Bewohner einer Moskauer Umlandgemeinde kamen ums Leben. Der Flugverkehr am Flughafen Domodedowo, dem größten des Landes, war mehrere Stunden lang unterbrochen, wurde aber später wieder aufgenommen. Ein ukrainischer Militärsprecher sagte, der Angriff habe Russland verdeutlichen sollen, dass es Interesse an einer Einstellung der Kämpfe im Luftraum haben müsse.

Derweil setzen die russischen Truppen ihren Vormarsch zur Rückeroberung des Kursker Gebiets fort. Allein am Montag wurden laut dem Verteidigungsministerium zwölf Ortschaften eingenommen. Am Dienstag gelang es russischen Truppen offenbar, bis an den Stadtrand und ins Gewerbegebiet der grenznahen Kleinstadt Sudscha vorzudringen. Fotos im Internet zeigten russische Soldaten vor einer Betonstele mit dem Stadtwappen. Auch die ukrainische Seite spricht inzwischen vom Rückzug ihrer Einheiten zum Zweck der »Frontbegradigung«. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte die Offensive auf russisches Gebiet im August vergangenen Jahres angeordnet, um für den Fall von Friedensverhandlungen ein Faustpfand in der Hand zu haben. Ursprüngliche ukrai­nische Absichten, die AKW-Anlage in Kurtschatow westlich von Kursk zu besetzen, waren schon schnell gescheitert. Inzwischen kontrollieren die ukrai­nischen Truppen in dem russischen Grenzgebiet noch knapp 200 Quadratkilometer von einst 1.200.

Inzwischen wurden auch weitere Details über den russischen Marsch durch die leere Gaspipeline hinter die ukrainische Front in der vergangenen Woche bekannt. An der Aktion waren demnach Kräfte in doppelter Bataillonsstärke beteiligt – insgesamt 800 Soldaten. Sie seien ausgestattet mit Sauerstoffflaschen über 15 Kilometer durch das Rohr mit einem Durchmesser von 1,40 Meter gekrochen und hätten im Innern vier Tage lang auf den Angriffsbefehl gewartet. Ihr unerwartetes Auftauchen im ukrainisch kontrollierten Gebiet nahe Sudscha hatte offenbar den Zusammenbruch der Front ausgelöst oder wenigstens beschleunigt.

Im saudischen Dschidda begannen am Dienstag Verhandlungen zwischen Delegationen der Ukrai­ne und der USA über Bedingungen für mögliche Friedensverhandlungen. Washington erwarte nach Bekundungen mehrerer Politiker der Trump-Administration Klarheit darüber, zu welchen – insbesondere wohl territorialen – Zugeständnissen die Ukraine in künftigen Friedensverhandlungen bereit wäre; Kiew versucht weiterhin, von den USA Zusagen zu Sicherheitsgarantien und erneuerten Waffenlieferungen zu erhalten. Die Bereitstellung von Aufklärungsdaten für die ukrainische Armee soll nach Andeutungen aus den USA demnächst wieder aufgenommen ­werden.

Im Land selbst forderten unterdessen zwei prowestliche Oppositionsparteien einen möglichst raschen Friedensschluss. Die Partei »Europäische Solidarität« des früheren Präsidenten Petro Poroschenko und die »Vaterlandspartei« von Julija Timoschenko zeigten sich empört über Äußerungen von BND-Chef Bruno Kahl vom Wochenende. Er hatte in einem Interview erklärt, aus europäischer Sicht sei es wünschenswert, dass der Krieg bis mindestens 2029 weitergehe. Ansonsten könne Russland »Europa« schneller unter Druck setzen, als sein Nachrichtendienst bisher berechnet habe.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. März 2025 um 10:00 Uhr)
    Der Teufel liegt im Detail – ein altes Sprichwort, das hier besonders zutrifft. Trump interessiert sich jedoch nicht für Details – und genau das ist das Problem. Er will Frieden, so wie jeder Frieden will, doch für alle zählt nur ein Frieden zu seinen eigenen Bedingungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kreml mit einem möglichen »Minsk III«-Abkommen als Feuerpause, das aus Dschidda verkündet wurde, zufrieden wäre. Eine echte Verhandlungslösung setzt voraus, dass beide Seiten zumindest minimale Zugeständnisse machen – doch daran scheint weder Moskau noch Washington wirklich interessiert. Hat Trump seine Strategie geändert? Setzt er erneut auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Ukraine? Für ihn zählt letztlich nur der »Deal«. Doch mit einer erschöpften und stark dezimierten ukrainischen Armee ist kaum noch etwas zu gewinnen. Und genau hier liegt das eigentliche Problem des Westens. Zudem müssten sich alle Seiten darüber im Klaren sein, dass ein reines Einfrieren des Krieges an der gegenwärtigen Front keinen Frieden garantiert. Damit ist jedoch die Haltung Russlands bei weitem nicht die einzige Unsicherheit. Im besten Fall beginnt ein Prozess, der zahllose offene Fragen klären muss. Sie betreffen nicht nur die Überwachung eines Waffenstillstands, sondern auch territoriale Zugeständnisse und die zukünftige Sicherheitsarchitektur für die Ukraine und ganz Europa.

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