Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Donnerstag, 13. März 2025, Nr. 61
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 13.03.2025, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Symbolischer Ungehorsam

Der 1. FC Union Berlin nach dem Feuerzeugurteil. Ein Kommentar
Von Raphael Molter
imago1055360090.jpg
Nach der Begegnung mit dem Feuerzeug: VfL Bochums Torhüter Patrick Drewes krümmt sich vor Schmerzen (Berlin, 14.12.2024)

Der lange Marsch geht weiter. Nach der Niederlage in zweiter Instanz kündigte der 1. FC Union Berlin in persona seines Präsidenten Dirk Zingler an, das ständige Schiedsgericht anzurufen. In der Dauerdebatte um den Feuerzeugwurf beim Heimspiel der Eisernen gegen die ebenfalls abstiegsbedrohten Bochumer am 14. Dezember stellt sich nun die eigentliche Gretchenfrage: Lassen die Verbandsgerichte die Trennung zwischen Spielwertung einerseits und Präventionsverpflichtungen andererseits bestehen? Setzen sich also Funktionäre über sportlich erzielte Ergebnisse hinweg und ändern diese nachträglich aus politischen Beweggründen ab.

Bereits der erste Gerichtstermin am 9. Januar sorgte dahingehend für einige Aufmerksamkeit, wurde doch mit dem erstinstanzlichen Urteil diese Trennung erstmals aufgehoben, die nun auf zweiter Ebene bestätigt wurde. Bei Union sehen sie darin die Integrität des sportlichen Wettbewerbs gefährdet. Ein Argument, das illustrerweise auch beim EuGH-Urteil zur Super League von entscheidender Bedeutung war und wohl die nähere Zukunft des europäischen Fußballs mit Blick auf staatliche Eingriffe bestimmt (jW berichtete). Denn die jetzt höchstrichterlich bestätigte Rolle der Fußballverbände ist nicht in ihrem exklusiven Zugriff auf die Organisierung der Wettbewerbe zu suchen, sondern nur in der Wahrung der Integrität. Das zu schützende Spiel steht über allem, zunehmend auch über der Autonomie des Sports.

Allein deshalb lohnt sich ein kritischer inhaltlicher Blick auf die Ausführungen der Unioner gegen das Urteil, die den verbandlichen Sportgerichten »keinen Ermessensspielraum« einräumen und die Aufrechterhaltung des sportlichen Ausgangs (1:1) einfordern. Gleichzeitig zeigen sich bereits Gedankenspiele, die Streitigkeit über die Sportgerichtsbarkeit hinauszutragen und zivilrechtliche Schritte einzuleiten. Was dahintersteckt? »Das laufende Verfahren lässt erkennen, dass die Rechtsorgane des DFB ihrem Sanktionsbegehren gegenüber Zuschauern (…) den Vorrang geben vor ihrem eigentlichen Auftrag, den sportlichen Wettbewerb und die teilnehmenden Klubs zu schützen.«

Das Präsidium wagt einen halbwegs ganzheitlichen Blick auf die Dinge und erklärt damit auch die eigens gewählte Strategie, die Folgen für aktuelle Fan- und Vereinsbündnisse hat(te). Wer sich beim Wort des »Sanktionsbegehrens« an die laufende »Verbandsstrafen abschaffen«-Kampagne erinnert fühlt (jW berichtete), liegt richtig. Das Unioner Präsidium hat in der weiteren Verfolgung einer juristischen Lösung zum Feuerzeugwurf offensichtlich im Kopf, auch die problematische Pyrotechnikbestrafung auf juristischem Wege zu bekämpfen. Damit ist wohl auch die Begründung gefunden, warum sich der Verein nicht auf der Unterschriftenliste der Kampagne finden lässt, obwohl ein positiver Mitgliederbescheid zum Thema vorliegt und das Präsidium eigentlich zur Unterstützung zwingt.

Union geht mal wieder einen eigenen Weg. Anstatt das über lange Zeit hart erarbeitete Bündnis als einziger Erstligist wirksam zu unterstützen und diesen politischen Kampf auch gegen eigene Vorteile in der Verhandlungsführung rund um den Feuerzeugwurf zu führen, also Solidarität praktisch vorzuleben, glaubt man in Köpenick offenbar nicht mehr an die Wirksamkeit solcher gemeinsam geführten Kämpfe. Der unerschütterliche Glaube an das Rechtsstaatsprinzip und die Verstöße des DFB gegen die inneren Aufgaben, die nach dem EuGH-Urteil primär in der Wahrung der Integrität des Wettbewerbs liegen, könnten bei ordentlichen Gerichtsinstanzen sogar verfangen. Aber: Das Fallenlassen des Bündnisses geht auf Kosten der eigens gewählten Legalitätsstrategie. Die Vereinsführung ignoriert den Beschluss auf der vergangenen Mitgliederversammlung im Oktober 2024 und hat sich nicht einmal intern gegenüber der eigenen Basis erklärt. Die Köpenicker Altherrenkapitalisten in der Vereinsführung sind mal wieder sprichwörtlich unter sich und dabei in tiefer Überzeugung, es auch ohne klares politisches Mandat des Vereins am besten verstanden zu haben.

Selbst wenn Union damit sogar höchstrichterlich noch die Kampagne gegen die verbandliche Sanktionspolitik unterstützen könnte – bei Fragen von Gerechtigkeit und Respekt bleibt der Köpenicker Verein offensichtlich am liebsten bei sich. Wer aber hinter dem aktuellen Urteil eine politische Linie vermutet, muss sich auch politisch aufstellen können und nicht ausgerechnet in diesem Moment das Bündnis fallenlassen. Das Motto scheint an der Alten Försterei zu lauten: Niemals gemeinsam – immer allein!

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.