Masse und Klasse
Von Jan Kadel
Das Vertrauen in die etablierten Medien nimmt fortlaufend ab. Viele Menschen empfinden ihre Sorgen oder Perspektiven von der Berichterstattung nicht mehr angemessen berücksichtigt. Dies ist aus materialistischer Sicht nicht weiter verwunderlich, selbst wenn Medien als »vierte Gewalt« im Staat bezeichnet werden. Denn auch der Staat ist schließlich nur eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht, die aber tatsächlich die Unterdrückung des Klassenkampfes im Sinne der herrschenden Klasse sichert. So bestehen auch die Medien nicht abseits und unabhängig vom wirtschaftlichen System, sondern sind größtenteils als gewinnorientierte Unternehmen in Privatbesitz in die kapitalistische Wirtschaftsform integriert. Als solche spielen sie im Kapitalismus nicht nur eine partizipatorische Rolle, sondern erfüllen durch ihren Einfluss als öffentliche Informationsquellen auch eine systemerhaltende Funktion. Das war bereits Ende der 1980er Jahre auch die Kritik von Michael Parenti (unter anderem in »Inventing Reality« und »Make-Believe Media«) sowie von Edward Herman und Noam Chomsky (in »Manufacturing Consent«):
»Die Massenmedien dienen als ein System zur Übermittlung von Botschaften und Symbolen an die breite Bevölkerung. Ihre Aufgabe besteht darin, zu unterhalten, zu amüsieren und zu informieren – aber auch darin, Individuen Werte, Überzeugungen und Verhaltensmuster einzuprägen, die sie an die institutionellen Strukturen der Gesellschaft anpassen. In einer Welt von konzentriertem Reichtum und erheblichen Klassengegensätzen erfordert die Erfüllung dieser Funktion eine systematische Propaganda.«¹
Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Materielle Bedingungen
»Freiheit der Presse ist nur denen garantiert, die eine besitzen«, schrieb A. J. Liebling einst im New Yorker. Auch bei Karl Marx findet sich bereits die Erkenntnis, dass der, der über die materiellen Produktionsmittel verfügt, auch die geistige Produktion kontrolliert. Die einst vielfältige Medienlandschaft mit unabhängigen Lokalzeitungen hat sich über Jahrzehnte durch Enteignung, Verdrängung und Konzentration hin zu einer monopolistischen Struktur gewandelt, in der wenige Konzerne den Markt dominieren. In den USA sind mit Comcast, Disney, News Corp., AT&T und National Amusements lediglich fünf große Unternehmen für die absolute Mehrheit aller Medienveröffentlichungen verantwortlich.² In Deutschland bestimmten die fünf größten Verlage (Bauer, Funke, Burda, Gruner und Jahr und Klambt) im Jahr 2022 mit zusammen fast zwei Dritteln der Marktanteile und einem Anteil von mehr als 80 Prozent aller regelmäßigen Publikationen maßgeblich die Veröffentlichungslandschaft – trotz der öffentlich-rechtlichen Medien.³
Private Geschäftsführungen dominieren folglich die meisten Medienunternehmen. In diesen üben sie ihre Macht direkt oder durch Aufsichtsräte aus, die über Budgetierung, personelle Fragen und Entlassungen bestimmen. Diese Medienunternehmen operieren somit nicht nach demokratischen Prinzipien, sondern im Interesse der Kapitalbesitzenden. Dabei verwischen die Grenzen zwischen Medien und Wirtschaft: Zunehmende Eigentumskonzentration, hohe Managergehälter, politische Konformität, Gewerkschaftsfeindlichkeit und Profitstreben prägen die Branche. Denn das hauptsächliche Ziel eines Großteils der Medienunternehmen ist notwendigerweise die Gewinnmaximierung. Dabei werden durch den Zwang, die Medien möglichst einfach und an eine große Masse vermarkten zu können, die Inhalte weiter eingeschränkt. Besonders die Abhängigkeit von Werbepartnern, die eine zentrale Einnahmequelle darstellen, führt zu einer zusätzlichen Verbindung mit den Interessen des restlichen Unternehmenssektors, da für Werbefläche nur dort bezahlt wird, wo auch der sonstige Inhalt den Interessen des werbenden Unternehmens entspricht.
Hin und wieder auftretende Gegenmeinungen können gleichwohl nicht gänzlich vermieden werden, und gelegentlich betreiben auch große Medienhäuser wie die New York Times und BBC investigativen Journalismus. Besonders Recherchen über Machtmissbrauch, Lohndisparität, die Zentralisation von Privatbesitz und Verbrechen der eigenen Regierung werden allerdings kaum durch die Mainstreampresse getragen und müssen statt dessen über kleine Verlage und unabhängige, schlecht finanzierte Publikationen geschehen. So wurden die Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak etwa erst durch Wikileaks öffentlich gemacht, bevor die etablierten Medien nach und nach – und dabei durchaus unwillig – in die Berichterstattung einstimmten. Unterdessen können sich solche kleinen Plattformen kaum in der freien marktwirtschaftlichen Konkurrenz gegen die großen Monopole behaupten und sind gezwungen, ähnliche Wege wie diese einzuschlagen. Andernfalls kämpfen sie kontinuierlich um ihr Überleben, da sie kaum Sponsoren oder Werbepartner finden. Auch hierzu stellte Marx bereits fest: »Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.«⁴
Private und staatliche Zensur
Investmentgiganten wie Blackrock, Vanguard und State Street halten erhebliche Anteile an den größten börsenorientierten Firmen – darunter Energieunternehmen, Banken, diverse Versicherungs- und Pharmakonzerne, Einzelhandelsketten, ebenso Microsoft, Apple, Amazon, Facebook und Alphabet Inc. (Google). Gleichzeitig kontrollieren sie damit aber Anteile von Comcast, Disney, News Corp. und AT&T, was wirtschaftliche und mediale Interessen weiter verflicht.⁵ Jeff Bezos’ Kauf der Washington Post 2013 bietet ein weiteres Beispiel: Einst für investigative Berichterstattung zum Watergate-Skandal und den »Pentagon Papers« bekannt, fiel die Zeitung daraufhin mit Headlines auf wie: »The smartest way to make the rich pay is not a wealth tax.« und »The billionaire’s space race benefits the rest of us. Really.« Elon Musk beweist schließlich mit der Übernahme von Twitter, dem Rebranding zu X und der dort inzwischen ausführlich dokumentierten Einflussnahme, dass die sozialen Medien ebenso von diesem Trend betroffen sind. Der Einfluss der Besitzenden auf den Inhalt der Berichterstattung kann folglich eine konkrete Zensur bedeuten, die mindestens so gründlich ist wie die durch den Staat.
Dennoch übt selbstverständlich neben dem privaten Sektor auch der bürgerliche Staat regelmäßig Druck auf die Medien aus. Journalistinnen und Journalisten sind aus Effizienzgründen oft auf offizielle Quellen angewiesen, wodurch Regierungen, Polizei und Unternehmen mehr Raum und Glaubwürdigkeit erhalten als Protestierende oder Betroffene sozialer Missstände. Die Veröffentlichungen staatlicher Stellen werden daher oft weiterverbreitet, ohne sie dabei auf Einseitigkeiten oder Färbungen zu untersuchen. So wird der Schein ihrer Unabhängigkeit reproduziert. Durch die Abhängigkeit von diesen Veröffentlichungen sowie von Sendelizenzen und Vertriebsrechten übt der Staat eine regulierende Macht aus. Solche und weitere Disziplinarmaßnahmen jeglicher Art werden bei Herman und Chomsky als »Flak« bezeichnet, was mit »Gegenfeuer« übersetzt werden kann. »Flak« kann dabei die Form der Androhung und Entziehung von Unterstützung annehmen, aber auch durch überwältigende Berichterstattung anderer Medienhäuser, Diskreditierung oder direkte Machtanwendung erfolgen. Die jahrelange Jagd auf Julian Assange, der sich nur durch ein Schuldgeständnis befreien konnte, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Inlandsgeheimdienste und Behörden wie das FBI zur offenen Repression bereit sind, um »gefährliche« Berichterstattung zu unterdrücken. Die erfolgreiche Produktion von »Flak« ist kostspielig und machtabhängig, weswegen die Anwendung hauptsächlich bestehenden Mächten vorbehalten ist und damit weiter ihre Position stützt.
Aus der dargestellten Argumentation ergibt sich, dass die entscheidende Kontrolle über moderne Medien nicht mehr zwangsläufig nur beim Staat liegt. Auch die Rolle der Klasse der Privatbesitzenden muss kritisch untersucht werden, um Einflussnahmen und Zensur zu verstehen: »Zusammengefasst sind unsere ›freien und unabhängigen Medien‹ in Wahrheit riesige Geschäftskonglomerate, die einen Großteil des Kommunikationsraums kontrollieren. In den Händen weniger wohlhabender Interessengruppen sind die Massenmedien letztlich Klassenmedien.«⁶
Ideologische Folgen
Die Verbindung von Privatbesitz, Profitorientierung und Machtanwendung hat unausweichliche Auswirkungen auf Journalisten. Daher muss betont werden, dass es zwar Fälle aktiver Kontrolle oder Absprache gibt, die Modelle von Herman, Chomsky und Parenti jedoch keinen orchestrierten Plan elitärer Strippenzieher beschreiben. Vielmehr untersuchen sie, wie sich Machtverhältnisse organisch durch strukturelle Vorgänge etablieren: »Das Modell beschreibt ein System, in dem die Medien der Elite dienen – jedoch durch komplexe, im Modell verankerte Prozesse, die Mechanismen und Richtlinien umfassen, durch welche die Mächtigen ihre Interessen auf natürliche Weise und ohne offene Verschwörung schützen.«⁷
Vor allem seit die einst vielfältige Arbeiterpresse durch kapitalistische Marktgesetze verdrängt wurde, schreiben Journalistinnen und Journalisten oft ohne direkten Bezug zur arbeitenden Bevölkerung, deren Perspektive dadurch vernachlässigt wird. Selbst jene, die sich eine kritische oder sogar klassenbewusste Sichtweise bewahren, sind nicht frei von unbewusster ideologischer Einflussnahme. Denn der Druck, sich an redaktionelle Erwartungen und berufliche Sicherheitsüberlegungen anzupassen, führt zu einer Form der Selbstzensur, um Problemen und Repression aus dem Weg zu gehen. Auf diese Art und Weise wird eine tatsächliche, direkte Zensur in den meisten Fällen überflüssig, da sie bereits durch ihre bloße Antizipation vorweggenommen wird. Gleichzeitig wird die Zensur nicht als solche wahrgenommen, da sie eben nur anfänglich oder gar nicht durch Machtanwendung und Einflussnahme übergeordneter Instanzen erfolgt. Ganz im Sinne von »Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht« gilt daher: »Sie sind nur bedingt unabhängige Akteure, frei zu berichten, was ihnen gefällt, solange ihren Vorgesetzten gefällt, was sie berichten.«⁸
Neben individueller Beeinflussung und Zurückhaltung prägt auch eine kollektive Dynamik die Berichterstattung. Durch Gruppenmechanismen, wirtschaftliche Abhängigkeiten und medieninterne Hierarchien entsteht so eine inhaltliche Trägheit. Eingeengt durch »Flak« werden Reporterinnen und Reporter ermutigt, innerhalb eines bestehenden Narrativs zu berichten, weil die entsprechend ausgerichteten Recherchen leichter zu führen und Artikel, die einem aktuellen Trend entsprechen, besser zu verkaufen sind. Wer hingegen gegen den Mainstream anschreibt, riskiert es, marginalisiert zu werden. So stellt sich eine eindeutige Richtung für eine Mehrheit der Veröffentlichungen her, ohne dass dazu eine größere Gruppe offen kontrolliert werden muss. Das wahre Ausmaß der Beschränkung wird daher nicht offensichtlich.
Diese systemische Verzerrung führt zu einer ideologischen Normalität, in der kapitalistische Realitäten nicht hinterfragt, sondern als alternativlos dargestellt werden. Was für die Interessen der Monopole schädlich sein könnte, wird als schädlich für die gesamte Gesellschaft betrachtet. Kritik an der bestehenden Klassenherrschaft wird als Kritik an allen sozialen Ordnungen und als Einladung zum Chaos dargestellt. Revolutionäre und sogar reformistische Entwicklungen werden durch wirtschaftliche Desasternarrative delegitimiert, während das Interesse der Konzerne mit dem Wohl der Gesellschaft gleichgesetzt wird. Ein solcher »Antikommunismus« ist dabei kein bloßes Abwehrverhalten gegenüber kapitalismuskritischen Ideen, sondern eine bewusste und aggressiv betriebene Strategie zur Diskreditierung von Bewegungen, die bestehende Machtverhältnisse in Frage stellen. Letztendlich nimmt diese Ausrichtung damit desaströse Folgen in Kauf: »Solange Triumph des Kommunismus als das schlimmstmögliche Szenario gilt, kann Unterstützung des Faschismus im Ausland als das kleinere Übel gerechtfertigt werden.«⁹
Die ideologische Ausrichtung der Medien folgt subtilen, aber effektiven Methoden: Zum einen stellen Themenauswahl und -begrenzung eine manchmal zwar bewusste, aber häufig völlig internalisierte Ausrichtung dar. Dabei werden durch das Auslassen gewisser Fakten und Perspektiven öffentliche Diskurse maßgeblich beeinflusst. Während Boulevardnachrichten über Adelsfamilien oder Fußballstars dominieren, bleiben bestimmte Themen weitgehend tabu – allen voran Klassenmacht und Klassenkampf. Diese selektive Berichterstattung ist nicht zufällig, sondern sorgt gezielt dafür, dass zentrale Widersprüche des Kapitalismus, wie Krisen der Überproduktion, sinkende Profitraten und die daraus resultierende Instabilität, Rezession und Arbeitslosigkeit kaum thematisiert werden. Selbst in Zeiten kapitalistischer Krisen bleiben Analysen oberflächlich – meistens präsentiert von angeblichen Expertinnen und Experten, die selbst die Perspektive des Kapitals und der bürgerlichen Ökonomie einnehmen. So wurde die hohe Inflation der vergangenen Jahre etwa wiederholt mit der Mär einer angeblichen »Lohn-Preis-Spirale« erklärt, ohne auf die zeitgleich teils stark gestiegenen Profite großer Unternehmen einzugehen.
Perspektiven und Platzierungen
Wenn problematische Themen nicht ignoriert werden können, können sie durch die »Schwarze Schafe«-Analyse abgeschwächt werden: Dabei wird in einem solch begrenzten Rahmen über sie berichtet, dass die Ursachen letztlich durch die fehlerhaften Handlungen einzelner Individuen – die herausstechenden »schwarzen Schafe« – erklärt werden sollen, wodurch die ausschlaggebende systemische Perspektive verloren geht. Einzelne Fälle von Korruption oder Umweltverbrechen werden isoliert betrachtet, der Kapitalismus erscheint so nicht als widersprüchliches System, sondern als grundsätzlich intakt – mit gelegentlichen Ausrutschern.
Noch subtiler wirkt Framing, das weniger durch offene Lügen als durch gezielte Betonungen, Ausschmückung, Wortwahl oder Anspielung operiert. So werden behandelte Themen in ideologische Konstrukte eingebettet, welche die Perspektive der herrschenden Ordnung einnehmen. Oft bedeutet das, in der generellen Berichterstattung Missstände eher zu dämpfen, als herauszustreichen. Denn trotz ihres Rufs nach Sensationslust verfolgen Medien auch das Ziel, soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Probleme zu entpolitisieren und Widerspruch gegen sie in Gleichgültigkeit zu verwandeln.
Indem schließlich auch die Sichtbarkeit der Themen selbst durch Platzierung bestimmt wird, kann dieser Effekt noch verstärkt werden. Viele eigentlich relevante Nachrichten verschwinden in den Randnotizen oder werden zu schlechten Sendezeiten ausgestrahlt, während andere über Wochen hinweg die Titelseiten und Talkshows dominieren – und somit die öffentliche Wahrnehmung.
Auch das allgegenwärtige Bombardement mit Werbung spielt eine wichtige ideologische Rolle. Indem der Kauf immer neuer Waren als Lösung für individuelle und gesellschaftliche Probleme präsentiert wird, wird die Illusion geschürt, Freiheit und Glück seien durch Konsum erreichbar. Dabei wird das kapitalistische Wirtschaftssystem affirmiert, ohne dessen Widersprüche – Ausbeutung, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit – zu hinterfragen. Die Werbung für Konsumgüter ist somit gleichzeitig eine Werbung für das gesamte kapitalistische System mit der Behauptung, dass dieses System nicht nur Waren, sondern auch ein gutes Leben für alle bereitstellen könne.
Propaganda, in der frühen Sozialdemokratie neben Agitation noch positiv konnotiert, fungiert spätestens seit dem Faschismus als schwerwiegender Vorwurf, der ausreichen kann, um jegliche Berichterstattung zu diskreditieren. Der Begriff ist moralisch aufgeladen und häufig schwer zu greifen. Rein mechanisch betrachtet ist Propaganda systematisch geplante Massenkommunikation, die aus einer Machtposition heraus durch symbolbasierte Manipulation Überzeugungen formt und festigt. Sie spricht breite Zielgruppen an, vereinfacht komplexe Inhalte und setzt gezielt auf emotionale Beeinflussung, um Argumentationsschwächen zu kaschieren. Durch den Einsatz von Schlagwörtern, Feindbildern und wiederholten Botschaften beeinflusst sie kollektive Einstellungen und Wahrnehmungen. Dabei dient Propaganda stets dem Machterhalt oder der Machtausweitung, findet also vor dem Hintergrund eines Machtmonopols statt. Sie ist nicht nur notwendig, um groß angelegte Kampagnen zu ermöglichen, sondern erlaubt – wenn nötig – auch die offene Unterdrückung alternativer Perspektiven.
Propaganda des Kapitals
Die materielle und idealistische Untersuchung der kapitalistischen Medien zeigt deutliche Überschneidungen mit dieser Definition: Das kapitalistische Mediensystem fungiert als systematische Massenkommunikation im Interesse der besitzenden Klasse und des Staates. Die Kommunikation beruht dabei auf symbolbasierter Beeinflussung, welche durch Emotionalisierung, Verzerrungen und die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten den Status quo stützt. Somit zielt die kapitalistische Medienlandschaft nicht auf möglichst sachlich argumentative Überzeugung ab, sondern setzt auf eine durch die Summe ihrer Mittel überwältigende, manipulierende Wirkung. Kritische, progressive und systemexterne Positionen werden gedämpft, abweichende Positionen in ihrer Reichweite limitiert oder gänzlich unterdrückt.
Marktwirtschaftliche »Freiheit« der Presse und staatliche Kontrollorgane helfen, die Einhaltung der propagandistischen Funktion zu garantieren. Nicht durch absolute Herrschaft wird das Fortbestehen der modernen Propaganda gesichert, sondern gerade dadurch, dass die Herrschaft scheinbar aufgebrochen und in der Verantwortung verschiedener Regierungsapparate, Institutionen und Großunternehmen liegt. Diese tragen aber tatsächlich allesamt zum Erhalt derselben Interessen bei.
Eine fundierte Medienkritik ist daher kein Selbstzweck, sondern ein Akt der Selbstverteidigung. Doch Auseinandersetzung mit und Argumentation gegen die kapitalistische Propaganda allein reichen nicht aus – es braucht auch Widerstand gegen die materiellen Strukturen, die sie überhaupt erst ermöglichen. Der Kampf um eine gerechtere Gesellschaft ist daher untrennbar mit dem Kampf gegen kapitalistische Hegemonie in Medien und Kultur verbunden.
Anmerkungen:
1 Edward S. Herman; Noam Chomsky: Manufacturing Consent. The Political Economy of the Mass Media, New York 1988, S. 1
2 Vgl. Alan MacLeod: Propaganda in the Information Age: Still Manufacturing Consent, London, 2019, S. 1
3 Vgl. Media Perspektiven, 6/2022, S. 323
4 Debatten über die Preßfreiheit. In: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 1, S. 71
5 Vgl. Lucian Bebchuk; Scott Hirst: The specter of the giant three. In: Boston University Law Review 99 (2019), S. 2
6 Michael Parenti: Make-Believe Media. The Politics of Entertainment, New York 1992, S. 184
7 Edward S. Herman: The Propaganda Model: a retrospective. In: Journalism Studies 1 (2000), No. 1, S. 108.
8 Michael Parenti: Inventing Reality. The Politics of Mass Media. New York 1993, S. 40
9 Herman/Chomsky (Anm. 1), S. 29
Jan Kadel ist Politikwissenschaftler.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. März 2025 um 14:47 Uhr)Der Artikel liefert eine Medienkritik, die viele berechtigte Punkte anspricht, aber in einigen Aspekten verkürzt oder sehr einseitig argumentiert. Hier einige kritische Anmerkungen: Die Analyse reduziert Medien auf bloße Werkzeuge der herrschenden Klasse und unterschätzt dabei die interne Vielfalt, journalistische Ethik und investigativen Journalismus innerhalb des Systems. Die Existenz kritischer Medien, investigativer Berichte und öffentlich-rechtlicher Medien mit Relativierungs- oder Gegenpositionen wird nicht ausreichend berücksichtigt. Der Artikel legt den Fokus fast ausschließlich auf strukturelle Zwänge und wirtschaftliche Interessen, ohne zu berücksichtigen, dass Medien auch auf Nachfrage und gesellschaftliche Erwartungen reagieren. Das Publikum hat durchaus eine aktive Rolle in der Gestaltung von Medieninhalten. Die Behauptung, dass Medien fast ausschließlich den Kapitalinteressen dienen, unterschlägt die Existenz linker, alternativer oder gemeinnütziger Medienprojekte, die entgegen kapitalistischer Logiken agieren. Diese sind zwar oft wirtschaftlich schwächer, aber keineswegs bedeutungslos. Zwar existiert struktureller Druck, aber die These, dass Journalisten sich fast zwangsläufig selbst zensieren, unterschätzt die Bandbreite kritischer Berichterstattung, die auch in großen Medienhäusern vorkommt. Die Medienlandschaft ist zweifellos von wirtschaftlichen Zwängen geprägt, aber ihre Funktionsweise ist komplexer, als es die Analyse nahelegt. Eine nuanciertere Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Markt, Staat, Journalismus und Publikum wäre daher angebracht.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (15. März 2025 um 21:02 Uhr)Besonders gefällt mir an dieser detailreichen Darstellung der Funktionsweise unseres Propaganda- und Zensurapparats zwecks Massenhirnwäsche, dass das immense, für viele nicht vorstellbare Ausmaß begreifbar gemacht wird. Die durch die Massenmedien erzeugte Propaganda-Fassade ist ja tatsächlich nicht sehr dick und auch nicht stabil: In übertragenem Sinne kann ja jedermensch einfach mit einem kleinen Hämmerchen Löcher rein schlagen und die Realität dahinter sehen. Nur dadurch, dass die Fassade fast überall aufgebaut ist, kommt niemand auch nur auf diese Idee. »Denn so viele können daran ja nicht mitwirken, so krass kann das ja gar nicht sein...« Doch, ist es leider: We all live in the Truman-Show.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (14. März 2025 um 12:40 Uhr)Der Artikel hat einen verwunderten Unterton. »Wie können die nur?« Ja, sie können. Sie müssen es sogar. Das ökonomische Fundament der Gesellschaft, deren Grundprinzip der Profit ist, verlangt, dass dessen Erfordernisse den Menschen Tag für Tag aufs Neue eingehämmert werden. Die Medien sind eben keine vierte Gewalt, wie oft behauptet. Sie sind Teil des gesellschaftlichen Überbaus, der abzusichern hat, dass alles so funktioniert, wie die Profitwirtschaft es braucht. Und wo sie es braucht, dass die Menschen manipuliert werden, da werden sie eben manipuliert statt informiert. Das funktioniert auch ohne Zensor bestens. Denn auch der edelste Journalist versteht sehr schnell, was der Volksmund in die klaren Worte fasst: »Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’.« Wer bleibt denn auch gerne hungrig?
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