Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Sa. / So., 15. / 16. März 2025, Nr. 63
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 14.03.2025, Seite 15 / Feminismus
Femizide in der Schweiz

Trauer und Widerstand

Zahl der Femizide in der Schweiz steigt, während Hilfsstrukturen überlastet sind. Feministische Gruppen stellen Öffentlichkeit her
Von Yaro Allisat, Biel
15.jpg
Jedes Jahr aufs neue: Antigewaltprotest zum Kampftag in Genf (8.3.2020)

In acht Wochen wurden in der Schweiz acht Frauen ermordet. Damit sind es doppelt so viele wie in den Vorjahren, in denen alle zwei Wochen ein Femizid begangen wurde. In Biel, einer Kleinstadt im Kanton Bern, wurde eine 32jährige Frau am 17. Januar dieses Jahres in ihrer Wohnung in der Güterstraße tot aufgefunden. Wenige Tage später riefen das »Queerfeministische Kollektiv Biel« und die Gruppe »Offensiv gegen Feminizide« zu einer Kundgebung am Kreisverkehr der Güterstraße auf, mitten im Stadtzentrum. Wochen später, am weltweiten feministischen Kampftag zum 8. März, ist nur noch ein wenig Kerzenwachs auf dem Asphalt zu sehen.

Überall in der Schweiz finden an diesem Tag Kundgebungen und Aktionen statt. Auch in Biel hat das »Queerfeministische Kollektiv« zum »radikalen Pause machen« aufgerufen. Hinter dem Bahnhof haben sie ein Banner aufgehängt, auf einem Sofa und auf Picknickdecken kann man es sich gemütlich machen, Tee oder Kaffee trinken und Zöpfli essen.

Das Kollektiv sieht bei der Polizei eine Mitschuld für den Femizid. »Die Bieler Polizei ist bekannt dafür, wie schlecht sie mit Opfern umgeht«, so Mila N. gegenüber der jungen Welt. »Wenn jemand wegen häuslicher Gewalt anruft, dauert es oft lange, bis die Polizei vor Ort ist. Aber bei Lärmbelästigung ist sie innerhalb von zwei Minuten da.« Auch halte die Polizei Strukturen zum Schutz der Betroffenen nicht ein, wie beispielsweise das Autorisieren von Vernehmungsprotokollen. Zudem sei die mangelnde Öffentlichkeit laut Mila N. ein Problem. »Es gibt keinen Aufschrei. Die gesamte Aufklärungsarbeit wird von dem Kollektiv ›Offensiv gegen Feminizide‹ getragen, das aus Polizeiberichten ableiten muss, ob es sich bei Morden um Femizide handeln könnte.«

nd Eigenanzeige

Das Wort Feminizid (mit staatlicher Unterstützung bzw. Duldung) oder Femizid bezeichnet laut der Weltgesundheitsorganisation die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts inner- oder außerhalb intimer Beziehungen. In der Schweiz gibt es, wie auch in Deutschland, keine explizite Statistik dafür. Der Hauptgrund hierfür sei, so kürzlich Béatrice Pilloud, Generalstaatsanwältin des Kantons Wallis, gegenüber dem SRF, dass der Begriff nicht im Strafgesetzbuch existiere. Feministische Kollektive wie das Netzwerk gegen Feminizide kämpfen in der Schweiz immer wieder für die Sichtbarkeit der Morde. Sie kritisieren, dass Femizide medial oft als Familiendramen oder tragische Todesfälle bezeichnet werden.

Angesichts der hohen Femizidzahl Anfang dieses Jahres schlagen auch die Frauenhäuser und Hilfestrukturen Alarm. Schon lange klagen diese über zu wenige finanzielle Mittel und entsprechend überlastete Strukturen bei steigendem Hilfebedarf. Laut dem Jahresbericht der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein standen 2023 mit den 22 Frauenhäusern insgesamt 0,34 Familienzimmer in Frauenhäusern pro 10.000 Einwohner bereit. Damit unterschreitet die Schweiz die in der Istanbul-Konvention vorgegebene Quote von einem Familienzimmer pro 10.000 Einwohner deutlich. Seit 2018 hat die Schweiz die europarechtliche Übereinkunft zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt ratifiziert, die Umsetzung läuft jedoch nur schleppend – ähnlich wie in Deutschland.

Ende Februar starteten die NGOs Brava und Campax eine Petition, in der sie zusammen mit 56 weiteren Organisationen den Bund auffordern, 350 Millionen Franken (knapp 364 Millionen Euro) für die Sicherheit von Frauen zur Verfügung zu stellen. Bis zum 8. März unterzeichneten bereits mehr als 12.000 Personen die Petition.

Zurück in Biel. Auch hier werden Menschen vom »Queerfeministischen Kollektiv Biel« noch zur feministischen Kundgebung in Bern fahren, um ihrer Wut Luft zu machen. Aber Patriarchat ist Dauerüberlastung, deshalb wird hier noch die Mittagssonne genossen. »Pausen machen verstehen wir als feministischen Akt«, so Seraina M. vom Kollektiv gegenüber jW. »Und wir machen es hier, in der Öffentlichkeit, um Präsenz zu zeigen.«

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Feminismus

Probeabo - Der rote Faden