Frauen geben, Männer nehmen
Von Claudia Wrobel
Frauen, die selbstlos das letzte geben. Männer, die eher auf den eigenen Vorteil bedacht und nicht ganz so bereitwillig sind – nicht nur ein Klischee, denn bei der Lebendorganspende lässt sich genau das immer noch beobachten. Vergangene Woche machte die Bayerische Landesärztekammer auf Zahlen der Kommission zur Prüfung von Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende aufmerksam. Demnach war die Bereitschaft zu einer Lebendspende bei Frauen deutlich höher als bei Männern, 2024 lag das Verhältnis bei 70 zu 30 Prozent. Von einer Lebendspende profitieren hingegen vor allem Männer, bei den Empfängern lag das Verhältnis demnach fast exakt andersrum bei 69 zu 31 Prozent.
Ein geringer Teil des Geschlechterungleichgewichts lässt sich medizinisch erklären, da viele Lebendspenden zwischen Ehepartnern stattfinden und Frauen immunologisch gegen einen Mann sensibilisiert sein können, wenn sie schon einmal von ihm schwanger geworden sind. Allerdings lässt sich das Phänomen auch bei Müttern beobachten, die statistisch eher bereit sind, ihrem erwachsenen Kind eine Niere zu spenden, als deren Väter. Obwohl dabei berücksichtigt werden muss, dass viele Transplantationszentren Frauen, deren Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist oder zu sein scheint, gar nicht als Spenderinnen zulassen. Und auch bei der Entscheidung zur Organspende nach dem eigenen Tod sind Frauen überproportional vertreten: Laut einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2022 haben 36 Prozent der Frauen, aber nur 27 Prozent der Männer ihren Willen, wie mit ihren Organen im Todesfall umgegangen werden soll, in einem Organspendeausweis festgehalten.
Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover, wies im Januar im Deutschen Ärzteblatt darauf hin, dass Frauen sich ebenfalls deutlich häufiger im Transplantationszentrum aus freien Stücken melden, um zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Spende überhaupt besteht. Deutlich bedeutender scheint für sie also unter anderem das Rollenverständnis und die verschiedenen Erwartungshaltungen in bezug auf Altruismus an die Geschlechter zu sein. Zwar fühlten sich die Spenderinnen mit der Entscheidung, einem nahestehenden Menschen geholfen zu haben, in großer Mehrheit sehr wohl. »Dennoch sollte gerade angesichts der ›Gender imbalance‹ nicht außer Acht gelassen werden, dass Frauen im Kontext einer Lebendspende möglicherweise vulnerabler sind, insbesondere hinsichtlich ihrer freien Willensbildung. Bei ihnen sind daher eventuelle ökonomische und emotionale Abhängigkeiten vermehrt zu berücksichtigen. Vor der Durchführung der Lebendspende sollte außerdem geklärt werden, inwieweit die Spende die Aufgaben in der Familie – etwa die Versorgung minderjähriger Kinder oder die Haushaltsführung – beeinträchtigt und ob genügend Unterstützung in der Rekonvaleszenzphase vorhanden ist«, so de Zwaan.
Eine Metaanalyse aus Kanada hat belegt, dass Frauen etwa sechs Monate Bedenkzeit in Anspruch nehmen, bevor sie sich entscheiden, eine Niere zu spenden, wohingegen Männer 16 Monate warten. Das Forscherteam um Katya Loban hielt im Oktober 2024 außerdem fest, dass beim weltweiten Blick unter anderem ausschlaggebend sei, dass nicht der Haupternährer einer Familie spende, da dieser während der Genesung nach der Spende ausfalle und dadurch und durch eventuelle Komplikationen die finanzielle Sicherheit der ganzen Familie gefährdet sei. Ein Eindruck, den die Leiterin des Lebendspenderegisters in der Transplantationsnephrologie am Universitätsklinikum Münster, Barbara Suwelack, zumindest für Deutschland im Deutschen Ärzteblatt so nicht bestätigen kann: »Die Entscheidung wurde meist der klassischen Rolle von Frauen in der Familie zugeschrieben: Der Mann war Ernährer und sollte daher nicht spenden. Wir sehen indessen bei der beruflichen Tätigkeit der Spenderinnen, dass sie fast ebenso häufig Vollzeit tätig sind wie männliche Spender und die Teilhabe am Berufsleben von großer Bedeutung ist. Dies entspricht auch dem überwiegend guten schulischen und beruflichen Bildungsstand.«
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