Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Polen

Polen will die Bombe

Im Rüstungsfieber: Regierungschef Donald Tusk fordert polnische Atomwaffen
Von Reinhard Lauterbach
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Will viel, viel mehr von denen. Polens Premier Donald Tusk begrüßt polnische Soldaten

Derzeit hat Polens Armee 207.000 Soldaten. Die Zahlen stammen vom vergangenen Oktober. Noch drei Monate zuvor hatte das offiziöse polnische Portal defence24.pl eine Mannschaftsstärke von knapp 200.000 angegeben, eingeschlossen die Territorialverteidigung mit etwa 35.000 Freiwilligen. Aber für die polnische Regierung ist in diesen Zahlen noch Luft nach oben. Auf 300.000 hatte bereits die vorherige Regierung der »Vereinigten Rechten« die Truppenstärke steigern wollen. Der liberale Regierungschef Donald Tusk legte vor einigen Tagen noch eins drauf und sagte, die polnische Armee müsse auf 500.000 Mann hochgerüstet werden. Das würde sie zur stärksten NATO-Armee in Europa machen, wenn man von den doch hauptsächlich in Kleinasien stationierten Streitkräften der Türkei absieht. Die meisten Panzer auf dem europäischen NATO-Territorium hat Polen auch jetzt schon. Und alle Pfeile weisen nach oben: Es sollen drei neue Divisionen aufgestellt werden, die bisher unbedeutende polnische Marine soll mit einer U-Boot-Flottille verstärkt werden, bei der allerdings noch gestritten wird, wer die Boote liefern soll: Deutschland, Frankreich oder Schweden. Polen verwendet 4,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Rüstung und will diese Kennziffer auf mindestens fünf Prozent steigern.

Nukleare Teilhabe

Auch beim Rüsten kommt der Appetit mit dem Essen, und die selbstgestellten Ansprüche wachsen. Sowohl Staatspräsident Andrzej Duda als auch Regierungschef Donald Tusk haben in den vergangenen Tagen erklärt, Polen brauche »die modernsten verfügbaren Waffen« (Tusk) einschließlich atomarer. Duda hingegen verlangte von den USA, wenigstens Teile ihrer in Deutschland stationierten Truppen nach Polen zu verlegen und mit Polen ein ähnliches Abkommen über »nukleare Teilhabe« zu schließen, wie es beispielsweise mit der BRD besteht. Wobei nukleare Teilhabe ja bekanntlich zumindest im deutschen Fall nur bedeutet, dass deutsche Flugzeuge die US-amerikanischen »Nukes« ins Ziel bringen sollen; eine eigenständige deutsche Verfügung über diese Waffen ist damit nicht verbunden. Genau darauf aber scheint Donald Tusks letzter Vorstoß abzuzielen, wenn er mehr ist als Wahlkampfrhetorik.

Damit allerdings kommt Polen in ernsthafte strategische Widersprüche. Denn wer sollte ihm diese Atomwaffen liefern? Für eine Eigenentwicklung fehlen dem Land die Rohstoffe und angesichts des Zeitdrucks, unter den sich Polen mit seiner Aufrüstung selbst setzt, wohl auch die Zeit. Vom Geld ist in Polen im Zusammenhang mit der Militarisierung des Landes sowieso parteiübergreifend nie die Rede. Bisher setzt Polen sowohl politisch als auch nukleartechnologisch auf die USA: Das erste polnische AKW soll vom US-Konzern Westinghouse gebaut werden. Aber die Fertigstellung ist erst für Mitte des kommenden Jahrzehnts zu erwarten.

Um so größere Verunsicherung hat in Polen der Amtsantritt von Donald Trump im Weißen Haus ausgelöst. Denn dessen Ansätze zu einem »Deal« mit Russland im Ukraine-Konflikt stellen die langjährige polnische Strategie in Frage, sich im Schatten der globalen Konfrontation zwischen den USA und Russland zum Schlüsselalliierten Washingtons aufzubauen – als Vorposten der »Eindämmung« Russlands in Mitteleuropa – und, in deren Schatten, eine polnische Hegemonialrolle in dieser Region zu übernehmen. Diverse informelle Allianzen mit blumigen Namen wie »Drei-Meere-Initiative« oder »Bukarester neun« liefen im Kern darauf hinaus, zwischen Finnland und Rumänien einen Gürtel stramm antirussisch orientierter Staaten mit Polen im Zentrum zu entwickeln, der den USA als geopolitisches Standbein in der Osthälfte Europas dienen und jede auch nur eventuelle Wiederannäherung zwischen Deutschland und Russland blockieren sollte. Die USA haben diese Initiativen stets unterstützt. Was aber, wenn Washington jetzt das Interesse an ihnen verlieren sollte?

An dieser Stelle kommt die in Warschau generell und auch unter Donald Tusk im Kern ungeliebte EU ins Spiel. Die Planspiele von Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Verteidigungspolitik der EU zu vereinheitlichen und tendenziell zu »vergemeinschaften«, werden in Polen parteiübergreifend sehr skeptisch gesehen. Das Brüsseler Geld für mehr Aufrüstung würde Polen zwar gern nehmen, aber was wäre der politische Preis? »Werden französische Soldaten wirklich für den Suwałki-Korridor kämpfen?« fragte an diesem Wochenende die tuskfreundliche Gazeta Wyborcza. Die rechtskonservative Opposition sagt es gleich rundheraus: Es komme nicht in Frage, dass »Ausländer« das Kommando über die polnischen Streitkräfte übernähmen – am Ende noch Deutsche. Die EU kommt im Diskurs der polnischen Rechten ohnehin immer im Doppelpack mit einer Hegemonie der BRD daher. Ungeliebte EUIn einer Situation, in der die EU viel Geld mobilisiert, um sich zu militarisieren und sich – gegenüber den USA – auf eine imperialistische Konkurrenzrolle vorzubereiten, wird sich auch Polen entscheiden müssen, auf welche Seite es setzt: den alten Hegemonen, der aber plötzlich das Interesse am osteuropäischen Spielfeld verlieren kann, oder das Projekt »Rearm EU«, dem Warschau aus anderen Gründen misstraut.

Hintergrund: Rechts und rechter

Der Wahlkampf um die polnische Präsidentschaft – abgestimmt wird am 18. Mai und 1. Juni – erschöpft sich bisher in einem Überbietungswettbewerb, welcher der Kandidaten mehr für die »Sicherheit« der Polen und die Abwehr »illegaler Migranten« tun werde. Vorn liegt einstweilen der Bewerber der regierenden »Bürgerkoalition«, der Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski. Ihm sagen die Umfrageinstitute für die erste Runde etwa 35 Prozent voraus, gefolgt vom Kandidaten der PiS, dem formell unabhängigen ehemaligen Chef der Nationalen Gedenkbehörde (IPN), Karol Nawrocki, mit etwa 25 Prozent. Interessanterweise ist das weniger, als die PiS als Partei bei Parlamentswahlen gewinnen würde.

Allerdings entscheidet sich die Wahl vermutlich nicht in der ersten Runde, sondern erst in der Stichwahl zwei Wochen später. Und hier hat Nawrocki klar die größeren Reserven als ­Trzaskowski. Vor allem die Umfragewerte des Kandidaten der rechtspopulistischen Partei »Konföderation«, Sławomir Mentzen, stiegen in den vergangenen Wochen rasant. Manche Erhebungen sehen ihn schon gleichauf mit Nawrocki. Die Konföderation, die das Magazin Polityka bereits in Anspielung auf die deutschen Verhältnisse als »Alternative für Polen« bezeichnet hat, will ein Polen »ohne Abtreibung, Homosexualität, Steuern und Einmischung aus Europa« erreichen und findet mit diesen Parolen vor allem unter jüngeren Männern deutlichen Rückhalt. Sollte es Mentzen tatsächlich gelingen, im ersten Wahlgang Nawrocki zu überholen, würde das Rennen doch noch um einen Überraschungsfaktor bereichert. Wenn nicht, dürfte das Elektorat der Konföderation sich letztlich wohl doch für Nawrocki entscheiden. Die Chancen, dass die Tusk-Regierung einen ihr gewogenen Präsidenten bekommt, stehen jedenfalls im Augenblick schlecht. Vielleicht ist das Tusk, der sowieso wenig Neigung zeigt, die gesellschaftspolitischen Reformen anzupacken, für die er gewählt worden ist, insgeheim sogar ganz recht. (rl)

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