Zivilisatorischer Rückfall
Von Holger Czitrich-Stahl
Vieles deutet – national wie international – auf einen verschärften Klassenkampf von oben hin. Der Zerfall der Ampel in Deutschland und die Politik der neuen Trump-Administration in den USA weisen in diese Richtung. Deren »autoritärer Etatismus«, wie Frank Deppe in seinem Kommentar im neuen Heft von Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung konstatiert, und die »Wirtschaftswende« in der Bundesrepublik zielen gleichermaßen auf drastische Deregulierungen und Steuersenkungen für das Kapital, so Jörg Goldberg, André Leisewitz und Jürgen Reusch in ihrem Einleitungsbeitrag »Kapitalstrategien nach der Ampel«. Der Staat nimmt wieder eine aktivere Rolle ein, indem er gefährdete Exportindustrien stützt und durch »Sonderprogramme« die »Wettbewerbsfähigkeit« wiederherstellen will.
Die »heilige Kuh« der sogenannten Schuldenbremse wird teilweise »reformiert«, um die Rüstungsproduktion hochzufahren und die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Dass dies zu Lasten der Sozial- und Klimapolitik gehen wird, ist absehbar. Christoph Butterwegge sieht dennoch durch die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm und den damit verbundenen Klassenkampf von oben Ansatzpunkte für linke Strategien, sich mit »denen da oben anzulegen«. Auseinandersetzen müssen werden sich linke Kräfte auch mit der absehbaren weiteren Ausprägung der rechts- und innenpolitischen Tendenz zur Intoleranz und zur Verschärfung staatlicher Repression, auf die Andreas Fisahn hinweist.
Mehrere Beiträge bilanzieren Teilaspekte der Ampelpolitik. Klimapolitisch könne die Ampel bestenfalls Scheinerfolge vorweisen, so Franz Garnreiter. Die in Zeiten von Kriegen und Vielfachkrisen noch wichtiger gewordene Außenpolitik nimmt Peter Wahl unter die Lupe und stellt der von Annalena Baerbock das Zeugnis aus, ein zivilisatorischer Rückfall gewesen zu sein. Im Gefolge der USA habe sie sich deren konfrontativem Kurs gegen China untergeordnet und betreibe im Ukraine-Krieg eine Risikopolitik mit Blick in den Abgrund sowie unter der Formel der »Staatsräson« eine Politik der Doppelmoral gegenüber Israel. Es bleibt zu beobachten, ob sich die Außenpolitik einer von dem Transatlantiker Friedrich Merz geführten Regierung angesichts der wachsenden Zumutungen aus Washington weiter auf dieser Linie entwickelt. Die vielfach eingeforderte »Rückkehr zur Diplomatie« ist jedenfalls eine nicht sonderlich wahrscheinliche Perspektive.
Auch die Migrationspolitik der Ampel (Mareike Biesel/Janina Puder) sowie die Gesundheitspolitik (Lena Reichardt) werden kritisch ausgewertet. Zutreffend stellt Thomas Ewald-Wehner fest, dass die Wiedererhebung der Vermögenssteuer dringend erforderlich ist – was aber eine organisationsübergreifende linke Gemeinschaftsaktion erfordern würde, die mit der Kampagne zur Fürstenenteignung von 1926 vergleichbar wäre, als die Arbeiterparteien, Gewerkschaften und weitere fortschrittliche Kräfte (letztlich vergeblich) mobilisierten.
Drei Beiträge erörtern politische und historische Aspekte von »Staatsräson« und Antisemitismuskritik mit dem Blick auf Israel und die Palästinenser. Die Marx-Engels-Forschung ist mit zwei Beiträgen vertreten. Babak Amini setzt seine Darlegungen über »Die Odyssee von Marx’ Kapital in Großbritannien und den Vereinigten Staaten« mit dem zweiten Teil fort, Winfried Schwarz und Barbara Lietz schalten sich in die Wertbildungs- und Austauschdebatte ein, die in der Z seit vier Jahren intensiv geführt wird. Die Klimakrise nach Baku, Klassenbewusstsein im 21. Jahrhundert, digitale Währungen und »Gleichgewichtsökonomik« sind weitere Themen dieses Heftes. Mehrere Texte sind kürzer gehalten, was den Grad der Aktualität spürbar erhöht. Übrigens ist auch die Z-Webseite umgestaltet worden.
Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 141 (März 2025), herausgegeben vom Forum Marxistische Erneuerung e. V. und dem IMSF e. V., 224 Seiten, Einzelheft 10 Euro, Kontakt: redaktion@zme-net.de, Internet: www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de
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