Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 16 / Sport
Nolympia

Die Kehrseite der Medaille

Der Berliner Senat will von Olympia einfach nicht lassen
Von Christophe Immer
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Die DOSB-Flagge

Als hätte Berlin keine anderen Probleme, werkeln Berliner Senat und Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) weiterhin an einer erneuten Bewerbung der Stadt um die Austragung Olympischer Sommerspiele – egal, ob 2036 oder 2040, man möchte dringend ran an die Ringe.

Die Sitzung des Sportausschusses am vergangenen Freitag gestaltete sich folgerichtig als Propagandaveranstaltung. Die Regierungskoalition aus CDU und SPD hatte zur Unterstützung den ehemaligen französischen Rugbynationalspieler Pierre Rabadan geladen, der im Pariser Rathaus mit der Beratung zur Austragung der Olympischen Spiele 2024 beauftragt gewesen war. Selbst Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) bequemte sich zur Sitzung und legte dann auch den aktuellen Stand der Konzeptentwicklung dar. Der DOSB hätte in Abstimmung mit dem Internationalen Olympischen Komitee ein »One Village«-Konzept im Blick: eine Metropole samt helfender Peripherie. Angesichts der Vielfalt der Sportarten sei man mit Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein im Gespräch. Die Unterstützung des Hotel- und Gastronomieverbands DEHOGA, einer Lobbyistenorganisation, die derzeit via CDU die Axt an die gesetzliche Tageshöchstarbeitszeit legen möchte, habe sie bereits. Den nationalen Aspekt ließ Spranger ebenfalls nicht außen vor: »Deutschland bewirbt sich« – oder wie ein AfDler formulierte: »Berlin kann nicht nur Sport, Berlin kann Großereignisse.« Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner sagt seit Jahren nichts anderes.

Rabadan wiederum lieferte erwartungsgemäß. Die Spiele in Paris »hätten die Stadt verändert« und seien ein großartiger Akzelerator für benötigte Infrastrukturprojekte gewesen, seien es Sportstätten, der öffentliche Nahverkehr oder die Aufwertung »schwieriger« Nachbarschaften. Man sei innerhalb des Budgets geblieben, die Finanzen seien gänzlich transparent, die Möglichkeit, einige Wettkämpfe kostenlos besuchen zu können, hätte für eine neue Sportbegeisterung gesorgt. Das alles natürlich ökologisch und nachhaltig.

»Le Revers de la Médaille« – ein Pariser Antiolympiabündnis von über 100 Organisationen – resümierte im November, im Zuge der Ausrichtung der Olympischen Spiele habe in der Region Paris eine »Nettoyage social«, eine »soziale Säuberung«, stattgefunden. Ein Jahr vor den Spielen wurde das Antibesetzungsgesetz, das die Nutzung leerstehender Gebäude kriminalisiert, verschärft. Informelle Siedlungen wohnungsloser Menschen, Zeltdörfer unter Brücken und ähnliches wurden geräumt. Aufgegriffene wurden unter dem Vorwand der Unterbringung mit Bussen in »Sortierzentren« in der Provinz verschafft, um dort häufig direkt wieder in die Obdachlosigkeit entlassen zu werden. Das Bündnis spricht von knapp 20.000 von Räumungen betroffenen Menschen in der Zeit vor Beginn der Spiele. Rabadan erwähnte – auf Nachfrage – lediglich 300.

Doch die negativen Auswirkungen trafen nicht nur die ganz unten; Olympische Spiele eignen sich stets zur Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten, der Sicherheit wegen. In Paris wurde erstmalig in großem Umfang KI-unterstützte Videoüberwachung des öffentlichen Raums praktiziert. Über 4.000 Menschen bekamen präventive Platzverbote ausgesprochen, 559 Personen wurden überwacht und 848 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Zahlen eines Berichts dreier Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, der am 4. März in Genf vorgestellt wurde und zu der Folgerung kommt, manche der Maßnahmen seien »unverhältnismäßig«, andere »diskriminierend« und daher illegal gewesen.

Der Antrag der Linksfraktion, Berlin solle die Bewerbung für die Olympischen Spiele zurücknehmen und das Bewerbungsverfahren umgehend stoppen, wird auf der nächsten Sitzung des Sportausschusses am 23. Mai verhandelt werden – kurz vor der Deadline für die Einreichung des Bewerbungskonzepts Ende Mai. »Berlin braucht diese Spiele nicht«, so Gabi Hiller, eine der Sprecherinnen des Berliner »Nolympia«-Bündnisses, »und kann sie sich auch nicht leisten«.

In der BRD ist man seit 1989 bereits mit sieben Bewerbungsanläufen gescheitert. Die Mehrheit der Berliner lehnt laut Umfragen Olympische Spiele in der Stadt ab. Berlins desaströse Bewerbung in den 1990er Jahren für Olympia 2000 stieß auf breiten, teilweise militanten Widerstand. Sie scheiterte ebenfalls.

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