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Aus: Ausgabe vom 18.03.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Psychologie

Fluch der Empirie

Britische Studie will Verschwörungsglauben auf Schlafmangel zurückgeführt haben
Von Felix Bartels
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Verschwörungstheoretiker wissen: Das Schlaflabor der Uni Münster arbeitet an der Gähnmanipulation

Keine Wissenschaft ohne Daten. Wo sie indessen an ihnen klebt, geht sie unter. Was man Evidenz nennt, kann sauber festgestellt und dennoch falsch sein. Ein aktuelles Beispiel für das ungünstige Zusammentreffen von Akribie und Reflexionsausfall hat eine Forschungsgruppe um Daniel Jolley von der University of Nottingham vorgelegt. Sie untersuchte die Anfälligkeit von Menschen mit Schlafstörungen für Verschwörungserzählungen und pub-lizierte ihre Ergebnisse im Journal of Health Psychology.

Im ersten Teil der Studie mussten 540 Probanden einen Fragebogen zu ihrem Schlafverhalten beantworten und dann Stellung zu einem Bericht über den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame nehmen. Die eine Hälfte erhielt einen korrekten Bericht, die andere einen mit nicht bewiesenen Behauptungen. Im zweiten Teil der Studie wurden 575 Teilnehmer über ihr Schlafverhalten befragt und sollten im Anschluss bekannte Verschwörungstheorien bewerten. Das Ergebnis: Menschen scheinen öfter an Verschwörungstheorien zu glauben, wenn sie unrhythmisch oder wenig schlafen.

Man sollte meinen, dass ausgebildete Psychologen die Daten nicht ernstlich so interpretieren können. Jolley und seine Kollegen lassen aber keine Fragen offen: »Die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien führt zu einem stärkeren Glauben an Verschwörungen, und eine schlechtere Schlafqualität verstärkt diesen Effekt.« Die Erklärung ihrer Interpretation vervollständigt das Bewerbungsschreiben für den nächsten Ig-Nobelpreis: Mutmaßlich seien an Schlafmangel Leidende weniger in der Lage, kritisch zu denken, zudem verfügten Menschen, die wenig schlafen, über mehr Zeit, sich mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen.

Ob es daran liegt, dass in verschwörungsgläubigen Milieus Menschen, die den Glauben nicht teilen, als »Schlafschafe« bezeichnet werden? In der Tat fällt es schwer, über die Studie anders denn spöttisch zu berichten. Zu offensichtlich die übergangene Kausalbeziehung. Wie schwer war es, auf den Gedanken zu kommen: Menschen leiden an Schlafstörungen oftmals aus einem Leidensdruck heraus, aus Depressionen oder nicht bewältigten inneren Kollisionen. Und konveniente Erklärungsmodelle der Welt sind, was immer sie sonst noch sind, ein Angebot für Menschen mit inneren Kollisionen, die Lösung außer sich zu suchen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. März 2025 um 21:12 Uhr)
    »Menschen, die wenig schlafen,« verfügen aber auch über mehr Zeit, sich mit was anderem als Verschwörungstheorien zu beschäftigen. Ich zum Beispiel. Ich lese häufig jW, wenn ich nach nächtlichem Harndrang nicht einschlafen kann. Bewiesen ist allerdings, dass Beten tödlich ist: Im Rahmen der Langzeitstudie STEP (»Study of the Therapeutic Effects of Intercessory Prayer« – Studie zum therapeutischen Einfluss fürsprechenden Betens) der Harverd Medical School. Wer sich für näheres dazu interessiert: »Wer nichts weiss, muss alles glauben« von den Scienc Busters Gruber, Oberhummer und Puntigam. Oder auf die harte Tour: hier https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16569567/ , https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0002870305006496

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