Zwischen den Stühlen
Von Reinhard Lauterbach
Während die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in Brüssel Milliarden für die Ukraine eintreiben will, gehen die Verhandlungen um eine begrenzte Waffenruhe in die nächste Runde. »Ich verstehe die Struktur so: Es wird ein Treffen der Ukraine mit Amerika geben und danach – wie die amerikanischen Partner gesagt haben – Pendeldiplomatie: danach Amerika mit Russland«, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mit dem norwegischen Regierungschef Jonas Gahr Støre in Oslo. Kiew will demnach ein »technisches Team« zu den Verhandlungen in Saudi-Arabien schicken, die russische Führung hatte zuvor den Außenpolitiker Gregori Karassin und den Geheimdienstler Sergej Besseda für ihre Gespräche mit den USA benannt.
Beide Seiten hatten in Telefonaten mit US-Präsident Donald Trump einem vorübergehenden Stopp von Attacken auf die Energieinfrastruktur grundsätzlich zugestimmt. Selenskijs erneute Forderung nach US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine konterte Trump in dem Telefonat am Mittwoch mit der Forderung, den USA die insgesamt vier ukrainischen Atomkraftwerke zu überschreiben. Wenn sie im US-Besitz seien, so wäre dies »die beste Sicherheitsgarantie«, die die Ukraine bekommen könnte.
In Brüssel trafen sich derweil die Regierungschefs der EU-Staaten zu einem weiteren Sondergipfel zur Unterstützung der Ukraine. Kallas hatte vorab für ein Aufrüstungsprogramm im Umfang von insgesamt 40 Milliarden Euro geworben; schon im Vorfeld des Treffens wurde aber deutlich, dass sie dafür wohl keine Mehrheit finden würde. Vor allem südeuropäische Mitgliedsländer wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind vor dem Hintergrund eigener Haushaltsprobleme gegen allzu hohe Zusagen. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez sagte, für sein Land stehe die Grenzsicherung und die Migrationsabwehr im Vordergrund; der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis forderte eine gemeinsame Verschuldung aller EU-Staaten für Rüstungszwecke; anders könne sein Land sich die neuen Milliarden nicht leisten.
Die Schwierigkeiten, vor denen die europäische »Kriegspartei« steht, gehen auch aus einem weiteren Statement von Kallas hervor. Sie begrüßte ausdrücklich, dass Trump die Ukraine bei der Suche nach weiteren verfügbaren »Patriot«-Luftabwehrsystemen unterstützen wolle. Sie unterschlug dabei den Kontext: Der US-Präsident hatte die Bitte Selenskijs nach weiteren Systemen aus den USA rundheraus abgelehnt und nur zugesagt, Kiew bei der »Suche« nach weiteren verfügbaren Systemen in Europa zu »unterstützen«. Wohl mit Blick darauf forderte Selenskij in einer Videoschalte nach Brüssel, das Aufrüstungsprogramm für die EU »so schnell wie möglich« zu starten. »Investitionen in die Waffenproduktion werden sowohl in der Ukraine als auch in Ihren Ländern gebraucht.«
Unterdessen verhängte Russland den Ausnahmezustand im Bezirk Engels in der Region Saratow, nach dem bisher größten Drohnenangriff des Krieges gegen den Luftwaffenstützpunkt in der Stadt Engels an der Wolga. Es wurden offenbar Treibstofftanks und Munitionsdepots getroffen, die am Donnerstag immer noch brannten bzw. explodierten. Auf dem Flughafen sind strategische Langstreckenbomber stationiert, die immer wieder aus der Tiefe des russischen Territoriums heraus Marschflugkörper und Raketen auf Ziele in der Ukraine abgefeuert haben. Russland nannte den Angriff eine ukrainische Provokation gegen den Friedensprozess und beschoss seinerseits verschiedene ukrainische Städte mit Raketen und Drohnen.
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Leserbrief von Dietmar Breme aus Gelsenkirchen (21. März 2025 um 11:36 Uhr)Der Drohnenangriff der Ukraine auf Engels im Bezirk Saratow in Russland, in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2025 könnte einen gefährlichen Wendepunkt in diesem verheerenden Krieg auslösen. Der Atombomberstützpunkt Engels ist einer der größten Russlands. Dort sind strategische Nuklearlangstreckenbomber vom Typ Tupolew TU-160 stationiert. Militärexperten warnen schon länger davor, solche Stützpunkte anzugreifen. Ein solcher Angriff könnte Mechanismen aktivieren, die zu einem Atomwaffenschlag führen können. Zur Zeit werden dort Bewohner dieser Region evakuiert, was immer das zu bedeuten hat. Immerhin eine Stadt/Region mit 200.000 Einwohnern. Gleichzeitig bezeichnet Russland die EU als Kriegspartei. Am Dienstag, dem 18. März, beschloss das Parlament mit zweidrittel Mehrheit und Hilfe der abgewählten Regierungskoalition (!) in Berlin ein unfassbares Aufrüstungsprogramm. Ein Investitionsprogramm in Höhe von 400 bis 500 Milliarden Euro, um die marode Infrastruktur in Deutschland zu beheben. Straßen, Brücken, Schienenwege werden an erster Stelle genannt. Das Aufrüstungsvolumen könnte in den nächsten zehn Jahren eine Billion Euro und mehr betragen. Gleichzeitig wird der größte Angriff seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf unser Sozialsystem geplant. Hunderte Milliarden will die EU zusätzlich für Rüstung ausgeben. Das bedeutet Krieg! Die »Koalition der wahnsinnigen Kriegstreiber« muss von einem breiten Bündnis »"Der Friedliebenden und Demokratischen Kräfte« in Deutschland und Europa gestoppt werden. Waffenstillstand sofort! Die Waffen nieder! Aufstehen jetzt!
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Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (21. März 2025 um 11:31 Uhr)Will der Präsident der Ukraine überhaupt Friedensverhandlungen oder ein Waffenstillstand oder nicht, ich befürchte wohl nicht! Denn wenn die USA sich aus der sogenannten Unterstützung mit Waffen aus der Ukraine zurückziehen sollten, dann muss halt Deutschland und die EU Gewehr bei Fuß stehen und die Lücke dann mit ihren Waffen schließen! Aber so sieht keine Bereitschaft zur Verhandlung mit Russland aus und natürlich werden die Politikstrategen aus Deutschland und der EU bereitwillig mit Waffen zur Seite stehen, koste es doch, was es wolle!
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