Systematische Zerstörung
Von Norman Paech
In diesen Tagen erscheint im Promedia-Verlag das Buch »Völkermord in Gaza« von Helga Baumgarten und Norman Paech. Wir veröffentlichen daraus mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag das redaktionell gekürzte Kapitel »Der 8. Oktober 2023 – Operation Eiserne Schwerter« aus dem von Norman Paech verfassten zweiten Teil des Buchs. Das Buch kann bestellt werden unter mediashop.at (jW)
Trotz aller – angeblicher – Überraschung und trotz fehlender Vorbereitung auf den Angriff am 7. Oktober antwortete die israelische Armee unmittelbar danach, schon am nächsten Tag, mit massiven Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Zur völkerrechtlichen Legitimation berief sich die israelische Regierung auf das Verteidigungsrecht, welches sie auch jetzt noch, mehr als ein Jahr nach dem Angriff, für ihren Krieg in Anspruch nimmt. Die Regierungen in den USA, Deutschland und in der EU, die sie unterstützen, folgen ihr, um auch ihre fortlaufenden Waffenlieferungen und finanziellen Hilfen legitimieren zu können.
Das Recht auf Selbstverteidigung in Artikel 51 ist die einzige in der UN-Charta kodifizierte Ausnahme vom absoluten Gewaltverbot des Art. 2 Zif. 4. Es lautet: »Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.«
Nur der Sicherheitsrat selbst hat daneben die Befugnis, im Falle der »Bedrohung oder ein(es) Bruch(s) des Friedens oder eine(r) Angriffshandlung« (Art. 39 UN-Charta) militärische Maßnahmen zu ergreifen oder zu genehmigen (Art. 42 UN-Charta). Damit war der bis dahin geltende Souveränitätsanspruch, der das Recht auf Gewalt und Kriegserklärung umfasste, zum ersten Mal in der Geschichte der Völker und Staaten aufgehoben und bei dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen monopolisiert worden. Was jedoch 1945 noch in unmittelbarer Erinnerung an die blutigen Schlachten des Zweiten Weltkriegs 45 Staaten in San Francisco beschlossen hatten, empfanden vor allem die mächtigsten Staaten mit der Spaltung der Welt im Kalten Krieg und mit der Renaissance imperialistischer Herrschaftsansprüche zunehmend als unbequeme Beschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten. Es begannen die Versuche, das Verteidigungsrecht auszudehnen und durch interpretatorische Kunstgriffe in präventive und präemptive Verteidigung vorzuverlagern und zu verschärfen. Auch die Verlängerung der Verteidigung, wie sie Israel derzeit in seinem Krieg in Gaza beansprucht und vor allem durch die USA und BRD unterstützt wird, gehört dazu. Die ursprüngliche Funktion dieser einzigen Ausnahme vom Gewaltverbot, die Gewalt auf einen engen Bereich unmittelbarer Reaktion auf einen Angriff zu begrenzen, verschwimmt immer mehr.
Erloschenes Recht
Israel hatte schon vor gut 20 Jahren versucht, den Bau einer Mauer bzw. eines Sperrzaunes in Teilen der besetzten Gebiete des Westjordanlandes als Maßnahme der Verteidigung gegen Terrorangriffe zu rechtfertigen. Es berief sich dabei auf die Resolutionen 1368 vom 12. September 2001 und 1373 vom 28. September 2001 als erste Reaktion des UN-Sicherheitsrates auf die Terroranschläge gegen das World Trade Center in New York. Die Resolutionen erwägen und verpflichten die Staaten zwar zu einer Reihe von Maßnahmen gegen den Terrorismus, erwähnen aber das Recht auf Selbstverteidigung mit keinem Wort. Der Internationale Strafgerichtshof (IGH)¹ hielt sich 2004 nicht lange mit dem Selbstverteidigungsrecht Israels auf. Er bestätigte zwar das Recht eines jeden Staates, »Gewalt zur Selbstverteidigung gegen terroristische Angriffe anzuwenden« (RdNr. 138), verneinte aber ein Selbstverteidigungsrecht Israels, da »die Bedrohung, die den Bau der Mauer rechtfertigt, aus diesem Gebiet und nicht von außerhalb stammt« (RdNr. 139).
Die Situation am 7. Oktober ist jedoch eine andere. Die Bedrohung kommt zwar auch aus den besetzten Gebieten, diese können jetzt aber auf Grund der zunehmenden Anerkennung des Status Palästinas in der UNO und der Anerkennung durch 146 Staaten als Staat Palästina durchaus als »außerhalb« Israels gesehen werden. Insofern ist Israel ein Selbstverteidigungsrecht gegen den Angriff am 7. Oktober 2023 nicht abzusprechen. Diejenigen Meinungen, die Israel dennoch ein Selbstverteidigungsrecht vorenthalten wollen, da die Besatzung völkerrechtswidrig ist, verkennen den Charakter des Angriffs. Allein die hohe Anzahl ziviler Opfer macht ihn völkerrechtswidrig und gibt jedem Angegriffenen ein Verteidigungsrecht. Das einzige, aber große Problem ist jetzt die Dauer dieser Verteidigung, ob der militärische Einsatz auch über ein Jahr lang noch als Verteidigung gerechtfertigt werden kann. Zudem stellt die außerordentlich hohe Anzahl an Toten, Verletzten und Vertriebenen die Frage der Verhältnismäßigkeit, ob über 50.000 offiziell festgestellte Tote und über 100.000 Verletzte noch in einem akzeptablen Verhältnis zu dem Verteidigungsziel stehen.
Wenig Beachtung hat bisher der zweite Teil des ersten Satzes von Artikel 51 UN-Charta bekommen. Der bestimmt, dass das Recht auf Selbstverteidigung so lange besteht, »bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat«. Die erste Entscheidung des IGH erfolgte am 26. Februar 2024, in der er verschiedene Maßnahmen von den Staaten forderte, um einen Völkermord zu vermeiden. Diese Entscheidung wurde am 25. März 2024 vom UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 2728 (2024)² und der Forderung nach sofortiger Waffenruhe bestätigt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erlosch ein Selbstverteidigungsrecht Israels, da der Sicherheitsrat »erforderliche Maßnahmen« getroffen hatte. Dass Israel diese verbindliche Aufforderung ignorierte, änderte nichts an der Wirkung dieser Resolution, die das Selbstverteidigungsrecht beendete.
Es gab jedoch schon vorher gravierende Entwicklungen des Krieges, die weit über eine Selbstverteidigung hinausgehen und ein solches Recht nicht mehr legitimieren konnten. Die offizielle Begründung der israelischen Regierung für ihren Verteidigungskrieg ist die Vernichtung der Hamas, um vergleichbare Angriffe in der Zukunft nicht mehr durchführen zu können. Ihre personelle Stärke wurde auf circa 30.000 Mitglieder geschätzt, von denen die Armee 17.000 getötet haben will. Trotz insgesamt 50.000 Toten, unzähligen Verletzten und Vertriebenen scheint die Kampffähigkeit der Hamas zwar stark geschwächt, aber immer noch zu Einzelaktionen fähig zu sein. Mit anderen Worten: Das Ziel der »Verteidigung« ist erst erreicht, wenn alle, die überhaupt noch zu einem Akt des Widerstands in der Lage sind, ausgeschaltet sind.
Das ist die Ankündigung eines endlosen Krieges, die die Erkenntnis unterstreicht, dass die Hamas zwar eine Organisation mit einer definierbaren Mitgliederzahl sein mag, darüber hinaus aber als Organisation des Widerstandes tiefer in der palästinensischen Gesellschaft verwurzelt ist. Sie wird von ihr unterstützt und vermag sich immer wieder aus ihr zu rekrutieren. Zudem gibt es eine Anzahl weiterer Organisationen wie den Islamischen Dschihad und die PFLP, die den Kampf ebenfalls aufgenommen haben. Gleichgültig, ob die israelische Regierung und Armee diese Zusammenhänge erkannt haben, die grundsätzliche Aporie ihres Krieges ist das Unverständnis darüber, dass Volks- und Befreiungsbewegungen militärisch nicht zu überwinden sind. Die gar nicht lange zurückliegende Geschichte der kolonialen Befreiungskämpfe in Afrika hat das erwiesen. Selbst Frankreich, welches Algerien jahrzehntelang als Teil des eigenen Landes betrachtete, musste schließlich diese Lektion lernen und Algerien in die Unabhängigkeit entlassen.
Plan zur Auslöschung
Die israelische Regierung betont immer, es gehe ihr allein um die Ausschaltung der Hamas. Doch die Daten und Informationen, die trotz des sehr eingeschränkten Zugangs von Journalisten und des faktischen Verbots von Untersuchungskommissionen im Gazastreifen an die Öffentlichkeit gelangen, liefern ein anderes Bild. Es zeigt einen »koordinierten Plan zur Auslöschung der Palästinenser in Gaza«, wie ihn die internationale Recherchegruppe Forensic Architecture³ zeichnet. Die Gruppe registrierte bis Juni 2024 mehr als 1.000 israelische Bombenabwürfe mit etwa 25.000 Tonnen Sprengstoff, eine Sprengkraft doppelt so stark wie die der Hiroshima-Atombombe.⁴ Damit wurden 425 Schulen, 273 religiöse Gebäude, 250 Zufluchtsorte zum Teil mehrfach angegriffen. 31 der 36 Krankenhäuser in Gaza wurden mehrfach angegriffen, der Al-Schifa-Krankenhauskomplex allein sechsmal, während dort über 60.000 Menschen Schutz suchten.⁵ 83 Prozent der gesamten Pflanzenwelt und etwa 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Gaza, 104 Quadratkilometer (von 150 Quadratkilometern) Felder und Obstgärten, wurden zerstört. Mehr als 47 Prozent der Grundwasserbrunnen und 65 Prozent der Wassertanks wurden zerstört oder beschädigt. Der Zustand von 29 Prozent der Brunnen ist unbekannt. Keine der Abwasseraufbereitungsanlagen in Gaza ist intakt oder funktionsfähig geblieben.⁶
Allein diese wenigen Zahlen zeigen, dass nicht nur die Hamas und die anderen Widerstandorganisationen, sondern die gesamte palästinensische Gesellschaft zum Angriff und zur Zerstörung freigegeben worden sind. Sie zeigen aber auch, dass Israel von Anfang an nicht bereit war, die Regeln des humanitären Völkerrechts zu befolgen, die jeden bewaffneten Angriff auf Zivilisten und zivile Einrichtungen verbieten. So resümiert die Gruppe Forensic Architecture folgerichtig: »Die Muster, die wir in bezug auf Israels militärisches Verhalten in Gaza beobachtet haben, deuten auf eine systematische und organisierte Kampagne zur Zerstörung von Leben, einer zuträglichen Umwelt und lebenserhaltender Infrastruktur hin.«
Vom 7. Oktober 2023 bis zum Juni 2024 wurde eine Reihe von Erklärungen zur Zerstörung der zivilen Infrastruktur durch eine Vielzahl von israelischen Staats- und Militärbeamten, hochrangigen Offizieren, Knesset-Mitgliedern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens abgegeben. Solche Äußerungen wurden in den sozialen Medien veröffentlicht, in Presseinterviews gemacht oder in offizieller Funktion abgegeben. Diese Äußerungen beziehen sich oft auf die gezielte Zerstörung wesentlicher Infrastrukturen, einschließlich medizinischer, kultureller, wirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Infrastrukturen sowie von Unterkünften und sanitären Einrichtungen. Sie zeigen, dass die israelischen Militäroperationen von Beginn an auf die gesamte Bevölkerung abzielten, die sie für den Angriff vom 7. Oktober kollektiv verantwortlich machte.⁷
Verbrannte Erde
Am 9. Oktober 2023 postete Israel Katz (damals Energieminister, seit kurzem Verteidigungsminister) auf X, dass er einen »Befehl (…) zur sofortigen Unterbrechung der Wasserversorgung von Israel nach Gaza« erteilt habe. »Strom und Treibstoff wurden gestern abgestellt. Was einmal war, wird nicht mehr sein.« Am 9. Oktober 2023 teilte der israelische Verteidigungsminister Joaw Gallant in einem »Lagebericht« des israelischen Militärs mit, dass Israel »eine vollständige Belagerung des Gazastreifens verhängt. Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Treibstoff. Alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend.«
Ebenfalls am 9. Oktober 2023 wandte sich der israelische Generalmajor Ghassan Alian in einer Videobotschaft an die Hamas und die Bewohner des Gazastreifens, die über den offiziellen Kanal von COGAT (der für die besetzten palästinensischen Gebiete zuständigen Behörde) veröffentlicht wurde, und erklärte: »Die Hamas wurde zum IS, und die Bürger von Gaza feiern, anstatt entsetzt zu sein. Mit menschlichen Tieren wird entsprechend verfahren. Israel hat Gaza eine totale Blockade auferlegt, keinen Strom, kein Wasser, nur Schaden. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen.«
Am 10. Oktober 2023 postete Israel Katz auf X: »Bis jetzt haben wir täglich 54.000 Kubikmeter Wasser und 2.700 Megawatt Strom nach Gaza transferiert. Damit ist jetzt Schluss. Ohne Treibstoff wird auch die lokale Stromversorgung innerhalb weniger Tage zusammenbrechen, und die Pumpbrunnen werden innerhalb einer Woche (nicht mehr aktiv) sein. Das wird mit einer Nation von Mördern und Kinderschlächtern gemacht. Was einmal war, wird nicht mehr sein.«
Am 13. Oktober 2023 postete Israel Katz auf X: »Die UNO lehnt die Aufforderung der IDF an die Bewohner des nördlichen Gazastreifens, in den Süden des Streifens umzusiedeln, aus (militärischen) operativen Gründen ab und warnt vor verheerenden humanitären Folgen. Was für eine Heuchelei! Wir werden denjenigen, die nicht umsiedeln, nicht ein Gramm Wasser und keinen Strom zur Verfügung stellen. Wir werden mit voller Kraft daran arbeiten, die Mörder bei Hamas und ISIS zu beseitigen und die Sicherheit wiederherzustellen. Was einmal war, wird nicht mehr sein.«
Am 13. Oktober 2023 erklärte Israel Katz – nachdem Israel 1,1 Millionen Palästinenser, darunter Patienten und Personal in Krankenhäusern, angewiesen hatte, den nördlichen Gazastreifen innerhalb von 24 Stunden zu verlassen: »Die gesamte Zivilbevölkerung in Gaza muss das Gebiet sofort verlassen. Wir werden gewinnen. Sie werden keinen Tropfen Wasser und keine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen haben.«
Am 7. Oktober 2023 erklärte das Mitglied der israelischen Knesset (Likud) Revital Gottlieb auf X: »Reißt Gebäude ein!! Bombardiert ohne Unterschied!! Schluss mit dieser Ohnmacht. Ihr habt die Fähigkeit. Es gibt weltweite Legitimität! Macht Gaza dem Erdboden gleich. Ohne Gnade! Dieses Mal gibt es keinen Raum für Gnade!«
Zwei Tage später, am 9. Oktober 2023, postete Oberst Tsachi Fenton auf Facebook, dass der gesamte Gazastreifen und der Libanon wie das Bild eines völlig zerstörten Stadtviertels aussehen werden. Und am 10. Oktober 2023 postete der israelische Major und stellvertretende Kommandeur der 35. Fallschirmjägerbrigade, Amit Deri, auf Facebook: »Gaza muss zerstört werden. Alles. Jedes Gebäude, jedes Haus, jede Schule und auch das Schifa-Krankenhaus. (…) Den Bewohnern von Gaza eine kurze Frist von wenigen Stunden geben, um sich nach Ägypten oder an die Küste außerhalb der Häuser zu evakuieren, und sofort mit der Arbeit zu beginnen. Das dauert nicht lange!! Mit intensiver Luftwaffenaktivität ist es eine Frage von wenigen Tagen. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Am 17. Oktober 2023 erklärte der israelische Politiker und Vorsitzende von Zehut (Zentren zur Vertiefung der jüdischen Identität), Mosche Feiglin, auf X: »Wenn das Ziel dieser Operation nicht Zerstörung, Deportation und Besiedlung ist, haben wir nichts getan. Am Ende wird das ganze Land (Kibbuz) Be’eri sein.« Feiglin postete auch: »Es ist nicht die Hamas, die beseitigt werden sollte. Gaza sollte dem Erdboden gleichgemacht werden, und die Herrschaft Israels sollte an diesem Ort wiederhergestellt werden. Dies ist unser Land.«
Am 4. November 2023 erklärte der israelische Brigadegeneral und ehemalige stellvertretende Leiter von COGAT, jetzt stellvertretender Rechnungsprüfer des Verteidigungsapparats, der in Gaza gekämpft hat, Jogew Bar-Sheshet, in einem in Beit Lahia gefilmten und im israelischen Fernsehen ausgestrahlten Video: »Wer auch immer hierher zurückkehrt, wenn er danach hierher zurückkehrt, wird verbrannte Erde vorfinden. Keine Häuser, keine Landwirtschaft, nichts.«
Mäntelchen der Legalität
Am 17. November 2023 postete Schlomi Warmstein, Offizier der Spezialeinheit der Givati-Brigade, auf seiner Facebook-Seite: »… lasst uns heute in Gaza siedeln! (…) Jeder in seinem Rang und seiner Position, sind wir vereint wie eine Faust für den Krieg, um Gaza zu zerstören. Hier gibt es keine Fragen, nur den gemeinsamen und vereinten Wunsch, dieses schreckliche Übel und die Bosheit auszulöschen. (…) (Wir) gehen durch die zerstörten Straßen, in Häuser, Schulen und Hotels und suchen bei jeder Gelegenheit nach dem offenen Meer, das einen kurzen, reinen und tiefen Blick auf die saubere Natur gewährt. (…) Sie hätten einen Ort des Meeres und des Tourismus und des Lebens und des Wohnens und der fortschrittlichen Landwirtschaft und der Geschäftszentren schaffen können, buchstäblich ein globales Zentrum, aber sie haben sich für das Böse und den Tod entschieden. An den Orten, durch die wir gehen, ist nichts mehr übrig, so Gott will. Alles ist kaputt und zerstört, dank der Luftwaffe und des Panzerkorps. (…) Ein Genuss für die Augen! (…) Alles muss uns gehören. Wirklich. Hier ist alles leer, und es gibt keinen Grund auf der Welt, sie zurückkehren zu lassen. (…) Gaza muss (…) ein Licht sein, das zeigt, dass man manchmal am aggressivsten und entschlossensten sein und (›töten‹) und Rache nehmen und vertreiben muss. Wir müssen wirklich für unseren Aufenthalt hier beten, es wird eine Reform (Tikkun) für alles sein. (…) Wie schön wird es sein, wenn wir die Entscheidung treffen, alle Häuser in Gaza auszulöschen, zu beseitigen und zu zerstören, und die Envelope-Siedlungen wieder aufzubauen und zu sanieren, und in einer langen Menschenkette werden wir am Tag ihrer Rückkehr mit Fahnen und mit einem Lächeln und einem Blick darauf warten, dass wir den Feind vernichtet haben und es nun sicher ist und alles für immer ruhig ist und wir nachts friedlich schlafen und tagsüber ein friedliches Leben führen können.«
Am 13. Dezember 2023 sagte der israelische Verteidigungsminister Joaw Gallant bei einem Besuch in der israelischen Stadt Sderot: »Die Arbeit im Norden des Gazastreifens, mit all seinen Kosten und Schmerzen, ist von der Art, dass die umliegende Infrastruktur, wie Beit Hanoun und seine Umgebung und seine Tunnel und die Häuser im Offiziersviertel, in Tel Al-Hawa (einem Viertel in Gaza-Stadt), zerstört wird – es wurde alles ausgelöscht, das hat eine Bedeutung.«
Am 8. Januar 2024 beschrieb der israelische Soldat Aviad Jisraeli die Zerstörung des palästinensischen Dorfes Khuza’ah durch das israelische Militär und postete auf Facebook: »Khuza’ah war an der Reihe, die Konsequenzen der Entscheidung zu tragen, das jüdische Volk anzugreifen. (…) Zum ersten Mal verstand ich den Wert der Beton- und Eisenhaufen, die zum Symbol des Krieges wurden. Dieses Dorf (…) sollte nicht länger existieren. Zerstörte Gebäude, verbrannte Gewächshäuser und sogar tote Terroristen sind keine strategische Errungenschaft. Sie sind die grundlegendste Konsequenz, die jeder tragen muss, der es wagte, am 7. Oktober mitzuhelfen oder wegzuschauen. In den letzten zwei Wochen haben wir Khirbet Khuza’ah erobert und zerstört. Wir haben die israelische Flagge und die Nir-Oz-Flagge am Gemeindehaus, der Schule und der Moschee aufgehängt. Dann haben wir sie in die Luft gesprengt.«
Am 3. März 2024 erklärte der israelische Verteidigungsminister Joaw Gallant: »Wir nehmen ein Viertel nach dem anderen auseinander.« Am 30. März 2024 erklärte Generalleutnant Herzi Halevi nach der Belagerung und Zerstörung des Al-Schifa-Krankenhauses durch das israelische Militär im März 2024: »Hier wird eine beeindruckende Strategie umgesetzt. Hier wird eine sehr, sehr wichtige Botschaft vermittelt: Ein Krankenhaus ist kein sicherer Ort.« Halevi bezeichnete die Operation als »sehr große Leistung«. Am 7. April 2024 postete Rabbi Avraham Zarbiw auf Facebook: »Wo immer die Soldaten der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) durchkamen, wurde die Erde verbrannt.« Am 30. Mai 2024 bekräftigte der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender der Nationalen Religiösen Partei – Religiöser Zionismus, die von der israelischen Regierung verfolgte Politik in Gaza und versuchte, sie am 30. Mai 2024 auf das Westjordanland auszudehnen, indem er erklärte: »Wir werden euch in Schutt und Asche legen, wie wir es jetzt im Gazastreifen tun.«
Vergleichbare Aussagen lassen sich bis in die Gegenwart dokumentieren. Sie beweisen zweierlei: Zum einen ist die Berufung auf das Recht auf Selbstverteidigung ein plumpes Manöver, dem Krieg ein Mäntelchen der Legalität umzuhängen und damit den Verbündeten die weitere Unterstützung zu erleichtern – letzteres mit vollem Erfolg. Zum anderen zeigt sich, dass die Operation »Eiserne Schwerter« von Beginn an die Eroberung, ethnische Säuberung und Besiedlung des Gazastreifens aus strategischen und ökonomischen Gründen beabsichtigte. Der Zionismus hatte bisher nie Anspruch auf den Gazastreifen, das Land der Philister, aus religiösen Gründen erhoben. Nun eröffneten sich mit der Vernichtung der Hamas, der gefährlichsten Gruppe des palästinensischen Widerstandes, die endgültige Befriedung des Palästina-Konflikts, der Zugriff auf weitere ökonomische Ressourcen vor der Küste und attraktive Siedlungsgebiete.
Anmerkungen:
1 Vgl. https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/131/131-20040709-ADV-01-00-EN.pdf sowie Karin Oellers-Frahm: Gutachten zum Bau einer Mauer auf palästinensischem Gebiet. In : Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen 3, 2005
2 Vgl. https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_24/sr2728.pdf
3 Vgl. Yaro Allisat: Genozid nach Plan, junge Welt vom 1.11.2024. Vgl. Forensic Architecture: A Spatial Analysis of the Israeli Military’s Conduct in Gaza since October 2023, 15.10.2024, S. 381, info@forensic-architecture.org
4 Andere Quellen berichten sogar von 40.000 Tonnen Bomben und 14.800 Toten bereits in den beiden ersten Monaten der israelischen Operation, vgl. https://www.teletrader.com/40-000-tons-of-bombs-reportedly-dropped-on-gaza-since-october/news/details/61045294?international=1
5 Vgl. Forensic Architecture: A Spatial Analysis of the Israeli Military’s Conduct in Gaza since October 2023
6 Vgl. Forensic Architecture, A Cartography of Genocide since October 2023, https://forensic-architecture.org/investigation/a-cartography-of-genocide
7 Die folgenden Beispiele stammen aus Forensic Architecture: A Spatial Analysis of the Israeli Military’s Conduct in Gaza since October 2023, S. 817 ff.
Helga Baumgarten/Norman Paech: Völkermord in Gaza. Eine politische und rechtliche Analyse. Promedia-Verlag, Wien 2025, 232 Seiten, 22 Euro
Norman Paech schrieb an dieser Stelle zuletzt am 23. Oktober 2024 eine völkerrechtliche Einschätzung zum Vorgehen Israels in Gaza: »Apartheid und die Folgen«
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