Verschwundene Freiräume
Von Dieter Reinisch
Heute existiert die Zeitung Daily News immer noch, ist aber außerhalb der Vereinigten Staaten nicht sonderlich bekannt. In den 70er Jahren gehörte sie zu den auflagenstärksten Tageszeitungen des Landes. Patrick Lawrence lernte dort sein Handwerk: zunächst als Laufbursche, der einzelne Textentwürfe vom Schreibtisch eines Redakteurs zum nächsten trug, dann einen Stock weiter unten beim Setzen der Abendausgaben. Irgendwann durfte er selbst schreiben – in klarer, direkter, einfacher Sprache, so wie es die Lehrjahre bei Daily News ihm mitgaben.
Geboren 1950, erlebte Lawrence als Redakteur in New York heute als Höhepunkte erinnerte Leistungen des US-Journalismus. Die als kritisch wahrgenommenen Zeitungen genossen Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung, die Auflagen waren hoch. Ein wesentlicher Grund war der Investigativjournalismus, der damals noch in den Kinderschuhen steckte, schreibt Lawrence in einem neuen Buch über die jüngere Geschichte der Printmedien in den USA. Was er erst rückblickend so sieht: Die Watergate-Affäre eröffnete ab 1972 zwar eine neue goldene Ära des Journalismus, habe ihm aber ebenso sehr geschadet. »Indem sie den Mainstream wieder legitimierten, besänftigten sie eine wachsende Welle der Kritik innerhalb des Berufsstands und ein langjähriges Misstrauen bei Lesern und Zuschauern«, schreibt Lawrence.
Lawrence lernte und arbeitete in diesem Mainstream. Doch an irgendeinem Tag im Jahr 1974 eröffnete ihm ein Kollege, dass er »ein paar Vormittage in der Woche damit verbrachte, Seiten des National Guardian Korrektur zu lesen«. Es war eine linke Wochenzeitung, die als Kampagnenzeitung für progressive Wahlkandidaturen nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war. In den frühen 70er Jahren war das Blatt eine wichtige Stimme der Antikriegsbewegung, »und das Korrekturlesen ihrer Seiten war Bills Beitrag zu dieser Bewegung«.
Das Gespräch war ein wichtiger Wendepunkt für Lawrence, wie wir in seinem autobiographisch geprägten Buch lesen können. Er arbeitete zwar weiter für Mainstreamblätter, entwickelte aber zunehmend einen kritischen Blick und versuchte, sich gegen die politische Einflussnahme durch Vertreter der US-Regierung zu stellen. Ihm fiel auf, dass viele Journalisten langjährige Verbindungen zu den Geheimdiensten und insbesondere zur CIA hatten und im Grunde Themen im Sinne »der Dienste« bearbeiteten: »Mit der Stimmung des Kalten Kriegs schlich sich die Auffassung ein, dass Journalisten auch Amerikaner seien und der nationalen Sache dienen sollten wie jeder andere Bürger auch.«
Lawrence wollte da nicht mehr mitspielen. Er packte seine Sachen und ging nach Portugal, wo die Nelkenrevolution gerade die faschistische Diktatur weggefegt hatte. Weitere Stationen waren London und Südostasien. In den 70er und 80er Jahren konnte er sich als Journalist gewisse Freiräume auch in Mainstreammedien schaffen. Damit ist längst Schluss: Spätestens mit dem »Krieg gegen den Terror« entwickelte sich der Journalismus zurück. Die komplett einseitige, regierungsfreundliche Berichterstattung vor und während des Irak-Kriegs überzeugte Lawrence, sich von den großen Blättern zu verabschieden und in kleineren, alternativen Magazinen zu publizieren, in denen versucht wird, die alten kritischen Freiräume zu erhalten. Heute sei die Lage für den regierungskritischen Journalismus so schlimm wie in der Ära der antikommunistischen Propaganda und Hetze der 1950er Jahre, schreibt er.
Das Buch ist eine sehr persönliche Darstellung der Medien, die trotz ihrer Fokussierung auf die USA wesentliche Perspektiven zum Verständnis der Entwicklung des Journalismus in Europa bietet. Das Buch ist flott und spannend geschrieben und wie in den USA üblich voll mit persönlichen Anekdoten und Details über das Pressewesen. Es zeigt, in welchem Spannungsverhältnis sich Journalisten im Mainstream bewegen: zwischen ökonomischem Zwang und eigener Überzeugung, die zusehends »abgelegt« wird. Bewusste Auslassungen und Selbstzensur, um den dargestellten Fakten einen bestimmten politischen Dreh zu geben, sind der Normalfall. Denn die meisten Autoren schreiben nicht mehr für die Leser, sondern das, was die auf Linie gebrachten Redaktionen erwarten, urteilt Lawrence nüchtern.
Wie die heutigen US-Medien zu dem wurden, was sie sind; ihre Rolle im Kalten Krieg; die Einflussnahme der CIA auf die Berichterstattung etwa über Portugal und Lateinamerika, den Angriff auf den Irak und schließlich die aktuellen Kriege in der Ukraine und Palästina; wie schließlich das Vertrauen der Leser verlorenging – all das zeichnet Lawrence lesenswert nach. Das Buch ist Lesern sehr zu empfehlen, die sich für Hintergrundwissen zur Funktionsweise der Medienlandschaft in den USA und darüber hinaus interessieren.
Patrick Lawrence: Journalisten und ihre Schatten. Zwischen Medienkonzernen und unabhängiger Berichterstattung. Promedia, Wien 2025, 208 Seiten, 22 Euro
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- IMAGO/AAP24.08.2024
Schändliche Schandlisten
- AP Photo/Jeff Roberson/dpa17.03.2022
Spielball der Hedgefonds
- Ints Kalnins/Reuters01.09.2016
Ende der Rechthaber
Regio:
Mehr aus: Politisches Buch
-
Ohne den ganzen Klimbim
vom 31.03.2025 -
Neu erschienen
vom 31.03.2025