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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Warum starb Maradona?

Seit einem Monat läuft in Argentinien ein Prozess wegen des Todes der Fußballegende
Von Frederic Schnatterer
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Keine Gerechtigkeit für Gott: Maradona-Fans demonstrieren für Aufklärung (11.3.2025)

Die Schreckensnachricht kam am 25. November 2020: Diego Armando Maradona ist tot. Die Legende, der Volksheld, »el pibe de oro«, oder einfach: D10s, der Gott, war leblos in seinem Bett aufgefunden worden: Das rechte Bein geschwollen, der Bauch aufgeblasen wie ein Ballon, lag der frühere Ausnahmefußballer da. Ein Polizist, der als erster ans Totenbett trat, sollte später zu Protokoll geben: »Er sah aus, als würde er gleich explodieren.« Maradona war gerade einmal 60 Jahre alt geworden.

Die Fußballwelt und insbesondere Argentinien fielen in eine Mischung aus Entsetzen, Fassungslosigkeit und tiefer Trauer. Doch es dauerte nicht lange, da kamen erste Fragen auf: Wie konnte es sein, dass Maradona nicht in einem Krankenhaus behandelt worden war, sondern sich trotz seines offensichtlich schlechten Gesundheitszustands in einem extra für die Pflege angemieteten Haus befunden hatte? Wer hatte den »Heimaufenthalt« angeordnet? Wer entschied über die Medikation des schwerkranken Patienten? In wessen Interesse wurden die medizinischen Entscheidungen getroffen? Der Verdacht: Wäre Maradona anders und an einem besser dafür geeigneten Ort behandelt worden, hätte sein früher Tod möglicherweise vermieden werden können. Und, noch schwerwiegender: Maradonas Tod wurde aus finanziellem Interesse von denjenigen in Kauf genommen, die eigentlich für seine Genesung zuständig gewesen wären.

Seit einem Monat werden diese Fragen vor einem Gericht in San Isidro in der Provinz Buenos Aires verhandelt. Angeklagt ist dort, in einem Vorort der argentinischen Hauptstadt, seit dem 11. März das private Ärzteteam Maradonas, Psychiater, Pflegekräfte, Ärzte, insgesamt sieben Personen. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vor. Sie hätten »ihre Pflichten verletzt«, es gebe »eindeutige Indizien« dafür, dass »der tödliche Ausgang hätte vermieden werden können«, heißt es. Auf fahrlässige Tötung stehen in Argentinien zwischen acht und 25 Jahre Haft.

Im Vorfeld des Prozesses war ein Gutachten an die Öffentlichkeit gelangt, laut dem der 60jährige bei einer angemessenen Behandlung in einer medizinischen Einrichtung »eine bessere Überlebenschance« gehabt hätte. 17 von 22 Experten, die die Krankheitsgeschichte Maradonas ab dem Jahr 2000 rekonstruiert haben, kommen zu dem Schluss, dass es strafrechtlich relevante Verantwortlichkeiten für den Tod des Exfußballers gibt. Nachdem zunächst von einem Herzinfarkt die Rede gewesen war, identifizierte die Gerichtsmedizin bei der Obduktion Maradonas ein schweres Lungenödem als Todesursache.

Fest steht: Am 11. November 2020 wurde Maradona aus einer Klinik entlassen, in der er sich einer Operation wegen eines Blutgerinnsels im Hirn unterzogen hatte. Was genau in den 14 Tagen danach passierte, ist Gegenstand des Gerichtsprozesses. Sicher ist nur, dass der ehemalige Fußballer die zwei Wochen in einem Haus in einem exklusiven Vorort von Buenos Aires verbrachte. Dort – und nicht in einer Entzugsklinik – sollte er sich von seinem Alkoholkonsum und der vorherigen Operation erholen.

Besonders der Neurochirurg Leopoldo Luque und die Psychologin Agustina Cosachov stehen bei dem Prozess im Fokus. Luque soll es gewesen sein, der darauf drängte und die Töchter Maradonas schließlich überzeugte, dass dieser in dem Haus behandelt werde. Er stand dem Patienten persönlich am nächsten. Cosachov wiederum soll Maradona Medikamente verabreicht haben, ohne mögliche Nebenwirkungen zu bedenken. Auch die Fälschung einer Bescheinigung über einen Arztbesuch, der nie stattgefunden hat, wird ihr angelastet. Während die Verteidiger von Luque und Cosachov auf unschuldig plädieren, argumentieren die Anwälte der mitangeklagten Pflegekräfte, diese seien aufgrund ihrer untergeordneten Stellung nicht für den Tod verantwortlich.

Im Raum steht, dass die Angeklagten die – mutmaßlich unzureichende – Behandlung Maradonas von zu Hause aus durchführen wollten, um einen lukrativen Auftrag nicht an ein Krankenhaus zu verlieren oder gar um Zugriff auf das Vermögen des Stars zu bekommen. Die Staatsanwaltschaft spricht davon, dass die Behandlung »katastrophal, rücksichtslos, mangelhaft und beispiellos« gewesen sei. Der Ort, an dem Maradona schließlich starb, wird als »ein Schauplatz des Grauens, in dem niemand der medizinischen Betreuer getan hat, was er hätte tun sollen«, beschrieben. So war das Zimmer nicht einmal 15 Quadratmeter groß. Eine Dusche gab es nicht, statt einer Toilette lediglich ein Campingklo. Auch an medizinischem Gerät fehlte es, weder gab es einen Defibrillator noch einen Anschluss für Sauerstoff. Der Tod Maradonas, so die Staatsanwälte, sei »qualvoll« gewesen.

Dabei war selbst für Außenstehende ersichtlich, dass es um Maradona schlecht stand. Als er nur einen Monat vor seinem Tod anlässlich seines 60. Geburtstags im Stadion von Gimnasia y Esgrima La Plata seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte, gab er ein tragisches Bild ab: Er war extrem geschwächt und musste gestützt werden. Selbst die zu dem Zeitpunkt obligatorische Gesichtsmaske konnte er nicht selbst zurechtrücken. Doch in der argentinischen Öffentlichkeit wurde die Gebrechlichkeit heruntergespielt – wie jegliche Schwäche oder auch nur Menschlichkeit des Exfußballers immer heruntergespielt worden war.

Maradona war der, der 1986 England nur wenige Jahre nach dem Falklandkrieg zwei Tore eingeschenkt hatte, um Argentinien später zum Weltmeistertitel gegen Deutschland zu führen – nicht der Frauenschläger, der Drogensüchtige, das Wrack. Fernando Signori, der langjährige Fitnesscoach Maradonas, brachte die Beziehung der Argentinier zu ihrem Volkshelden auf den Punkt: »Mit Diego gehe ich bis ans Ende der Welt, aber mit Maradona gehe ich nicht einmal bis zur nächsten Ecke.«

Schon lange vor seinem Tod war Maradona von seinem exzessiven Lebensstil gezeichnet. Anfang April berichtete der Forensiker Alejandro Ezequiel Vega beim Prozess von Herz-, Nieren- und Leberproblemen. Ebenso habe der Patient an lang anhaltenden Durchblutungsstörungen mit »mangelndem Blutfluss und Sauerstoffmangel« gelitten. Das Herz des Exfußballers sei stark vergrößert gewesen und habe mehr als ein halbes Kilo gewogen – das normale Durchschnittsgewicht liegt bei 250 bis 300 Gramm. Alkohol und andere Drogen wurden in den zum Zeitpunkt des Todes genommenen Blut- und Urinproben indes nicht nachgewiesen.

Mit einem Urteil ist frühestens im Juli zu rechnen. Bis dahin sollen mehr als 100 Zeugen befragt werden. Ob dann geklärt ist, wer am frühen Ableben Maradonas schuldig ist – der Exfußballer selbst oder doch sein Ärzteteam –, bleibt abzuwarten. Gerechtigkeit für den Tod eines Maradona kann der Prozess ohnehin nicht bringen.

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