Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 14 / Medien
Bedrohungen gegen Journalisten

Wer schreibt, hat Schuld

Finnisches Gericht stellt Ermittlungsverfahren nach Bedrohung von Journalistin ein. Sie sei für die Reaktionen »teilweise verantwortlich«
Von Dieter Reinisch
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Die Partei Perussuomalaiset startete eine Kampagne gegen die Journalistin Ida Erämaa (Mitglieder im Wahlkampf 2023)

Rechte und Neonazis bedrohten sie in den sozialen Medien, doch ein Gericht entschied nun, sie sei »teilweise für die Reaktionen verantwortlich«. Die finnische Journalistin Ida Erämaa hatte sich nach Mord- und Vergewaltigungsdrohungen mit einer Anzeige zu verteidigen versucht. Ende März hatte die Generalstaatsanwaltschaft der Region Südfinnland jedoch das Ermittlungsverfahren wegen »diffamierender Äußerungen und Drohungen« eingestellt. Das Gericht argumentierte, Erämaa sei teilweise für die gegen sie gerichteten Beleidigungen und Drohungen selbst verantwortlich, da sie über die rechte Szene in Finnland berichtet hatte. Der Europäische Journalistenverband (EJF) kritisierte die Entscheidung am Montag.

Erämaa hatte die nationalistische Partei »Wahre Finnen« (Perussuomalaiset, PS) im Juli 2023 in der Boulevardzeitung Iltalehti kritisiert. Aufgrund ihres Artikels begann eine öffentliche Hetzkampagne von PS-Anhängern und sogar deren Abgeordneten gegen die Journalistin. Auf X und anderen sozialen Medienplattformen wurde zu körperlicher und sexueller Gewalt gegen sie aufgerufen. Erämaa erstattete Strafanzeigen. Nach Ansicht des Staatsanwalts und des leitenden Ermittlers gingen einige der an Erämaa gerichteten Kommentare »vermutlich über das hinaus, was als akzeptable Kritik an einer Person in einem öffentlichen Amt gelten kann«, heißt es in der Begründung zur Einstellung der Ermittlungen. An der Entscheidung änderte es jedoch nichts.

Der finnische Journalistenverband UJF hatte bei der Generalstaatsanwaltschaft bereits Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung eingelegt. In einer Aussendung schrieb UJF, die Arbeit von Journalisten könne nicht als Rechtfertigung für Verbrechen gegen sie angesehen werden. »Aus rechtsstaatlicher Sicht ist es sehr problematisch, zu behaupten, die Arbeit eines Journalisten sei ein mildernder Umstand für die gegen ihn verübten Verbrechen«, sagte die UJF-Anwältin Tytti Oras: »Angriffe auf Journalisten sind besonders schwerwiegend, da sie das Recht der Öffentlichkeit auf Information beeinträchtigen. Wenn Journalisten zum Schweigen gebracht werden, stellt dies eine grundlegende Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.« Erämaas Artikel hingegen verteidige »Meinungsfreiheit, politischen Journalismus und das Recht der Öffentlichkeit, über Geschehen in der Gesellschaft informiert zu sein«.

Die PS hatte bei den Parlamentswahlen einige Wochen vor Erämaas Artikel gut 20 Prozent der Stimmen erhalten. Die Sammlungspartei verfolgt eine ausländerfeindliche Politik, will Migration stoppen, Rechte für die schwedische Minderheit und die indigene Bevölkerung sowie deren Sprachen abschaffen und unterhält Kontakte zu neofaschistischen Gruppen. So organisiert sie anlässlich des Unabhängigkeitstages am 6. Dezember alljährlich einen Marsch durch Helsinki, an dem auch Blöcke der faschistischen Gruppen »Soldiers of Odin« und »Blood and Honour« teilnehmen.

Der Fall sei »unbedeutend, die Kosten hoch und das öffentliche Interesse gering«, hatte die Staatsanwaltschaft zum Fall der bedrohten Journalistin erklärt. Die Klägerin habe schließlich »außergewöhnlich viel zur Begehung des Verbrechens beigetragen«. Angesichts des »stark stigmatisierenden und nach Ansicht einiger Kritiker beleidigenden Inhalts des Originalartikels von Erämaa« wäre eine Strafe ohnehin milde ausgefallen. Da Erämaa in ihrem Artikel verallgemeinernd »über alle PS-Mitglieder geschrieben« habe, was somit »alle Parteimitglieder einschließt«, könnten ihre Kommentare auch so interpretiert werden, dass sie sich auch »gegen alle Wähler der Finnenpartei gerichtet habe«. Erämaa hätte bewusst sein müssen, dass ihr Text »Kritik und Kommentare hervorrufen könnte, wenn sie eine große Gruppe von Menschen als rechtsextrem und – nach einigen Interpretationen – sogar als Nazis bezeichnet«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (11. April 2025 um 08:56 Uhr)
    Mit seiner NATO-Mitgliedschaft hat Finnland seine Entwicklung zu einem echten Rechtsstaat vollendet. Nunmehr ist Recht was rechts ist. Widerstand ist zwecklos. Geschossen wird noch nicht. Kann alles noch kommen, wie die Geschichte beweist. Man braucht nur einmal etwa 90 Jahre zurückzuschauen.

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