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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ecuador

Richtungswahl in Ecuador

Linkes Bündnis tritt in zweitem Wahlgang gegen Präsident Noboa an – und hat Chancen auf den Wahlerfolg
Von Volker Hermsdorf
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Den Wahlsieg im Blick: Ein Anhänger der linken Kandidatin González bei einer Wahlkampfveranstaltung (Guayaquil, 10.4.2025)

Am Sonntag entscheidet sich, ob Ecuador den US-hörigen Kurs der vergangenen acht Jahre fortsetzt oder in das Lager der progressiven lateinamerikanischen Länder zurückkehrt. Der Ausgang der Stichwahl zwischen dem aktuellen Präsidenten und Kandidaten der Wirtschafts- und Finanzeliten, Daniel Noboa, und seiner von linken Gewerkschaftern, sozialen Bewegungen und indigenen Gemeinschaften unterstützten Herausforderin Luisa González wird nicht nur innenpolitische Auswirkungen haben, sondern auch das globale Kräfteverhältnis beeinflussen. Neben der regionalen Rechten setzen deshalb auch Washington, Tel Aviv und andere Machtzentren der westlichen Hemisphäre auf den Sieg des proisraelischen Antikommunisten und mischen im Wahlkampf kräftig mit.

Auf der Abschlusskundgebung seiner Kampagne gab sich der Spross aus der reichsten Familie des Landes am Donnerstag (Ortszeit) zuversichtlich. »Wir sind die Macht, wir sind diejenigen, die an der Spitze stehen, und wir werden das am Sonntag beweisen«, rief er den jubelnden Anhängern seiner Rechtspartei Acción Democrática Nacional zu. Als hätten seit 2017 nicht er und seine neoliberalen Vorgänger regiert, erklärte Noboa: »Korruption und schlechte Akteure haben den Fortschritt behindert«. Ohne konkret zu werden versprach er, Rechte von Beschäftigten zu respektieren, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, sowie »würdige und faire Arbeit« zu garantieren. Nach der »wichtigsten Wahl in der Geschichte Ecuadors« werde er »der Kriminalität und all den miserablen Politikern, die uns im Stich gelassen haben, ein Ende setzen«, fügte Noboa hinzu. Außerdem kündigte er eine Reform der unter dem linken Präsidenten Rafael Correa (2007–2017) verabschiedeten Verfassung an, weil diese dem Land »in den vergangenen Jahren nicht gut gedient hat«.

Die in einer Volksabstimmung im September 2008 mit über 60 Prozent der Stimmen angenommene Verfassung enthält unter anderem ein Verbot zur Errichtung ausländischer Militärbasen und Maßgaben zum Umweltschutz. Mit dem Versprechen, die Verfassung nicht anzutasten, hatte González von der linken Bewegung Revolución Ciudadana Ende März die Unterstützung der indigenen Pachakutik-Bewegung gewonnen. Da deren Kandidat Leonidas Iza, der zugleich Chef der Konföderation der indigenen Nationalitäten ist, im ersten Wahlgang 5,3 Prozent erhielt, könnte ihr das zum Sieg verhelfen. Sicher ist das jedoch nicht. Einige evangelikale indigene Gruppen signalisierten in den vergangenen Tagen Zustimmung für Noboa. Im Gegensatz zu diesem kündigte González eine für die indigene Bevölkerung wichtige Reform des Bildungssystems an. Sie werde das Budget der Hochschulen und die Zahl der Plätze im öffentlichen Bildungswesen erhöhen, erklärte sie zum Abschluss ihrer Wahlkampagne. »Diejenigen von uns, die eine öffentliche Universität besucht haben, wissen, wie wichtig das ist, um den Kreislauf der Armut zu durchbrechen, unsere Träume zu verwirklichen und weiterzukommen«, sagte sie.

Angesichts von Gerüchten über eine mögliche Wahlmanipulation der Rechten kritisierte González die Anwesenheit des Gründers der mittlerweile in Academi umbenannten US-amerikanischen Söldnerfirma Blackwater, Erik Prince, in Ecuador und rief ihre Anhänger auf, »wachsam« zu sein. Sie sei allerdings zuversichtlich, dass diese wüssten, »wie sie auf der Straße reagieren müssen«. Noboa hat eine umfassende Militarisierung des Landes vorangetrieben, die sich vor allem gegen die afroecuadorianische Bevölkerung in den Armenvierteln an der Küste richtet. Während seiner kurzen Amtszeit registrierte der Ausschuss für die Verteidigung der Menschenrechte nahezu 30 Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen durch die Sicherheitskräfte. Im Dezember 2024 löste der Fall von vier durch die Polizei entführten und hingerichteten Kindern im Alter von elf bis 15 Jahren landesweite Empörung aus.

Es gibt allerdings auch Zweifel innerhalb der Linken, ob ein sozialdemokratischer Kurs von González die notwendigen Veränderungen bringen wird: Sie sprach jüngst von einer angeblichen »Einigkeit« von Linken und Rechten. »Wir haben die Einheit erreicht, (…) auch Jan Tópic schließt sich uns an«. Zuvor hatte sie dem ehemaligen Söldner und rechten Politiker angeboten, das Innenministerium zu übernehmen, sollte sie die Wahl gewinnen. Tópic, der Noboa in den vergangenen Monaten scharf kritisiert hatte, komme zwar aus dem rechten Sektor, könne aber »wichtige Kenntnisse im Bereich der Sicherheit« einbringen.

Doch trotz derartiger Erklärungen wäre sie für die Regime in Washington, Tel Aviv oder Buenos Aires wohl nicht akzeptabel. González lehnt schließlich nicht nur US-Basen im Land ab, sondern hat auch angekündigt, die Beziehungen zu Mexiko, Venezuela und Nicaragua wiederherzustellen und will das Verhältnis zu Kuba verbessern. Zudem könnte sie Ecuador näher an China heranführen, mit dem vor kurzem ein Freihandelsabkommen in Kraft getreten ist und das während der Amtszeit von Rafael Correa wichtige Ölverträge im Gegenzug für Finanzierungen erhalten hatte. Mit einem Sieg von González würde – Trump zum Trotze – das progressive Lager um die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum, Brasiliens Staatschef Lula da Silva, dessen kolumbianischen Amtskollegen und temporären Vorsitzenden der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten, Gustavo Petro, dem Uruguayer Yamandú Orsi und Gabriel Boric in Chile gestärkt.

Hintergrund: Knapper Wahlausgang erwartet

Mehr als 13,7 Millionen Wahlberechtigte sind am Sonntag zur Stichwahl zwischen den Bewerbern mit der höchsten Stimmenzahl im ersten Wahlgang aufgerufen. Sowohl der amtierende Staats- und Regierungschef Daniel Noboa vom ultrarechten Movimiento Acción Democrática Nacional (ADN) als auch die Juristin Luisa González von der linken Bewegung Revolución Ciudadana (RC) haben jeweils einen Rückhalt in der Bevölkerung von rund 44 Prozent. In einem polarisierten Wahlkampf warben beide bis zum offiziellen Beginn der Wahlruhe in der Nacht zum Freitag um die Stimmen der rund zehn Prozent Unentschiedenen und der indigenen Bevölkerung.

Obwohl die letzten vor der Stichwahl veröffentlichten Umfragen vom 3. April González mit einem minimalen Vorsprung vor Noboa sahen, ist der Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens ungewiss. Die Unterschiede von 0,4 bis 0,6 Prozentpunkten lägen innerhalb der Fehlertoleranz, betonten die Institute Comunicaliza und Telcodata. Mit ersten Ergebnissen kann nach Angaben des Nationalen Wahlrats (CNE) am Sonntag gegen 18 Uhr (Ortszeit) gerechnet werden. Für 21 Uhr erwartet CNE-Präsidentin Diana Atamaint einen stabilen Trend der Hochrechnungen. Sollte die Differenz zwischen Noboa und González allerdings ähnlich gering sein, wie in der ersten Runde, würde der Wahlrat mit der Veröffentlichung von Ergebnissen warten, bis alle Stimmen ausgezählt sind, kündigte Atamaint an. Am 9. Februar betrug der Abstand zwischen beiden Kandidaten weniger als 17.000 Stimmen.

Oppositionspolitiker äußerten sich besorgt über eine unterstellte Nähe des CNE zur Regierung. Die Abgeordnete Elena Nájera – selbst Mitglied des Gremiums –, teilte den Verdacht aufgrund von Erfahrungen bei der vorherigen Wahl, bei der die Öffnung von Urnen erforderlich war, um die Echtheit der Stimmen zu überprüfen. Nájera forderte deshalb dazu auf, die Stichwahl genauestens zu beobachten.(vh)

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