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Aus: Ausgabe vom 16.04.2025, Seite 2 / Inland
Sachsen-Anhalt

»Die CDU versteht die Tragweite nicht«

Sachsen-Anhalt: AfD und CDU verpflichten Schulen, Deutschland-Flagge zu hissen. Ein Gespräch mit Hendrik Lange
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Im Landkreis Jerichower Land sollen Schulen die Deutschland-Flagge ganzjährig hissen (Burg, 6.4.2025)

Im Landkreis Jerichower Land müssen Schulen neuerdings ganzjährig die Deutschland-Fahne hissen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ursprung der Entscheidung ist ein entsprechender Antrag der AfD-Fraktion. Dieser kann vollständig im Ratsinformationssystem des Landkreises eingesehen werden. Die rechtliche Grundlage ist ein Beschluss des Landtages aus dem Jahr 2020, welcher die »zeitweise Beflaggung der Dienstgebäude inklusive Schulen an Feier- und Trauertagen mit der Europaflagge, der Bundesflagge und der Landesflagge« festlegt, sofern die »technischen Voraussetzungen« bestehen. Die permanente Beflaggung der Schulen »über Feier- bzw. Trauertage hinaus ist möglich und obliegt den Schulträgern«, heißt es dort weiter.

Die verbindlichen Feier- und Gedenktage sind ebenfalls festgelegt, so unter anderem der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni oder auch der Gedenktag der deutschen Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus am 20. Juli.

Was bezweckt die Partei damit?

Die AfD verfolgt eine erinnerungskulturelle Wende. Die ganzjährige Beflaggung würde die besondere Bedeutung der Gedenktage, an denen die Fahne gehisst wird, konterkarieren und ein Element der Erinnerungskultur verwässern. Das wäre ganz im Sinne der antragstellenden Fraktion.

Nicht nur die AfD-Leute hoben für den Antrag ihre Hand. Der Vorstoß wurde auch mit Stimmen der CDU-Vertreter angenommen. Wie erklären Sie sich das?

Offenbar haben die Mitglieder der CDU-Fraktion im Kreistag des Jerichower Landes noch immer nicht begriffen, welche Ziele die AfD in Sachsen-Anhalt verfolgt. Spätestens beim Begründungstext zum Antrag, in dem von einem »Pflaster auf der Volksseele« gesprochen wird, hätte auch der letzte Demokrat hellhörig werden müssen. Die AfD strebt einen völkischen Nationalismus an, der in klarem Widerspruch zu unserer liberalen Demokratie steht.

Darüber hinaus muss klar sein, welche Bedeutung das Hissen der Nationalflagge für eine gesichert rechtsextreme Partei, wie es die AfD in Sachsen-Anhalt ist, hat. Ihr geht es um die Betonung von »Überlegenheit« und die gezielte Förderung von politischen und gesellschaftlichen Haltungen, die andere Menschen und Minderheiten ausgrenzen und diskriminieren. Es geht dabei um den Missbrauch von Symbolen. Ein von der AfD geförderter Nationalstolz ist gleichzusetzen mit Intoleranz und Exklusivität.

Sie bezeichneten die Zustimmung der CDU nach dem Beschluss als »mehr als naiv und brandgefährlich«. Ist nicht eher zu vermuten, dass die CDU-Fraktion genau weiß, was sie tut?

Wir gehen davon aus, dass die CDU-Fraktion die Tragweite und die unterschiedlichen Dimensionen dieses Beschlusses nicht reflektiert hat. Von der ausgesprochen konservativen CDU-Fraktion, wie es sie in vielen ländlichen Regionen in Ostdeutschland gibt, wird die Gefahr der AfD bis heute nicht erkannt. Die Partei wird dadurch normalisiert und gestärkt.

Wie sind die derzeitigen Kräfteverhältnisse im Kreistag?

Es gibt drei große Fraktionen: die der CDU, einschließlich eines Grünen-Vertreters, die AfD und die Fraktion »Wir für das Jerichower Land«, bestehend aus SPD und FDP. Daneben gibt es mehrere freie Wählervereinigungen und die Fraktion Die Linke.

Wie stellt sich Die Linke mit ihren drei Abgeordneten der Kooperation von AfD und CDU entgegen?

Unsere Fraktion hat entschieden, sich auf sachliche Ratsarbeit zu fokussieren. Politische Inszenierungen und populistische Scheindebatten, wie sie sowohl die AfD als auch die CDU betreiben und den Kreistag damit als politische Bühne missbrauchen, entsprechen nicht der Strategie unserer Fraktion. Aber selbstverständlich bringt unsere Fraktion auch eigene Anträge oder Änderungsanträge ein. Unser Ziel ist, den Landkreis lebens- und liebenswerter zu machen, Solidarität und Wertschätzung zu fördern und demokratische Mitbestimmung für alle zu ermöglichen. So beantragten wir etwa erfolgreich mehr Personal für die Betreuung und Begleitung von Asylsuchenden im Raum Genthin.

Hendrik Lange ist Ko­vorsitzender der Partei Die Linke in Sachsen-Anhalt

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