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Aus: Ausgabe vom 16.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Droge des Tages: Arbeit

Von Arnold Schölzel
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Ausgebrannt im Job und nur noch Stroh im Kopf

Die Hauptverwaltung für Menschendesign gibt bekannt: Es gibt so etwas wie »Gesellschaft« nicht. Wer das Wort benutzt, ist Stalinist, also blutrünstig, redet in der Regel auch von »Klassen«. Ergo gibt es keine gesellschaftlichen Probleme. Ausbeutung, Armut, Verelendung oder gar Maximalprofit und Oligarchie sind marxistische Erfindungen, wie Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium jeden Tag in dieser Zeitung bestätigt finden – alles Fake News. Was es gibt, sind Individuen. Die arbeiten von Natur aus ununterbrochen an ihrer Selbstoptimierung – vom Fitnessstudio des Bundestages bis zur freiwilligen betriebsgesponserten Körperfett- und Muskelmassedurchleuchtung. Jeder sein eigener Klon und fit wie Carsten Linnemann. Arbeitslosigkeit? Soll es früher mal gegeben haben, zum Beispiel im Osten in den 90ern – war aber auch damals wie im 19. Jahrhundert eine Frage von selbst schuld.

Wer es mit dem Optimieren übertreibt, ist das erst recht. Mit diesen oder jenen Eigentums- und Machtverhältnissen, hat das nichts zu tun, weil es die – siehe oben – auch nicht gibt. Die Übertreiber sind krank, weil süchtig, aber »stoffungebunden«. Für die gibt es, berichtet das Handelsblatt am Dienstag, die »Anonymen Arbeitssüchtigen« nach dem Vorbild »Workaholic Anonymous« und der »Anonymen Alkoholiker« aus den USA. Deren Zwölf-Schritte-Programm verwenden auch die Deutschen. Es geht »davon aus, dass Sucht durch einen Mangel an Spiritualität verursacht wird«. Was auch immer das heißt – feste Kriterien gibt es nicht, sagt die Techniker Krankenkasse – und gepriesen sei Spiritualität, wenn sie hilft. Denn zehn Prozent aller Beschäftigten leiden hierzulande an der Sucht, oft schmerzvoll, und hinzu kommen noch die mit der Arbeitsvermeidungssucht. Wo es keine Gesellschaft gibt, gibt es ausschließlich Kranke.

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