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Aus: Ausgabe vom 16.04.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Brandanschlag Solingen 2024

Ermittlungen abgelehnt

Brandanschlag von Solingen 2024: Polizei soll Hinweise vertuscht haben. Rassistisches Schmähgedicht »übersehen«. Staatsanwalt sieht keinen Anfangsverdacht
Von Max Grigutsch
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Ein Jahr nach dem mutmaßlich rassistisch motivierten Brandanschlag in Solingen fordern Trauernde Gerechtigkeit (25.3.2025)

Hitlerbilder, Nazibücher, Schmähgedichte gegen Migranten: Im Prozess um den Brandanschlag in Solingen im Jahr 2024 soll nicht gegen die Polizei ermittelt werden, obwohl Recherchen der Nebenklage nahelegen, dass einschlägiges Beweismaterial zum Tatmotiv des Angeklagten zurückgehalten wurde. Das teilte die Staatsanwaltschaft Wuppertal am Donnerstag vergangener Woche mit. Eine Strafanzeige der Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız gegen Beamte des Polizeipräsidiums Wuppertal wurde abgelehnt. »Ich habe keine Erklärung dafür«, sagte Başay-Yıldız am Montag gegenüber junge Welt. Die Anwältin erwägt, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den verantwortlichen Staatsanwalt oder Beschwerde gegen die Entscheidung an sich einzureichen.

In der Nacht zum 25. März 2024 setzte der inzwischen geständige Daniel S. ein Mehrfamilienhaus in Solingen-Höhscheid in Brand. Eine vierköpfige bulgarisch-türkische Familie mit zwei Kleinkindern wurde getötet, 21 Menschen wurden verletzt. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen damals keine Hinweise auf ein »fremdenfeindliches Motiv« gesehen haben. Die Nebenklage konnte inzwischen beweisen, dass schon Anfang April 2024, seit einer Durchsuchung im Haus des Angeklagten, entsprechendes Material vorlag, darunter eine Kopie von Hitlers Schrift »Mein Kampf« sowie weitere Nazibücher, eine Schallplatte mit Hitlerreden und ein rassistisches Schmähgedicht. Zuvor waren bereits 166 Nazikarikaturen und rassistische Bilder auf einer Festplatte gefunden worden. Die Materialien wurden nicht in die Ermittlungsakte aufgenommen, ein Großteil ist erst ein knappes Jahr später auf Initiative der Nebenklage in den Prozess eingeführt worden. Başay-Yıldız warf den Ermittlungsbehörden gegenüber dem WDR Anfang April Vertuschung vor.

»Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten« der Polizisten lägen nicht vor, heißt es hingegen in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Demnach seien die Bücher in einer leerstehenden Wohnung zwar desselben Hauses, aber nicht in der Wohnung von S. gefunden worden. Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert bestätigte auf Anfrage von jW am Montag allerdings, dass das Haus dem Vater des Angeklagten gehöre. Bildmaterial von der besagten Wohnung sei zudem in die Akte eingegangen, so Başay-Yıldız, nur die Fotos von den Nazibüchern seien vorenthalten worden. Laut Staatsanwaltschaft ist ein »etwaiges Tatmotiv der Beamtinnen und Beamten« dennoch »nicht ersichtlich«. Das an einer Garagenwand aufgeklebte rassistische Gedicht sei von der Polizei nicht erkannt worden. Als Grund für das Übersehen führt die Staatsanwaltschaft die »intensive Suche nach Brandbeschleunigern« an.

Die Festplatte mit den rassistischen Bildern soll der Freundin des Angeklagten gehören. Diese habe vor Gericht eine entsprechende Aussage gemacht, wie Başay-Yıldız gegenüber jW berichtete. Wie die Bilddateien auf den Datenträger gekommen waren, will der Zeugin nicht bekannt sein. Laut der Nebenklagevertreterin seien allerdings Kontoauszüge des Angeklagten auf der Festplatte gefunden worden. Ohnehin sei es »ungeheuerlich, dass die Polizei von sich aus beschließe, Beweismaterial nicht zur Akte zu geben«, so Başay-Yıldız. »Das ist nicht Aufgabe der Polizei«, betonte die Anwältin. Ihr sei unklar, nach welchen Kriterien entschieden wurde, ob Material relevant sei oder nicht.

Unterstützung für die Strafanzeige gegen die Polizei erhielt die Nebenklage in einem offenen Brief vom 6. April, initiiert vom zivilgesellschaftlichen Bündnis »Wuppertal stellt sich quer!«. Die Unterzeichner fordern die »Abberufung der Oberstaatsanwaltschaft sowie den Rücktritt des Polizeipräsidenten« und eine »lückenlose Aufklärung der rechtsextremen Gesinnung und Motive des Täters sowie seiner Partnerin und seines Umkreises«. Eine »Aufklärung der Tatmotive und eine vollumfängliche Untersuchung des rechtsextremen Beweismaterials« verlangte am Montag auch das Bündnis »Solingen ist bunt statt braun« auf Anfrage von jW. Keine Antworten gegenüber dieser Zeitung geben wollte Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD), der am Montag wie auch schon vergangene Woche auf die laufende Verhandlung verweisen ließ.

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