Vom Handy auf die Straße
Von Marc Bebenroth
Manche von ihnen wirken, als ob sie die abgelegten Bomberjacken ihrer Alten auftragen. Auch der Redaktion des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) kommt der Anblick des faschistischen Nachwuchses in der BRD vertraut vor. Das Editorial zur ersten Ausgabe dieses Jahres deutet bereits an, was die anschließenden Beiträge zum Titelthema ausführen: War es damals die »Dominanz von Rechten in ihrem Dorf, in ihrem Wohnbezirk«, dürften heute digitale Kommunikationsmittel wie soziale Netzwerke (Tik Tok, Instagram) oder Messengerkanäle (Telegram, Whats-App) eine entscheidende Rolle spielen.
Anhand der Berichte aus Sachsen, Berlin und dem Rheinland ergibt sich ein Muster: Freundeskreise und Jugendgruppen gründen unabhängig von etablierten rechten Strukturen eigene Kanäle oder Chatgruppen, wo sie weitere Mitglieder sammeln. In diesen Echokammern frönen die Minderjährigen ungestört ihrer faschistischen Ideologie bzw. einer faschistischen Ästhetik. Sie radikalisieren sich zu gewaltbereiten Cliquen mit Hass oder gar Mordlust gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten. Sie machen auf Straßen und Plätzen erste Erfahrungen und lernen mitunter, dass sie kaum Repression zu fürchten haben. Schließlich nehmen sie an AfD-nahen bzw. offen faschistischen »Events« teil. Das Mobilisierungspotential scheint verhältnismäßig groß, aber das Personal wechsele schnell. Wo ein harter Kern heranwachse, bleibe dieser relativ klein.
Die einzelnen Artikel betrachten Gruppen wie »Deutsche Jugend Voran«, »Neue Deutsche Jugend« oder lokale »Revolte«-Zusammenschlüsse sowie »Der Deutsche Störtrupp«, »Jung und Stark«, die »Nationalrevolutionäre Jugend« oder die »Rheinlandbande«. Ein Vorbild für viele sei die »Elblandrevolte« aus Dresden. Die Aufmärsche junger Neonazis seien in der Regel eine Reaktion auf zuvor angemeldete Aktionen »progressiver Strömungen«. Ihr »unwidersprochenes Agieren« führe gepaart mit anscheinend »vorherrschender Ignoranz durch die Stadtverwaltung, Jugendarbeit« und Repressionsbehörden zu einer »toxischen Dynamik«, befürchtet die »Antifaschistische Recherche Chemnitz« mit Blick auf die Gruppe »Chemnitz Revolte«.
Neben Angriffen auf Wahlkampfhelfer von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD oder der Linkspartei fielen jene Jungfaschisten in den zurückliegenden Jahren vor allem durch Attacken auf Angehörige der LGBTQ-Minderheit auf. Gruppen wie »Deutsche Jugend Voran« oder »Jung und Stark« setzen ihren Schwerpunkt auf »Queerfeindlichkeit«, konstatiert die Gruppe »AZE – Andere Zustände ermöglichen«. Bürgerliche CSD-Veranstalter und die Polizei standen den Aufmärschen gewaltbereiter Neonazis demnach »teilweise unvorbereitet gegenüber«.
Lesenswert ist auch der anonyme Beitrag zum alten und neuen Faschismus in Island. So habe die nordeuropäische Inselrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr mit Neonazis zu tun gehabt – bis am 5. September 2019 eine Gruppe auf einem großen Platz der Hauptstadt Reykjavík Flugblätter verteilte und Fahnen des faschistischen, pannordischen Netzwerks »Nordic Resistance Movement« schwenkte. Es folgten antifaschistische Demonstrationen, aber die rassistische Propaganda, die auch von Mainstreampolitikern verbreitet werde, häufe sich. Die Wurzeln des Faschismus hätten in verschiedenen Formen überlebt, wozu die einflussreiche Unabhängigkeitspartei (Sjálfstæðisflokkurinn) zähle, deren Ursprung in einer 1933 gegründeten und von den Hitlerfaschisten inspirierten Bewegung liege.
Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 146: The Kids are all right? Abseits etablierter Strukturen formiert sich eine neue Generation gewaltbereiter Neonazis. 60 Seiten, 3,50 Euro. Bezug: antifainfoblatt.de
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