Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 22.03.2025, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Antifaschismus

»Es geht hier um eine Strategie des deutschen Staates«

Über Antifaschismus in Spanien und in der Bundesrepublik, sogenannte Antideutsche und die Förderung von Faschisten durch den Staat. Ein Gespräch mit Miquel Ramos
Interview: Carmela Negrete
12. Februar 2021 in Barcelona: Antifaschistische Demonstration

Warum behandelt Ihr Buch die antifaschistische Bewegung in Spanien erst ab den 1980er Jahren?

Über den Antifaschismus nach der Transición, der Periode nach Francos Tod 1975, gibt es fast keine Literatur. In Spanien sind einige Bände erschienen, in denen individuelle Geschichten erzählt werden, aber kein Buch, das sich explizit diesem Thema widmet. Dabei ist das eine historisch wichtige Periode. Man ging davon aus, dass wir in einer Demokratie lebten und der Faschismus mit Franco gestorben und begraben war. Doch die Transición zeigte, dass dem nicht so war. Die extreme Rechte war weiterhin sehr aktiv, gewalttätig, und sie handelte weitgehend ungestraft. Ich wurde 1979 geboren, also war ich in den 80er Jahren noch ein Kind. Durch meine Familie begann ich mich für Politik zu interessieren. In den 90er Jahren nahm ich als Jugendlicher das Geschehen bewusster wahr und hatte mit der extremen Rechten zu tun, die aus dem damaligen Umfeld hervorging, aber den Franquismus nicht mehr erlebt hatte. Die Rechten in meinem Alter, die uns angriffen, waren dessen ideologische Erben, ließen sich aber auch von Bewegungen aus anderen Ländern inspirieren – aus Deutschland, England oder den USA.

Im Buch geht es auch um Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Spanien flüchteten und dort aktiv Nazipropaganda betrieben. Wie wichtig waren sie?

Spanien war ein Zufluchtsort, weil der Franquismus sie aufnahm. Selbst nach Einführung der Demokratie wurden einige dieser Personen nicht ausgeliefert, obwohl es entsprechende Anträge gab – wie in einem Fall, in dem die Regierung des Sozialisten Felipe González die Auslieferung verweigerte. Es herrschte eine gewisse Straffreiheit, auch weil die Verherrlichung von Rassismus, Völkermord oder generell Hassverbrechen nicht unter Strafe standen. Die extreme Rechte war zudem kein homogener Block, sondern bestand aus verschiedenen Strömungen. Sie hatten zwar Schnittmengen, unterschieden sich aber auch: Es gab die klassischen Faschisten, die Neonazis, die Skinheads oder auch intellektuelle Gruppen wie CEDADE (Círculo Español de Amigos de Europa). CEDADE war zum Beispiel besonders einflussreich. Die Organisation wurde in den 1960er Jahren in Spanien gegründet und bestand bis etwa 1995. Sie war einer der weltweit größten Produzenten von NS- und holocaustleugnender Literatur, die von Barcelona aus in alle Welt verschickt wurde. Alle dieser Gruppen trugen auf ihre Weise zu einem vielschichtigen, globalen rechten Netzwerk bei. Der Rechtsextremismus ist vielgestaltig, aber man kann bestimmte Akteure und Mechanismen identifizieren, die diese Ideologien verbreiten.

Der Schweizer Politikwissenschaftler Daniele Ganser hat ein Buch über die NATO-Geheimtruppe »Gladio« geschrieben. Er suggeriert, dass eventuell Spanien das Zentrum des Netzwerks war. In Ihrem Buch findet sich auch ein »Gladio«-Kapitel. Was schildern Sie dort?

Es gab Mitglieder des »Gladio«-Netzwerks, die keine Spanier waren – vor allem Italiener, Franzosen und wohl auch einige Belgier. Sie alle waren während der Transición an subversiven Aktivitäten in Spanien beteiligt. Auch im Zusammenhang mit dem Krieg des spanischen Staates gegen die baskische ETA und gegen die radikale Linke in den 1980er Jahren gab es Personen, die aus dem »Gladio«-Netzwerk kamen und in Spanien Zuflucht gefunden hatten. Schon während des Franquismus und auch in den ersten Jahren der Demokratie wurden solche Akteure geduldet. Tatsächlich nutzten staatliche Stellen in der Demokratie Söldner aus dem »Gladio«-Netzwerk – oder besser: Söldner verschiedenster Herkunft –, um Operationen durchzuführen. Zum Beispiel waren an den paramilitärischen GAL, den Grupos Antiterroristas de Liberación, die in den 80er Jahren mindestens 27 Menschen ermordeten, Söldner beteiligt. Ich würde jedoch nicht behaupten, dass Spanien das »Gladio«-Zentrum war. Dafür habe ich keine Belege. Richtig ist, dass Spanien in den 1980er Jahren, als die Demokratie noch sehr jung war, und in den 1970er Jahren unter dem Franquismus ein sicherer Ort für solche Leute war. Spanien bot eine gewisse Sicherheit, die es in anderen Ländern nicht gab, aber ich würde nicht sagen, dass es der Kern war.

Warum haben Sie in Ihr Buch ein Kapitel über die Angriffe auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende 1992 im deutschen Rostock-Lichtenhagen aufgenommen?

Damals war ich zwölf Jahre alt – also noch kein richtiger Teenager – und war sehr beeindruckt. Die Naziangriffe in Rostock auf die Flüchtlingsunterkünfte, die ich live im Fernsehen sah, haben mich sehr bewegt. Es gab sogar eine Folge des spanischen Nachrichtenmagazins Informe Semanal, die darüber berichtete. Nach der Grenzöffnung der DDR und deren Ende gab es viele solcher Vorfälle, insbesondere in Deutschland. Das hat mich geprägt, und ich erinnere mich noch genau an alles, was damals in Rostock geschah. Deshalb habe ich dieses Ereignis in mein Buch aufgenommen. Ich hatte Jahre später das Fernsehmaterial wieder hervorgeholt – ich hatte es auf VHS aufgenommen – und nutzte es für meine Recherchen.

Ab Sommer 2015 häuften sich solche Angriffe auf Unterkünfte in Deutschland. Gab es in Spanien ähnliche Vorfälle?

Neben den rassistisch motivierten Hassverbrechen – einige davon erwähne ich auch in meinem Buch – gab es Fälle wie den von Lucrecia, einer ausländischen Frau. Sie wurde 1992 in Madrid ermordet, die Tat erschütterte die spanische Öffentlichkeit. Der Fall machte deutlich, dass es ein Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus gab, genauer: mit den Gewalttaten der extremen Rechten. Außerdem gab es zwei konkrete Ereignisse, die ich im Buch anspreche: einen in El Ejido, in Almería, im Jahr 1999, und einen weiteren in Terrassa, in Barcelona, ich glaube im Jahr 2000. Diese Angriffe richteten sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen Migranten, die dort arbeiteten und Opfer rassistischer Hetzjagden wurden. Das erinnerte mich sehr an Rostock. In El Ejido zum Beispiel wurden ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen niedergebrannt – es war ein regelrechtes Pogrom. Solche Ausbrüche gab es eindeutig nach Rostock in Spanien. Unter dem Einfluss des in den letzten Jahren stärker werdenden Rechtsextremismus wurde sogar versucht, diese Geschichte zu wiederholen. Es gab Falschmeldungen oder Einzelfälle von Straftaten, die von Migranten begangen wurden, und sofort wurde versucht, die gesamte migrantische Gemeinschaft zu kriminalisieren. Man wollte das Bild erzeugen, dass diese Menschen eine Bedrohung darstellen und dass sie mit allen Mitteln, einschließlich Gewalt, vertrieben werden müssen. Ein Beispiel dafür war im vergangenen Sommer das Geschehen nach einem Mordfall in einem Dorf namens Mocejón bei Toledo. Sofort nach der Tat verbreitete der rechte EU-Abgeordnete Alvise Pérez in Netzwerken den »Scherz«, der Täter sei ein muslimischer Migrant. Es gab eine Hasswelle – ähnlich wie in England und Nordirland kurz zuvor – und in Mocejón versuchte man, die Migranten zu verstecken, um sie zu schützen. Zum Glück passierte nichts, aber das wiederholt sich ständig.

Sind Verbote gegen Rechtsextreme sinnvoll?

Wer sich ausschließlich auf die Legalität oder auf die Werkzeuge des Staates verlässt, hat das Problem, dass die nach Belieben eingesetzt werden können. In dem Kapitel, in dem ich über Hassverbrechen schreibe, sieht man, wie das Gesetz dagegen ständig gegen die Linke und den Antifaschismus eingesetzt wird. Antifaschisten werden der Hassverbrechen beschuldigt. Sich nur auf legale Mittel zu verlassen, um ein Phänomen wie die extreme Rechte zu bekämpfen, ist ein Fehler. Ich sage nicht, dass in bestimmten Momenten Verbote nicht nützlich sein können, aber dem Staat strafrechtliche Instrumente an die Hand zu geben, selbst wenn man glaubt, es sei für eine gute Sache, kehrt sich oft gegen einen selbst. Ich habe keine Wunderlösung, ich weiß nicht, ob es besser ist, zu verbieten oder nicht.

Was denken spanische Antifaschisten über die sogenannten Antideutschen, die Israels Politik verteidigen?

Es gibt eine enorme Kluft zwischen dem globalen Antifaschismus und diesem kleinen Kreis in Deutschland, der sich selbst als antifaschistisch bezeichnet und Israel verteidigt. Das gibt es nur in Deutschland. Ich bin viel gereist und habe in keinem anderen Land irgendeine Sympathie für Israels Politik oder den Zionismus in der Art gefunden, wie es in Deutschland der Fall ist. Ich muss aber sagen: Ich war oft in Deutschland und kenne niemanden persönlich, der diese Haltung teilt. Alle Antifaschisten, die ich dort kenne, verteidigen diese Position nicht. Diese Haltung stößt auf großes Unverständnis und Ablehnung, weil viele nicht nachvollziehen können, wie man von einer antifaschistischen Position aus ein koloniales Projekt und nun sogar einen Genozid verteidigen kann. Ich denke, es geht hier um eine Strategie des deutschen Staates. Er hat es geschafft, die bedingungslose Unterstützung für Israel auf Teile der radikalen Linken auszuweiten – gerade aufgrund der historischen Last, die auf dem deutschen Volk liegt. Das ist eine sehr hinterhältige Nutzung einer historischen Tatsache, die keinesfalls zur Rechtfertigung eines neuen Genozids oder eines Apartheidsystems dienen darf, wie es Israel heute praktiziert.

In Deutschland hat sich die antifaschistische Bewegung zwischen Unterstützern der Ukraine und Kritikern der Waffenlieferungen an Kiew gespalten. Auch in Spanien?

Ja, es gibt durchaus unterschiedliche Meinungen innerhalb der antifaschistischen Bewegung. Aber ich würde sagen, dass der Antifaschismus, den ich kannte, sich bereits verändert hatte, bevor es 2022 zur Ukraine-Invasion kam. Das geschah bereits mit dem Aufstieg der rechten Vox-Partei. Früher bestand der Feind der Antifaschisten aus kleineren, gewaltbereiten rechtsextremen Gruppen oder aus bestimmten staatlichen Maßnahmen. Als der Ukraine-Krieg begann, gab es weiterhin antifaschistische Bewegungen, aber die Debatte über diesen Krieg spaltete. Die Kriegspropaganda beider Seiten verursachte viele Konflikte innerhalb der linken Szene. Ich würde sagen, diese Spaltung betrifft nicht nur den Antifaschismus, sondern die gesamte radikale Linke. Es gibt viele unterschiedliche Meinungen dazu, wie geopolitische Phänomene interpretiert werden sollten. Das hat zu zahlreichen Auseinandersetzungen geführt – einige davon sind überwindbar, andere weniger. Es geht nicht nur um die Haltung zu Russland oder zur Ukraine, sondern um viele unterschiedliche Interpretationen der aktuellen politischen Lage.

Was hat sich in der antifaschistischen Bewegung Spaniens in diesen Jahren geändert?

In Spanien hatte die extreme Rechte bis zum Aufkommen der 2013 gegründeten Partei Vox keine institutionelle Vertretung. Es gab neonazistische Gruppen wie Hogar Social in Madrid, gegen die Antifaschisten auf die Straßen gingen. Mit dem Vox-Erfolg finden viele dieser extrem rechten Gruppen, die zuvor marginal waren, einen Raum, in dem sie gedeihen können. Sie können nun das, was sie predigten, mit demokratisch legitimiertem Rückhalt umsetzen. Daher muss sich der Antifaschismus neu erfinden. Was in den 90er Jahren gegen Neonazigruppen funktionierte, funktioniert nicht gegen eine Partei, die in einigen Regionen regiert. Antifaschismus heute ist sehr vielfältig und hat neue Formen, etwa durch soziale Netzwerke. Die reaktionäre Offensive ist brutal, erreicht alle Ebenen und hat viel Geld zur Verfügung. Darüber hinaus haben die anderen Parteien Teile der Vox-Argumentation zur Einwanderung und sozialer Kontrolle übernommen. Linke und antifaschistische Gruppen werden weiterhin kriminalisiert.

In Ihrem Buch heißt es, dass mehrere Neonazigruppen deaktiviert wurden. Hat der Staat sich gegen sie gewandt?

Er hat sich in dem Moment um faschistische Gruppen gekümmert, als sie zu einem Problem der öffentlichen Ordnung wurden. Ihre Existenz wurde so lange ignoriert und toleriert, bis sie Gewalttaten verübten und Medien aufmerksam wurden. Die Vielzahl von Morden und anderen Hassverbrechen der Rechten in den 90er Jahren wurden als städtische Probleme bezeichnet, politische Motive verharmlost. Damals wurden einige Organisationen wie »Blood and Honour« verboten, aber die Strafen waren minimal und es gab kein entschlossenes Vorgehen wie gegen linke Gruppen. Neonazis genossen immer viel Straffreiheit.

Wenn die extreme Rechte heute in Arbeiterbezirke geht, versucht sie, die Arbeiterklasse zu spalten, und deshalb ist eines der besten Mittel gegen sie, dort Gemeinschaft zu schaffen und Klassensolidarität durch politische oder nachbarschaftliche Vereine zu fördern, wie etwa Wohnungsgenossenschaften oder Vereine für populäre Kultur. Das sind die Bastionen des Widerstands gegen den Hass. Es gibt einen Antifaschismus, der in diese Richtung arbeitet. Es geht darum, den gesunden Menschenverstand zu mobilisieren, weil die extreme Rechte immer auf die Verwundbarsten zielt und nicht auf die kapitalistischen Ursprünge der Probleme.

Die Situation der radikalen Linken ist sowohl in Spanien als auch in Deutschland schwierig. Wo sehen Sie mehr Möglichkeiten, diese Bewegung wieder aufzubauen?

Ich kenne die deutsche Gesellschaft und Politik nicht gut genug, um eine fundierte Analyse abzugeben. Es gibt global ähnliche Probleme – zum Beispiel eine generelle politische Entfremdung innerhalb der Linken. In Spanien hatten viele nach den Protesten von 2011/2012, den »Indignados« der 15M-Bewegung, große Hoffnungen. Aber die Proteste mündeten in Parteien wie Podemos, die versuchten, den Widerstandsgeist aufzugreifen. Diese Parteien haben jedoch Themen und Perspektiven gewählt, die nicht immer zur Linken gehörten. Das hat zwar verhindert, dass die extreme Rechte damals von der Krise profitierte, aber es gab auch viele Enttäuschungen. Wir befinden uns in einem Zyklus der Neuzusammensetzung. Viele politische Experimente haben enttäuscht, und das hat zum Verlust von Wählern und Macht geführt. Momentan sehen wir eine Neuorientierung, besonders auf der Basis von sozialen Bewegungen, wie der für menschenwürdiges Wohnen und gegen hohe Mieten. In Spanien ist zum Beispiel die Bewegung für das Recht auf Wohnen sehr stark. Diese neue, junge Generation übernimmt jetzt diese Kämpfe. Es wird einige Jahre dauern, bis sich daraus etwas Konkretes entwickelt, aber ich habe durchaus Hoffnung. Es gibt eine neue Jugend, die auf eine andere Weise kämpft. Auch wenn es ein schwieriger Prozess ist, glaube ich, dass diese Basisarbeit wesentlich für einen politischen Wiederaufbau ist.

Interview: Carmela Negrete

Miquel Ramos ist spanischer Journalist und Musiker (geb. 1979). Er veröffentlichte 2022 das Buch »Antifascistas: Wie die spanische extreme Rechte seit den 1990er-Jahren bekämpft wird«. Im Januar erschien es auf deutsch (Bahoe Books, Wien 2025, 528 Seiten, 26 Euro). Buchvorstellungen mit dem Autor: 27. März in Braunschweig, 28. März in Berlin, 29. März in Jena

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