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Aus: Ausgabe vom 23.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Warten auf das Chaos

Kriegsfilme dokumentieren Betäubung: »Warfare« von Alex Garland und Ray Mendoza
Von Holger Römers
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In der Gefechtspause: Die Leere der Subjektivität

Zu Beginn des Spielfilms »Warfare« beteuert eine Texttafel, dass die folgende Darstellung eines Gefechts aus dem Irak-Krieg den Erinnerungen aller beteiligten US-amerikanischen Soldaten entspreche. Wie die Einblendung eines Amateurfotos beglaubigt, ist jedenfalls der Handlungsort dem Vorkriegszustand jenes zweistöckigen Hauses nachempfunden, auf dessen schmalem Gelände sich die Kampfhandlungen zutrugen. Dass der Abspann (fast) allen Filmfiguren ein Foto ihres realen Vorbilds gegenüberstellt und Videobilder einstreut, die im Londoner Filmstudio die Begrüßung eines (Ex-)Soldaten durch die Filmcrew zeigen, unterstreicht endgültig diesen quasi-dokumentarischen Anspruch.

Diesen Anspruch verbürgt auch die Person Ray Mendoza: Wie uns die PR zu »Warfare« wissen lässt, war der Regiedebütant, der seinen Ko­regisseur Alex Garland offenbar als Berater für Militärangelegenheiten bei dessen letztem Spielfilm »Civil War« kennenlernte und mit ihm nun auch fürs Drehbuch gemeinsam verantwortlich zeichnet, an dem fraglichen Gefecht beteiligt. Um so mehr überrascht freilich, wie beschränkt sich diese Subjektivität im Film niederschlägt. Ein eigentümlicher Reiz liegt in der beharrlichen Weigerung, das Blickfeld zu weiten und irgend etwas anderes als die im engsten Sinne zur titelgebenden Kriegführung gehörenden Aspekte zu notieren.

Die anfängliche Texteinblendung verortet die Handlung in Ramadi am 19.11.2006 und motiviert das nächtliche Eindringen von knapp einem Dutzend Navy Seals in besagtes Haus mit der Absicherung einer umfassenderen Militäroperation. Über die erfährt man jedoch nie Näheres, obwohl entsprechende Vorkenntnisse nicht einmal beim US-Publikum vorauszusetzen sind, da die abgebildete Episode aus dem achtmonatigen Kampf um jene irakische Stadt keine besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt. (Etwaige Vergleiche mit »Black Hawk Down« führen also in die Irre.)

Sobald die Soldaten die unschuldigen Hausbewohner in ein Zimmer gepfercht haben, beginnen sie mit der heimlichen Beobachtung der Umgebung. Über die können auch die Zuschauer nie mehr wissen, als wiederholte Blicke durchs Zielfernrohr des Scharfschützen Elliot (Cosmo Jarvis) oder Aufnahmen eines Aufklärungssatelliten hergeben, die über einen ebenso regelmäßig eingeblendeten Laptopbildschirm flimmern. Gesprochen wird praktisch nur über Militärisches, wobei der Funker Ray (D’Pharaoh Woon-A-Tai), in dem wohl Mendoza zu erkennen ist, spärliche Informationen in stenografischem Jargon austauscht.

Individuelle Persönlichkeiten, so darf man schließen, haben beim Thema Kriegführung nichts zu suchen. Diese Selbstbeschränkung der Dramaturgie wirkt allerdings um so verblüffender, da Individualisierung – beziehungsweise deren Addition zur nationalen Diversität – in Hollywoods Kriegsfilmen oft als Bindemittel des Ideologischen dient. Insofern ist es konsequent, dass der einzige Moment, in dem die Soldaten »privat« zu sehen sind, eine vieldeutig-bedeutungslose Chiffre bleibt: Als wortloses Kollektiv sieht man sie in der Anfangsszene ein Musikvideo bejubeln, das poppige Housebeats um ausgesucht vulgäre Bilder ergänzt.

Individuelle Subjektivität erscheint indes vor allem in der Form der Betäubung. Nachdem untätiges Warten allmählich in das Chaos von sprudelndem Blut und Schmerzensschreien übergegangen ist, suggeriert die Tonspur mehrfach die Folgen naher Detonationen: als dumpfer Schleier, der sich über Außengeräusche legt, oder als metallische Verzerrung, die Funksprüche unerträglich klirren lässt. Dass sich die Zeit dann subjektiv zu dehnen scheint, widerspricht eigentlich der PR-Beteuerung, die Dauer dieser Sequenz gebe die des realen Gefechts in Echtzeit wieder. Aber das ist vielleicht der springende Punkt beim Kriegführen: dass es den einzelnen Menschen, wenn’s drauf ankommt, überwältigt.

»Warfare«, Regie: Alex Garland und Ray Mendoza, UK/USA 2025, 95 Min., bereits angelaufen

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