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Aus: Ausgabe vom 23.04.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Atheismus

Von Marc Püschel
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Arbeiter kippen Jesus auf den Müll: Plakat des »Verbandes der kämpfenden Gottlosen« von 1929

»Wir müssen die Religion bekämpfen. Das ist das Abc des gesamten Materialismus und folglich auch des Marxismus«, schrieb Wladimir Iljitsch Lenin im Jahr 1909. Von einer solch konsequenten Haltung ist heute nicht mehr viel geblieben. Dabei zählte der Kampf für den Atheismus einmal zu den Kernanliegen der Kommunisten.

In einem weiten Sinne lässt sich unter Atheismus jede Form von Kritik an Gottesvorstellungen verstehen. So wurde schon in der Antike einigen Philosophen der Vorwurf der »Gottlosigkeit« gemacht. Von Xenophanes stammt die berühmte Kritik: »Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus.« Allerdings hatte er damit nicht die Existenz des Göttlichen, sondern lediglich unsere zu bildliche Vorstellungsweise davon angezweifelt.

Nimmt man die Bedeutung des Begriffs (der vom griechischen átheos, »ohne Gott«, kommt) ernst und versteht darunter die Ablehnung jeglichen Glaubens an Göttliches, so ist der Atheismus neueren Ursprungs. Vor dem Hintergrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts entwickelte er sich vor allem bei den französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts und fand erst bei Ludwig Feuerbach eine theoretische Begründung. Dazwischen lag die Französische Revolution, in der sinnfällig wurde, dass der Mensch seine Gesellschaft nach eigener Vernunft einzurichten in der Lage ist. Auch der abstrakte Deismus – noch Maximilien de Robespierre wollte einen »Kult des höchsten Wesens« etablieren – verlor sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, als die Evolutionstheorie eine durchgehend materialistische Beschreibung der Welt ermöglichte.

Die Arbeiterbewegung hatte lange keine klare Haltung zur Religion. In ihrem Erfurter Programm erklärte die SPD 1891 sie schließlich zur Privatsache: »Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen.« In der Folge wurde auch der Kampf für den Atheismus vernachlässigt. Lenin geißelte diese Haltung später als Opportunismus. Unter Berufung auf Friedrich Engels hob er hervor, »die Sozialdemokratie betrachte die Religion dem Staat gegenüber als Privatsache, keineswegs aber sich selbst, keineswegs dem Marxismus, keineswegs der Arbeiterpartei gegenüber«.

In diesem Sinne plädierte Lenin dafür, aktiv für den Atheismus zu streiten. Denn wer an einen Gott glaubt, ob plump an einen mit Rauschebart im Himmel oder an eine abstrakte Macht, lässt eine Lücke in seinem Weltbild. Diese wird gefüllt, sobald es ans Handeln geht – allerdings nicht mit Göttlichem, sondern mit eigener Willkür und herrschenden Ideologien, die sich im Unterbewusstsein verfestigt haben. Wer sich gesteuert von einem höchsten Wesen denkt, lässt sich auch leichter von weltlichen Autoritäten steuern. Sieht man einmal von Philosophen wie Baruch de Spinoza oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel ab, die den Begriff Gott als eine Art Synonym für das durchaus erkennbare Weltganze verwenden, kann man es daher mit Albert Einstein halten, der 1954 schrieb: »Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen ...«

In der UdSSR entstand in den 1920er Jahren der »Verband der kämpfenden Gottlosen« mit Millionen Mitgliedern. Güter der russisch-orthodoxen Kirche wurden enteignet, der widerspenstige Klerus verfolgt. In den islamisch geprägten zentralasiatischen Sowjetrepubliken wurden, beginnend mit dem 8. März 1927, öffentliche Schleierverbrennungen abgehalten, um die Befreiung der Frau zu feiern. Im Zuge des Kampfes gegen den Faschismus verlegten sich die Kommunisten auf ein zunehmend taktischeres Verhältnis zur Religion, die Verfolgungen hörten auf, Bündnisse mit antifaschistischen religiösen Organisationen wurden geschlossen. Diese Linie wurde noch bestärkt durch die Herausbildung progressiver religiöser Bewegungen wie der Befreiungstheologie. Auf die Irrationalität, die dem Religiösen anhaftet und die sich bei den radikalen Evangelikalen in den USA ebenso zeigt wie bei islamistischen Terroristen, sollte man jedoch weiterhin ein Auge haben.

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