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Aus: Ausgabe vom 24.04.2025, Seite 16 / Sport
Nachruf

Der Löwenbändiger

Zum Tod des legendären Fußballtrainers Werner Lorant
Von Fabian Stallknecht
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»Warum soll ich mit denen reden, bin ich der Pfarrer?« – Werner Lorant (1948–2025)

Die 1990er Jahre waren im deutschen Profifußball eine Zeit der Kulturkämpfe: Die Kommerzialisierung des Sports war zwar bereits unaufhaltsam auf dem Vormarsch, doch noch gab es sie, die Urgesteine, die großen Trainerpersönlichkeiten, die unbeirrt ihr Ding machten, sich gar niemals nirgendwo reinreden ließen und die Geschicke ihrer Vereine bestimmten. Ein solcher Monolith war auch der am 21. November 1948 im westfälischen Welver geborene Werner Lorant. Schon in seiner aktiven Zeit – Lorant machte 325 Bundesligaspiele u. a. für Rot-Weiss Essen, Hannover 96, Schalke 04, Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt – war er als harter Hund und kompromissloser Verteidiger gefürchtet. Sein Frankfurter Mitspieler, Weltmeister Bernd Hölzenbein, drohte renitenten Gegenspielern zuweilen: »Ich hetz’ gleich den Lorant auf dich!«

Dieselbe Disziplin, Entschlossenheit und Härte gegen sich und andere prägten auch seine Trainerlaufbahn. Diese hatte eher unspektakulär bei Vereinen wie Viktoria Aschaffenburg oder Schweinfurt 05 begonnen, bis er zur Saison 1992/93 das Traineramt beim stolzen, aber gerade erst wieder in die Niederungen der damals drittklassigen Bayernliga abgestürzten TSV 1860 München übernahm. Lorant und der Traditionsklub aus Giesing – das passte wie der süße Senf zur Weißwurst. Eine einmalige Erfolgsgeschichte begann. Gemeinsam mit dem Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser krempelte Lorant den Verein um, und der schnoddrige Humor, der unverwechselbare Stil und die Mischung aus Größenwahn und Bodenständigkeit des neuen Löwendompteurs kamen an im Arbeiterviertel. Mit markigen Sprüchen wie »Ich wechsle nur aus, wenn einer sich ein Bein bricht«, »Die sollen rennen und das Maul halten« oder »Warum soll ich mit denen reden, bin ich der Pfarrer?« und entsprechenden Trainingseinheiten erwarb sich Lorant den Spitznamen Werner Beinhart. Und Lorants Löwen bissen sich durch die Liga. 1993 stieg der TSV in die zweite Liga auf, ein Jahr später, am 14. Juni 1994, durch ein ikonisches 1:0 beim SV Meppen dann in die Bundesliga. Einen direkten Durchmarsch von der dritten in die erste Liga hatte bis dahin noch kein deutscher Verein geschafft. Zehn Jahre am Stück hielt sich der TSV in der Bundesliga und qualifizierte sich zweimal für den Europapokal, in der Saison 1999/2000 gelangen zwei Siege gegen den scheinbar übermächtigen Rivalen aus der Seitenstraße.

Werner Lorant war kein Trainerfuchs, der die Gegner mit taktischen Finessen überraschte und aushebelte, sein Fußball war physisch, körperbetont, leidenschaftlich und auf herzerwärmende Weise oldschool. Er verfügte über ein feines Gespür für passende Spielertypen, gerne solche, die andernorts verkannt, ausgemustert oder als charakterlich schwierig abgestempelt worden waren und unter seiner Leitung aufblühten. Immer wieder gelang es ihm mit Akribie und Strenge, aus aufstrebenden Talenten und alternden Desperados im Karrierespätsommer eine schlagkräftige Einheit zu formen. Die Aura des Rebellen gegen das Ligaestablishment pflegte er mit Hingabe. Immer wieder eckte er geradezu lustvoll an, seine Dispute mit gegnerischen Spielern, Trainern, Funktionären, aber auch Journalisten und Schiedsrichtern waren ebenso legendär wie die graumelierte, später schlohweiße Starkstromfrisur. Vermutlich haben alle Löwinnen und Löwen eine Lieblings-Lorant-Anekdote bzw. einen ganz persönlichen Werner-Moment. Dazu gehörte auch sein Faible für ein in kleinen Tässchen serviertes Heißgetränk, das er »Expresso« nannte und das je zur Hälfte aus Kaffee und aus Zucker bestand … Nervige Reporterfragen, also praktisch alle, pflegte er mit dem Standardsatz »Das interessiert mich nicht!« vom Tisch zu wischen.

Die jahrelange symbiotische Verbindung zwischen Trainer und Vereinsführung bekam, so ist der Lauf der Welt, um die Jahrtausendwende erste Risse, und im Oktober 2001 griffen schließlich auch an der Grünwalder Straße die vielzitierten »Mechanismen der ­Branche«. Nach einer deftigen Derbyniederlage endete die Ära Lorant, die eine knappe Dekade lang gedauert hatte. Im Anschluss betätigte sich Lorant einige Jahre als Welttrainer im Wortsinn und übernahm Mannschaften in der Türkei, Slowenien, Südkorea, China und im Iran. An die Erfolge mit seinen Münchner Löwen konnte er allerdings nirgendwo mehr anknüpfen, zu sehr waren er und der TSV 1860 füreinander gemacht. Auch im (Un)ruhestand, den Lorant im oberbayerischen Waging am See verbrachte, blieb er knorrig und authentisch. Mit seiner Meinung hielt er auch als Fußballrentner nicht hinterm Berg. Wer als Sportjournalist einen knackigen O-Ton oder etwas Verbalmunition gegen aktuelle Trainer oder Funktionäre brauchte, wusste, wen er anzurufen hatte.

Mittlerweile ist nicht nur die Welt eine andere, sondern auch der Fußball ein ganz anderer. Der TSV 1860 spielt – immerhin seit 2017 wieder im heimischen Grünwalder Stadion – mal besser, mal schlechter in der dritten Liga und wird seit dem Einstieg des jordanischen Geschäftsmanns und Investors Hasan Ismaik und seiner Firma HAM International Ltd. von internen Konflikten zwischen Verein und Mitgesellschafter zerrieben. Diese gar nicht mehr so schöne Fußballwelt hat Werner Beinhart am Ostersonntag endgültig verlassen. Er wird uns allen, die wir den Löwen im Herzen tragen, fehlen. Mach’s gut, Werner, und danke für alles – Ruhe in Frieden, Legende!

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