»Bewundernswerte Operation«
Von Gerhard Feldbauer
Im April 1945 waren die Tage des Besatzungsregimes der Hitlerwehrmacht und ihrer Vasallen, der Mussolini-Faschisten, gezählt. Am 25. April rief das Comitato di Liberazione Nazionale Alto Italia (CLNAI), die Regionalleitung des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) für Norditalien, zum allgemeinen bewaffneten Aufstand auf. Die Initiative zur Resistenza, dem nationalen Befreiungskrieg, ging von der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI/IKP) aus. Die Erhebung war durch einen von Turin, dem Sitz des Rüstungskonzerns Fiat, ausgehenden Generalstreik, zu dem die IKP aufgerufen hatte, vorbereitet worden, der fast alle noch von der Wehrmacht besetzten Städte Norditaliens erfasste.
Während des Aufstandes befreiten die mehr als 200.000 Kämpfer zählenden regionalen Partisanenverbände Gruppi di Azione Patriottica (GAP) über 200 Städte Norditaliens, darunter alle Großstädte. Mailand wurde nach schweren Kämpfen am 27. April eingenommen. Zu diesem Zeitpunkt kämpften sich die alliierten Truppen erst zu dem rund 200 Kilometer weiter südlich liegenden Bologna vor. Mailand erreichten sie erst fünf Tage nach der Einnahme durch die Partisanen.
Im Juli 1943 war Benito Mussolini in einer Palastrevolte durch Militärs unter Marschall Pietro Badoglio an der Spitze gestürzt worden, die einen Waffenstillstand mit den Alliierten schlossen und damit aus dem Bündnis mit den Nazis ausscherten. Die Revolte spiegelte den Realitätssinn der herrschenden Kreise Italiens wider, die über 20 Jahre Träger der faschistischen Diktatur gewesen waren. Nach der vernichtenden Niederlage der Hitlerwehrmacht 1943 bei Stalingrad – die das Scheitern der deutschen Aggressionspläne verdeutlichte und den Sieg der angloamerikanischen Truppen in Nordafrika sowie die Landung der alliierten Verbände auf Sizilien begünstigte – wollten sie das sinkende Schiff verlassen. Sie befürchteten auch, dass die Arbeiter mit einer kommunistischen Partei an der Spitze den Sturz Mussolinis mit einer antifaschistischen Massenbewegung herbeiführen könnten.
»Zu den Waffen!«
Nach der Landung der Alliierten in Süditalien besetzte die Wehrmacht am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien. Einen Tag später konstituierte sich auf Initiative der IKP ein bereits bestehendes Komitee der antifaschistischen Strömungen (IKP, ISP, Aktionspartei, Christdemokraten, Liberale und Republikaner) zum Nationalen Befreiungskomitee, das alle Italiener zum Kampf gegen den Faschismus und für ein freies Italien aufrief. Der Appell, den die von der IKP herausgegebene Zeitschrift Il Combattente in ihrer ersten Ausgabe vom 1. Oktober 1943 veröffentlichte, formulierte die Stoßrichtung gegen Hitlerdeutschland als Besatzungsregime mit der Losung: »Heute gibt es für die Italiener nur noch eine Front: Gegen die Deutschen und gegen die fünfte faschistische Kolonne. Zu den Waffen!« Hatte die von Badoglio gebildete Regierung zunächst neutral bleiben wollen, wurde sie durch die Gründung des CLN gezwungen, am 13. Oktober Hitlerdeutschland den Krieg zu erklären. Italien trat damit auf die Seite der Antihitlerkoalition über.
Die IKP betonte, dass ihre gefestigte politische Einheit die Arbeiterklasse berechtige, im Befreiungskampf eine führende Rolle einzunehmen. Folgerichtig stellte sie als erste Partei Einheiten für den bewaffneten Widerstand auf. Als am 8. September 1943 in Rom italienische Soldaten den einrückenden Wehrmachtseinheiten Widerstand leisteten, kämpften an der Porta San Paolo an ihrer Seite bereits Kommunisten. In Belluno, der Regionalhauptstadt von Venetien, bildeten am 9. September 22 Arbeiter eine Partisanenabteilung, aus der die Garibaldi-Brigade »Nino Nanetti«¹ hervorging. Zu Beginn verfügten sie lediglich über zwölf Gewehre, für jedes vier bis fünf Ladestreifen Munition, drei Revolver, eine Panzerbüchse mit 600 Schuss und einige Handgranaten.
Wichtige Erfahrungen brachten die italienischen Interbrigadisten in den Partisanenkampf ein. Luigi Longo, in Spanien Generalinspekteur aller Interbrigadisten, wurde gleichberechtigt mit dem Sozialisten Sandro Pertini der Oberbefehl der Partisanenarmee übertragen. Longo berichtete, dass sofort nach dem deutschen Einfall im ganzen Land Tausende Italienerinnen und Italiener auf vielerlei Art bewaffneten Widerstand leisteten. Sie streuten Nägel und Glassplitter auf Durchfahrtsstraßen der Wehrmacht, zerstörten Brücken und Telegraphenleitungen, unterbrachen Eisenbahnverbindungen und Elektrizitätszentralen, griffen direkt Einheiten der Besatzungstruppen an, verschafften sich in Handstreichen Waffen und Munition. »Man kann sagen, dass die Guerilla schon während des Oktober in allen Städten und Dörfern Italiens aufflammte« und sich durch »Schnelligkeit, Unangreifbarkeit und Überraschung auszeichnete«, schrieb Longo.
Aufsehen erregten im Oktober 1943 mehrere Sabotageakte gegen Militärzüge, darunter auf der Strecke Rom–Neapel, auf der Linie Florenz–Bologna und auf der Verbindung Arezzo–Florenz, wo ein Treibstoffzug gesprengt wurde. Im nördlichen Friuli widerstand eine Partisaneneinheit tagelang der Wehrmacht, die mit Artillerie, Panzern und der Luftwaffe angriff, und fügte dem Gegner schwere Verluste zu, bevor sie sich zurückzog.²
Heldentaten
Einen historisch einmaligen Beitrag leistete die Bevölkerung von Neapel. Auf Befehl des deutschen Stadtkommandanten mussten sich alle Einwohner für einen Arbeitsdienst registrieren lassen. Als sich von 30.000 Einwohnern nur 150 meldeten, begannen die deutschen Besatzer mit Massenerschießungen von Männern, Frauen und Kindern, steckten Häuser in Brand und vertrieben 200.000 Neapolitaner aus ihren Wohnungen. Am 28. September 1943 ging der zunächst vereinzelte Widerstand in einen Aufstand über, in dessen Verlauf die Patrioten die Wehrmachtseinheiten aus der Stadt vertrieben. Als die angloamerikanischen Truppen am 1. Oktober Neapel erreichten, befand sich die Stadt bereits unter Kontrolle der Widerstandskämpfer. 311 Neapolitaner waren in den viertägigen Kämpfen gefallen, 162 verwundet worden. Zu ihnen gehörte auch der siebzehnjährige »Straßenjunge« Pasquale Formisano, der während des Aufstandes Handgranaten auf einen deutschen Panzerwagen warf und umkam.
Die Brigade »Nino Nanetti« wurde am 15. Juni 1944 auch durch den »kühnen Handstreich von Belluno« bekannt. Elf Partisanen, sieben davon in deutschen Uniformen und vier in der Rolle von Gefangenen mit Handschellen, begaben sich in das schwer bewachte Gefängnis der Stadt, überwältigten die Wachmannschaften und befreiten 73 politische Häftlinge. Nach 20 Minuten entkam das Kommando zu seinem Stützpunkt in den Bergen. Um die peinliche Niederlage zu verhüllen, verbreitete die Wehrmachtskommandantur, die Stadt sei von 3.000 Partisanen umzingelt worden, 600 hätten das Gefängnis überfallen. Der Handstreich fand große Zustimmung, vor allem unter Jugendlichen, von denen Hunderte danach zu der Brigade in die Berge gingen.
Vom mutigen Kampf der Partisanen zeugen unzählige Heldentaten. Giani Nicolò, ein Kämpfer der GAP, verteidigte sich am 16. Juli 1944 fünf Stunden allein in den Trümmern eines Hauses gegen rund 100 deutsche und italienische Faschisten. Als er keine Munition mehr hatte, warf er mit Steinen und fiel mit dem Ruf »Mörder! Verräter des italienischen Volkes! Meine Genossen werden mich rächen!«
Am 14. August 1944 wurde Irma Bandiera, Kurier einer GAP-Gruppe, grausam ermordet. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie gefoltert und, als sie den Stützpunkt ihrer Brigade nicht preisgab, geblendet und dann auf offener Straße erschossen. Unvergessen sind auch die sieben Brüder der Familie Cervi, die alle im bewaffneten Kampf den Tod fanden.
Schlagkräftige Partisanen
Die Partisaneneinheiten wuchsen schnell zu einer schlagkräftigen, nach regulären militärischen Grundsätzen aufgebauten Armee an. Im November 1943 wurde auf Initiative der IKP ein einheitliches Generalkommando gebildet, dem alle Partisaneneinheiten unterstellt wurden. Es nahm seinen illegalen Sitz in Mailand. Das Kommando verfügte über einen Aufklärungs- und Sicherheitsdienst, Militärgerichte und ein Polizeikorps. Ein »Sicherheitsbericht« des Wehrmachtskommandos gab im Juni 1944 an, dass im Mai 2.035 und im Juni ungefähr 2.200 Partisanenaktionen stattgefunden hätten. Dabei wurden im Juni 17 Munitionsdepots, 24 Kasernen und Garnisonen des republikanischen Heeres (die faschistischen Hilfstruppen Mussolinis) sowie eine deutsche Kommandantur angegriffen.³
Vom 28. Juli bis 3. August 1944 fand in der Emilia-Romagna im Gebiet von Montefiorino die größte Partisanenschlacht des Befreiungskrieges statt. Die Partisanen hatten rund um die Ortschaft auf dem strategisch wichtigen, 800 Meter hohen Apennin eine befreite Zone von etwa 400 Quadratkilometern geschaffen, die einen Keil in die deutsche Verteidigungsstellung – die sogenannte Gotenlinie – trieb. Die Besatzungstruppen versuchten vergeblich, die Partisanen zu vertreiben. Die befreite Zone verteidigten 8.000 Kämpfer gegen drei deutsche Divisionen, die mit schwerer Artillerie (152-Millimeter- und 88-Millimeter-Geschütze), Panzern und Flammenwerfern in drei Richtungen angriffen. Nachdem sie anfänglich Geländegewinne erzielt hatten, schlugen die Partisanen sie überall zurück. Die Faschisten verloren 2.080 Soldaten, bei den Partisanen fielen 250 Kämpfer, 70 wurden verwundet. Bis zum Ende des Befreiungskrieges gelang es den Besatzungstruppen nie, die freie Zone von Montefiorino zurückzuerobern.
Wie im politischen achtete die IKP auch im militärischen Kampf darauf, Sonderinteressen der Parteien in den Hintergrund zu stellen und statt dessen gemeinsame nationale Interessen zur Grundlage zu nehmen. So nannte sie die von ihr aufgestellten Partisanenbrigaden nach dem Revolutionsgeneral des Risorgimento, Giuseppe Garibaldi, und nicht etwa nach ihrem Parteigründer Antonio Gramsci. Außerdem bildete sie aufgrund ihrer Erfahrungen in Spanien gemischte Abteilungen aus den verschiedenen Parteien. Eine dieser Einheiten führte den Namen des Patrioten aus dem Risorgimento, Graf Carlo Pisacane, eines engen Kampfgefährten Garibaldis, der das Militärkomitee der im Februar 1849 proklamierten Römischen Republik leitete.
Die Partisanenarmee zählte in der Endphase der Resistenza 256.000 Kämpfer, von denen allein die IKP mit ihren Garibaldi-Brigaden 155.000 stellte.⁴ Es gab 70 vor allem aus Sozialisten bestehende Matteotti-Brigaden, 198 von der Aktionspartei formierte Giustizia e Libertà genannte und 181 vor allem auf die Democrazia Cristiana (DC) ausgerichtete Brigaden des Volkes (Brigate del Popolo). Von 70.930 Gefallenen waren 42.558, von 30.697 Verwundeten 18.416 Angehörige der Garibaldi-Brigaden.
Bereits Anfang 1944 führten die Partisanen in den besetzten Gebieten Operationen durch, die fünfzehn Divisionen der Wehrmacht banden. In den Westalpen und den Nordapenninen entstanden im Frühjahr 1944 zwei Partisanenrepubliken und danach zeitweise fünfzehn freie Zonen, in denen die örtlichen Befreiungskomitees überwiegend mit Kommunisten und Sozialisten an der Spitze die Macht ausübten und antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen einleiteten.
Zögerliche Hilfe
Der Haltung der Alliierten lag die Position zugrunde, die Winston Churchill zum Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR eingenommen hatte: »Gewinnen die Deutschen, so soll den Russen geholfen werden, gewinnen aber die Russen, so soll den Deutschen geholfen werden – mögen sie einander so viel wie möglich umbringen.« Einflussreiche reaktionäre Kreise auch aus den USA, Leute vom Schlage des Expräsidenten Herbert Hoover oder der Senatoren Robert Taft und Arthur Vandenberg, erhofften sich von den deutschen Aggressionen eine »politische Neuordnung Kontinentaleuropas« und versuchten, »ihrem Land eine Sicht aufzudrängen, wonach der Sieg des Nazismus einem Triumph des Kommunismus in jedem Fall vorzuziehen war«. US-Präsident Franklin D. Roosevelt stimmte jedoch nicht in diesen reaktionären Chor ein. Ihm war es entscheidend zu verdanken, dass die von der UdSSR vorangetriebene Bildung der Antihitlerkoalition überhaupt zustande kam.
Mit den strategischen Schlägen, welche die Rote Armee der Hitlerwehrmacht an der Jahreswende 1942/43 bei Stalingrad und anschließend nochmals im Juli 1943 in der gewaltigen Schlacht bei Kursk-Belgorod beibrachte, war es auch den reaktionären Kreisen nicht mehr möglich, sich auf die Seite Deutschlands zu schlagen. Das strategische Ziel blieb jedoch weiterhin, dass die UdSSR in der gewaltigen militärischen Auseinandersetzung mit Hitlerdeutschland ausbluten sollte, um geschwächt aus dem Kriege hervorzugehen, so dass sie einer globalen Hegemonie der USA keinen Widerstand entgegensetzen könnte.⁵ Aufgrund dieser Strategie verzögerten die westlichen Alliierten die Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa. Sie waren auch nicht, wie ihr Verhalten nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit Italien zeigte, an einem raschen Vorrücken ihrer Truppen auf der Halbinsel interessiert. An einer starken Partisanentätigkeit in Italien war ihnen gleichfalls nicht gelegen.
Da der antifaschistische Befreiungskampf in Italien wie auch andernorts im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit stand, mussten sie aber notgedrungen zumindest den Forderungen des CLN nach Waffenlieferungen an die Partisanenverbände nachkommen. Die westlichen Alliierten mussten auch Stimmen aus den Reihen ihrer Armee Rechnung tragen, in der viele dunkelhäutige Soldaten kämpften (Afroamerikaner für die USA und Inder für die Briten), die mit dem italienischen Widerstand sympathisierten. Insgesamt erhielten die Partisanen jedoch nur etwa die Hälfte der von ihnen benötigten Ausrüstung. Dabei wurde, wie die Historikerin und Übersetzerin Sophie Alf schrieb, »die Versorgung zunehmend selektiv vorgenommen, um die militanten Gruppen der kommunistischen Garibaldi-Brigaden von der Unterstützung auszuschließen. Da diese zahlenmäßig bedeutend und durch militärisch erfahrene Kommandeure geführt wurden, hatten sie dennoch ein großes Gewicht in der Koordination des militärischen Widerstandes.«
In Unruhe versetzten die Angloamerikaner das rasche Vorrücken der Partisanenarmee in der Toskana und die Befreiung von Florenz im August 1944, vier Wochen vor dem Eintreffen ihrer eigenen Truppen. Zudem weigerte sich der dort vom regionalen CLN gewählte sozialistische Bürgermeister Gaetano Pieraccini, nach dem Einrücken der US-Truppen seinen Platz für einen von der Militärregierung benannten Nachfolger zu räumen. Pieraccini empfing die US-Offiziere in seinem Amtssitz im Palazzo Vecchio und sagte: »In diesen Palast bin ich eingezogen, als die Deutschen vor der Tür standen; aus diesem Palast werdet Ihr mich nur mit Bajonetten verjagen.«
Als die Besatzungsmacht angesichts der entschiedenen Haltung der Bevölkerung das akzeptieren musste, verstärkten sich ihre Befürchtungen, den anwachsenden Volkswiderstand nicht kontrollieren zu können. Im Herbst 1944 verlangsamten die Alliierten ihren Vormarsch, in der Hoffnung, damit auch den Partisanenkampf zum Erliegen zu bringen. General Harold Alexander, Nachfolger Dwight D. Eisenhowers als angloamerikanischer Oberkommandierender, forderte die Partisanenverbände in einer Rundfunkbotschaft auf, in den Wintermonaten keine offensiven Kampfhandlungen mehr zu führen und ihre festen Verbände und Standorte aufzulösen. »Diese Rundfunkbotschaft, die auch von den Deutschen gehört werden konnte, brachte die Widerstandsbewegung in große Gefahr«, schrieb Sophie Alf. »Das habe wahrscheinlich durchaus in der Absicht der Alliierten gelegen, die im Sinne der Logik Churchills die Dezimierung der fortschrittlichen Antifaschisten in ihre Rechnung einbezogen.«⁶
Hinrichtung des »Duce«Angesichts des Vordringens der Partisanen in Norditalien ordnete der alliierte Befehlshaber in Italien, General Mark Clark, am 10. April 1944 an, die Partisanen dürften ohne seine ausdrückliche Genehmigung keinerlei Initiativen eines bewaffneten Aufstandes unternehmen. Clark wollte verhindern, dass die Partisanen vor dem Eintreffen der Alliierten die noch von der Wehrmacht besetzten Städte Norditaliens einnahmen. Außerdem sollten die im März begonnenen Gespräche des Leiters des OSS (Vorläufer der CIA) in Bern, Allen Dulles, mit deutschen Unterhändlern, an ihrer Spitze der SS-Polizeichef in Norditalien, Obergruppenführer Karl Wolff, über eine separate Kapitulation der Wehrmachtsverbände in Norditalien nicht gestört werden. Das Oberkommando der Wehrmacht beabsichtigte, in diesem Fall die in Italien stehenden deutschen Verbände gegen die in Österreich vorrückende Rote Armee einzusetzen.⁷
Mit dem Aufstand vereitelten die Partisanen diese Pläne und befreiten an die 200 Städte, darunter alle Großstädte Norditaliens. Mit Beginn des Aufstandes übernahm das CLNAI als Beauftragter der von den Alliierten anerkannten Nationalen Einheitsregierung die zivilen und militärischen Machtbefugnisse.⁸ Es erklärte den Ausnahmezustand, richtete Kriegsgerichte ein, erließ Justiz- und Verwaltungsdekrete und forderte alle italienischen Faschisten zur bedingungslosen Kapitulation auf. Die Partisanenarmee griff zwischen Piemont und Venetien auf einer Breite von über 400 Kilometern die Stellungen der Wehrmacht an, deren Truppen in einer Stärke von noch 19 Divisionen zwischen Friuli und Carnia konzentriert waren. In Genua kapitulierte der Ortskommandant, General Günther Meinhold, mit 9.000 Mann vor dem Vorsitzenden des Befreiungskomitees der Stadt, dem Arbeiter und Kommunisten Remo Scappini. Am Fluss Piave legte das X. Panzerkorps die Waffen nieder. Insgesamt ergaben sich bis zum 2. Mai über 200.000 deutsche Soldaten den Partisanen. Die Gefangenen wurden nach dem Eintreffen der alliierten Truppen diesen übergeben.
Das Ansehen der IKP stieg insbesondere, als in Mailand bekanntgegeben wurde, dass eine Abteilung der 52. Garibaldi-Brigade der IKP Mussolini, der sich mit einer SS-Einheit auf der Flucht zur Schweizer Grenze befand, in der Nähe von Como in der Ortschaft Dongo gestellt und gefangengenommen hatte. Unter dem Befehlshaber der Garibaldi-Brigaden, Oberst Walter Audisio (Kampfname Valerio), wurde am 28. April das vom CLNAI gegen Mussolini und weitere führende Faschisten verhängte Todesurteil vollstreckt.⁹ Die Leichen wurden nach Mailand gebracht und auf der Piazzale Loreto mit den Köpfen nach unten aufgehängt. Am selben Ort hatten die Mussolinifaschisten am 12. August 1944 15 ermordete Geiseln auf dieselbe Weise zur Schau gestellt.
Auch mit der Hinrichtung Mussolinis war eine Weisung der Alliierten ignoriert worden, diesen bei einer Gefangennahme zu übergeben. Um diese Brüskierung nicht einzugestehen, erhoben die Alliierten jedoch keine Einwände. Schließlich zollte Oberst Charles Poletti von der Alliierten Militärregierung dem CLN sogar Respekt: »Wir haben in Mailand alles in ausgezeichneter Disziplin vorgefunden. Wir sind auch auf der Piazzale Loreto gewesen und haben dem CLN und den Partisanen unsere vollste Anerkennung für ihre bewundernswerte Operation ausgedrückt.«¹⁰
Anmerkungen
1 Nino Nanetti war Mitglied der IKP und Organisator der Garibaldi-Brigade in Spanien, wo er 1937 als Divisionsgeneral fiel.
2 Luigi Longo: Viva L’Italia libera, Berlin/DDR 1963
3 Roberto Battaglia/Giuseppe Garritano: Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945. Berlin/DDR 1964
4 In diesen Zahlen sind nicht die in Jugoslawien und Griechenland in den Reihen der dortigen Partisanenarmeen kämpfenden Italiener enthalten, die meist den Kommunisten und Sozialisten bzw. ihren Sympathisanten zuzurechnen waren. Allein in Jugoslawien kämpften zwei Divisionen, darunter eine, die sich nach Garibaldi nannte. Siehe La nostra Lotta, Nr. 11/1943.
5 Valentin Fallin: Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Antihitlerkoalition, München 1997
6 Sophie G. Alf: Leitfaden Italien. Vom antifaschistichen Kampf zum Historischen Kompromiss. Berlin 1977
7 Bradley Smith/Elena Agarossi: Unternehmen »Sonnenaufgang«, Köln 1981, S. 239 ff.
8 In dem im Dezember 1944 unterzeichneten »Römischen Protokoll« musste das Alliierte Kommando das CLNAI als Organ der Nationalen Befreiungsregierung mit allen Vollmachten anerkennen. Im Gegenzug musste das Kommando der Partisanenarmee seine Einheiten dem Alliierten Kommando unterstellen.
9 Walter Audisio: In Nome del Poplo italiano, Mailand 1975
10 Pietro Secchia/Filippo Frassati: Storia della Resistenza, Bd. II, Mailand 1965
Gerhard Feldbauer schrieb an dieser Stelle zuletzt am 21. November 2024 über die Synode der katholischen Kirche: »Bloß keine Priesterinnen«.
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