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Aus: Ausgabe vom 25.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Pluto als glücklicher Müllmann

Sie weiß es, sie fühlt es: Katja Kullmanns satirischer Astrologieroman »Stars«
Von Peter Köhler
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Die Sterne? Lügen nicht

Viel Geld verdienen, sich einen Namen machen, erfolgreich sein und berühmt werden – davon träumen viele. Carla Mittmann aber – »nicht mehr jung, noch nicht alt« – ist längst im Alltag versackt, hat nach ihrem Studium die angepeilte Promotion verpatzt und schiebt seit neun Jahren eine ruhige Kugel als Halbtagskraft im Großkundenservice einer Möbelfirma. Nebenher, als Feierabend- und Wochenendbeschäftigung, betreibt sie als »Cosmic Charly« eine Astrologieberatung via Internet, bastelt Horoskope aus nach Belieben kombinierbaren Textbausteinen und macht sich einen Spaß mit den leichtgläubigen Leuten. So geht ihr Leben seinen gewohnten Gang in den gewohnten Bahnen – da passiert es.

Erst fliegt ein Backstein durchs Fenster, dann sieht sie, dass jemand mit Kreide »Freiheit für Mittmann« auf den Bürgersteig geschrieben hat, und schließlich liegt ein Paket vor ihrer Tür, in dem 10.000 Dollar liegen. Woher, warum, wozu – das bleibt in Katja Kullmanns ebenso klug konstruiertem wie sehr unterhaltsamem Roman ein Rätsel. Klar wird ihrer Heldin Clara Mittmann nach und nach aber eines: Es ist eine Fügung des Schicksals.

Sie kündigt ihre Stelle, und was sie bisher sarkastisch als »Astromumpitz« nebenher betrieben und verspottet hat, macht sie zu ihrem professionell betriebenen Business, weil sie ihr »unbestreitbares Talent« erkannt hat, das »in der softphilosophisch-alltagssoziologisch-behelfspsychologisch-astrologischen Zeitgenossenberatung« besteht. Sie analysiert das Marktumfeld, erschließt neue Zielgruppen, fügt der Internetpräsenz nach Tarifen gestaffelt Telefonberatung und Hausbesuche hinzu, wird von den Medien zur gut bezahlten »Starastrologin« hochgejubelt und schafft es bis ins Fernsehen.

So wird aus dem kalkuliert ergriffenen Beruf, das merkt Clara von Tag zu Tag mehr, innere, wahre Berufung. Sie weiß es, besser noch, sie fühlt es: Ein Star werden, das stand in ihren Sternen! Die Wissenschaft liegt hinter ihr, und über Seminararbeiten wie »Die Philosophie des Putzens«, das »mit einer Sonderauszeichnung für Erstsemesterarbeiten prämiert« wurde, ebenso wie über ihr »legendäres ›Soziogramm des ›Flaschensammlers‹ als idealtypischer Homo oeconomicus des anomischen Zeitalters« kann sie allenfalls noch schmunzeln. Ganz sicher können es aber die Leser dieses parodistisch und satirisch sauber unterfütterten Romans, dessen Autorin zuvor zwei Sachbücher (»Generation Ally« 2003 und 2022 »Die singuläre Frau«) publiziert hat und hier als Erzählerin erfolgreich debütiert.

Wer hingegen die Astrologie ernst nähme und ihr wie Kullmanns Protagonistin Mittmann von Seite zu Seite mehr und mehr verfiele, ginge der Verfasserin auf den Leim: Leute, die »ein astrologisches Porträt ihres Wellensittichs« wünschen, sollte man besser so wenig ernst nehmen wie die ganze Zunft ausgekochter Sternendeuter, die irgendwas von »Mars-Mondknoten- und Mond-MC-Linie« erfinden und Quark wie diesen hervorwürgen:
»Wir müssen uns Pluto als einen glücklichen Müllmann vorstellen. Er funktioniert wie ein Megakatalysator, er verleibt sich alles ein, was auf seinem Weg liegt, jagt es durch seine Eingeweide und spuckt es eines Tages, gereinigt und von allen Falschheiten, wieder aus. Sein Besuch ähnelt einem lang aufgeschobenen, aber dringend nötigen Update.«

Ein unerwartetes, aber dringend nötiges Update erfährt zu guter Letzt Clara Mittmann selbst. »Alle großen Taten und alle großen Gedanken haben einen lächerlichen Anfang«, dieses Zitat des Existentialisten Albert Camus hatte sie sich zur Leitschnur ihres beruflichen Weges als Astrologin erwählt, ja zum Fundament ihrer neuen Existenz gemacht. Längst ist die ursprüngliche und gesunde Skepsis der scheinbaren Erkenntnis gewichen, dass alles und jedes von den Sternen vorherbestimmt sei, sogar der geplatzte Abflussschlauch ihrer die Küche flutenden Waschmaschine. Am Ende muss Clara Mittmann erkennen, dass auch der Anfang eines Lebensweges so überraschend wie beschämend lächerlich sein kann.

Katja Kullmann: Stars. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2025, 254 Seiten, 24 Euro

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