Einheitsfront der Reaktion
Von Erhard Korn
Ausgerechnet zu Beginn der kulturellen Erneuerung in den »goldenen zwanziger Jahren« wurde Paul von Hindenburg, der im Ersten Weltkrieg quasi Militärdiktator gewesen war, zum Reichspräsidenten gewählt. Der überraschende Tod Friedrich Eberts hatte der Rechten eine neue Chance verschafft. Gestützt auf ein erfundenes Zitat eines englischen Generals hatte Hindenburg 1919 eine wirkmächtige Dolchstoßlegende in die Welt gesetzt. Auch der national denkende Ebert sah das Heer im Felde unbesiegt, doch die mächtige Rechtspresse warf ihm nun seine Beteiligung am Januarstreik von 1918 vor. Gerichtlich wollte er im Magdeburger »Dolchstoßprozess« 1924 nachweisen, dass er nur das Schlimmste »abbiegen« wollte. Dies misslang gründlich, da die national eingestellten Richter Eberts Eintritt in die Streikleitung juristisch als »Landesverrat« einstuften. Am 28. Februar 1925 starb Ebert, seelisch zermürbt, an einer Blinddarmentzündung, die er wegen des Prozesses zu spät behandeln ließ.
Rechte geeint ...
Nach der Hyperinflation stabilisierte sich 1924 die Wirtschaft. Der Kapp-Putsch war an gemeinsamen Gegenaktionen der Arbeiterbewegung gescheitert, der Hitler-Putsch am 9. November 1923 ohne Resonanz geblieben. Bei den Reichstagswahlen im Mai 1924 sanken völkische Parteien wie die NSDAP auf das Niveau von Splittergruppen herab. Die Rechte suchte, auch mit Blick auf Mussolinis Italien, noch nach einer neuen Strategie jenseits von Putschismus oder einer Restauration des Kaiserreichs.
Einer der Strippenzieher war dabei Friedrich von Loebell als Vorsitzender des »Reichsbürgerrats«, in dem die Bürgerräte organisiert waren, eine im Zuge der Novemberrevolution entstandene antimarxistische, rechte Sammlungsbewegung. Loebell propagierte eine Gegenrevolution durch »Ausnutzung der staatsrechtlichen Möglichkeiten« und arbeitete an einer Einigung des nationalen Bürgertums, die im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl am 29. März 1925 noch gescheitert war. Karl Jarres, der Kandidat des »Rechtsblocks« aus DVP und DNVP, von Industriemagnaten, Banken und vaterländischen Verbänden, hatte nur enttäuschende 38,8 Prozent erreicht.
Hindenburg wartete nun auf den »Ruf aller national gesinnten Deutschen« und erklärte sich schließlich zur Kandidatur bereit. Wieder lief eine intensiv orchestrierte und mit viel Geld geschmierte Wahlkampagne an. Nur in einer einzigen Veranstaltung in Hannover trat er selbst auf, schwärmte vom Weltkrieg als großer Zeit der deutschen Geschichte, kritisierte den »unseligen Umsturz«, wies aber auch die Unterstellung eines »verfassungswidrigen Vorgehens« nach seiner Wahl zurück. Ein Programm hatte er nicht, doch der Nimbus eines Unparteilichen, der Glanz des »Siegers von Tannenberg« mobilisierte viele Nichtwähler. Zudem unterstützte die Bayrische Volkspartei nicht Wilhelm Marx, den Kandidaten der Schwesterpartei Zentrum, sondern die »Einheitsfront der Reaktion« hinter dem Preußen Hindenburg, der mit 48 Prozent gegen Marx siegte, der 45 Prozent erreichte.
Im ersten Wahlgang hatte der SPD-Kandidat Otto Braun 29 Prozent der Stimmen erhalten, doch im zweiten Wahlgang zog die SPD ihren Kandidaten zurück. In einer Art »Tauschgeschäft« unterstützte die katholische Zentrumspartei Otto Braun am 3. April bei der Wahl zum preußischen Ministerpräsidenten, und der SPD-Vorstand stellte sich im zweiten Wahlgang hinter den erzkonservativen Zentrumsmann Wilhelm Marx. Als »Vernunftrepublikaner« hielt Marx nur zur Republik, »weil sie die gegebene Staatsform ist und in absehbarer Zeit nicht geändert werden kann«. Als Reichskanzler 1923/24 hatte Marx seine unsoziale Politik mit einem »Ermächtigungsgesetz« durchgesetzt und war für viele linke Sozialdemokraten, und vor allem für Kommunisten, kaum wählbar.
... und Linke gespalten
»Hindenburg von Thälmanns Gnaden!« titelte der sozialdemokratische Vorwärts nach der Wahl. Tatsächlich hatte »die Zentrale« der KPD die Kandidatur Ernst Thälmanns im zweiten Wahlgang beibehalten mit der Begründung, es sei nicht Aufgabe des Proletariats, »das kleinere Übel« zu wählen. Die Sozialdemokratie galt der ultralinken Parteiführung als linker Flügel des Faschismus, und daher verspielte die KPD die Chance, SPD und ADGB durch ein Kooperationsangebot für einen gemeinsamen Kandidaten unter Druck zu setzen. Dies verstärkte ihren zeitweiligen Niedergang: Unter der im April 1924 gewählten ultralinken Führung fiel die krisengeschüttelte KPD von 3,7 Millionen Stimmen im Mai auf 2,7 Millionen im Dezember 1924 und 1,8 Millionen bei der Präsidentenwahl im April 1925 zurück.
Nach der Wahl propagierten beide Arbeiterparteien den Kampf gegen rechts – doch beide hatten zum Sieg Hindenburgs beigetragen. Eine Einheitsfront gegen den »parlamentarischen Kapp-Putsch« kam nie zustande.
Was die Rechte am Reichspräsidentenamt reizte, waren dessen weitreichende Befugnisse, darunter die Befehlsgewalt über das Militär, die Einsetzung des Kanzlers und die Macht, den Notstand nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung auszurufen. Ebert hatte dies 1923 genutzt, um die linken Landesregierungen in Thüringen und Sachsen abzusetzen. Diese Befugnisse erlaubten Hindenburg nun eine schrittweise Aushöhlung der Demokratie ohne formale Verletzung der Weimarer Verfassung. Er nutzte sie 1932 zur Absetzung der preußischen SPD-geführten Regierung unter Otto Braun und nach dem Reichstagsbrand 1933 zum Verbot der KPD und zur Verfolgung ihrer Funktionäre.
Zunächst aber unterstützte Hindenburg, wie es später der Schriftsteller Emil Ludwig beschrieb, »gegen den Lärm seiner Klasse« den nationalen Außenminister Gustav Stresemann, der den Abzug von Besatzungstruppen aus dem Rheinland, eine Reduzierung der Reparationen und eine langsame Wiederaufrüstung durchsetzte. Der von Hindenburg vorangetriebene Bau des Panzerkreuzers A wurde zum Symbol eines militärischen »Wiederaufstiegs«. Nach innen betrieb Hindenburg mit viel Pomp die Militarisierung der Gesellschaft. Universitäten und Schulen wurden in diesem Sinn ausgerichtet, Kriegsgegner entlassen, Vereine und nationale Feiern propagierten Wehrbereitschaft.
1932 wurde Hindenburg mit 53 Prozent der Stimmen gegen Hitler mit 37 Prozent erneut gewählt, unterstützt von Kanzler Heinrich Brüning, den Hindenburg einen Monat später fallenließ, und der SPD, die vorgab, so Hitler verhindern zu können. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und ebnete ihm den Weg zur Diktatur. In der von Hitler geführten Rechtskoalition aller bürgerlichen Parteien sah Hindenburg sein zentrales Ziel erreicht. Er unterstützte den Terror auch dann noch, als er sich gegen seine eigenen Weggefährten wie General Kurt von Schleicher richtete.
Keine Heilung in Sicht
Dem der Krieg wie eine Badekur bekommen ist, der wird Präsident der Deutschen Republik, die es nun wohl nicht mehr lange sein wird. Sie hats verdient.
Drei Millionen Stimmen hat der neue Präsident und Sieger von Compiegne bekommen von solchen, die im ersten Wahlgang nicht gewählt haben. (…) Der Reichsblock hat sie mit ungeheurer Gewissenhaftigkeit und Geschicklichkeit an sich gezogen.
Der kaiserliche Statthalter ist in der denkbar schlimmsten Gesellschaft. Sie wird regieren. Und er wird tun, was er sein ganzes Leben getan hat: er wird unterschreiben.
Die Reinigung der Verwaltung – soweit sie noch notwendig sein sollte. Die letzten republikanischen Richter werden bald ausgehaucht haben. Die Schule wird völlig in Nationalismus verkommen. Die Reichswehr gehorcht dem neuen Mann blind. Und für den Rest hätten wir den Artikel 48 der Reichsverfassung, die der Tirpitz-Kandidat beschwören wird. Das »Republik« firmierende Reich wird hoffentlich die Farben wechseln, damit man schon auf weite Entfernung erkennen kann, mit wem man zu tun hat.
Ein politisch denkendes Volk zöge die Fensterladen zu, wenn er vorbeiführe, weigerte sich, mit dem Mann politisch zusammenzuarbeiten – weil wir nicht zum ihm gehören und er nicht in die Republik, weil er nicht einer der unsern ist, und weil er diesen Krieg geführt, verteidigt und gepriesen hat. Solange (die Politiker) nicht den seelenlosen Nationalismus abgelehnt haben: so lange ist an keine Heilung zu denken. (…)
Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky), Weltbühne 5.5.1925
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